Nach dem 0:2 gegen Freiburg haben die HSV-Fans mit ihrem Team gebrochen. Auch der Verbleib des 36-jährigen Zé Roberto ist fraglich.

Hamburg. Collin Benjamin hat in den zehn Jahren, in denen er für den HSV spielt, so einiges erlebt: zehn Trainer, einen Fast-Abstieg und sogar eine betriebsbedingte Kündigung, als er für den im Januar 2006 verpflichteten Hoffnungsträger Ailton kurzfristig Platz im Kader machen musste. Die spontane Krisensitzung des Vorstands, der gestern Vormittag ab 12 Uhr im Stadion tagte, dürfte für den Abwehr-Allrounder folglich wenig überraschend gewesen sein. Für das Geschehen, das sich am Tag zuvor bei der Begegnung gegen den SC Freiburg in der Imtech-Arena abgespielt hatte, fehlten dem Hamburger Urgestein trotz seiner jahrelangen Erfahrung aber zunächst die Worte. Ob er so etwas schon einmal erlebt habe, wollte ein Reporter nach der 0:2-Heimniederlage wissen. Der Namibier dachte ein paar Sekunden nach, nahm die Hand vor den Mund und sagte dann mit bebender Stimme: "Nein, das war der Tief-, Tief- Tief-, Tiefpunkt."

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Was Benjamin so aus der Bahn warf, waren weniger die höhnischen Zuschauer, die das Debakel gegen Freiburg mit La-Ola-Welle und "Wer wird deutscher Meister"-Gesängen zelebrierten, als vielmehr der völlig uninspirierte Auftritt seiner eigenen Mannschaft. "Mentalität schlägt Talent. Man braucht Herz", sagte Benjamin, "aber wir hatten kein Herz." Es war eine ehrliche Zustandsbeschreibung, die von einer nicht weniger ehrlichen Prognose gefolgt wurde: "Ich sehe schwarz."

Tatsächlich dürfte der gespenstische Auftritt des HSV, der nach der 0:3-Pleite gegen Stuttgart in der Vorwoche im Vorfeld der Partie als Charaktertest tituliert wurde, auch die letzten Optimisten auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt haben. Das Erschreckende: Die miserable Mannschaftsleistung war kein unglücklicher Ausrutscher, sie war die Bestätigung eines unheilvollen Trends. Lediglich das erste von insgesamt sechs Spielen konnte der HSV unter Neu-Trainer Michael Oenning gewinnen, in den vergangenen drei Spielen blieben die Hamburger gar torlos. "Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet", konstatierte Oenning, der sich nur zwei Tage nach der Unterzeichnung seines Zweijahresvertrags bereits unbequemen Fragen stellen musste. Nein, betonte der Nachfolger Armin Vehs, er sei nicht ratlos, ganz im Gegenteil. Er wisse genau, was in dieser prekären Situation zu tun sei. Was genau das ist, wollte Oenning aber nicht verraten.

Die Hypothek, mit der Oenning in die kommende Saison gehen wird, wiegt schwer, so viel ist schon jetzt klar. Der gerade erst unterschriebene und bis 2013 datierte Vertrag, das weiß Oenning ganz genau, bietet ihm bei seinem Vorhaben, den angekündigten Umbruch der Mannschaft erfolgreich in die Tat umzusetzen, nur begrenzt Sicherheit. Wie das Abendblatt erfuhr, wurden in dem mehrseitigen Vertragswerk ähnliche Schutzklauseln wie in dem Arbeitspapier seines Vorgängers eingebaut. So hatte auch Veh vor knapp einem Jahr einen Zweijahresvertrag unterzeichnet, den er aufgrund der beidseitigen Kündigungsklauseln selbst immer nur als Einjahresvertrag bezeichnet hatte. Das Ende der Geschichte ist bekannt.

Es wäre allerdings mehr als unfair, vorrangig den gerade erst beförderten Oenning für eine Mannschaft zur Verantwortung zu ziehen, mit dessen Zusammensetzung er marginal bis gar nichts zu tun hatte. "Wir sind an einem Punkt, an dem es nicht mehr weitergeht", sagte Oenning nach dem Spiel, betonte aber gleichzeitig, dass man unter Eindruck dieser Niederlage nicht alles infrage stellen dürfe: "Wir dürfen jetzt nicht in Fatalismus ausbrechen." Die Begegnung gegen Freiburg habe ein weiteres Mal den Handlungsbedarf aufgezeigt. Der Umbruch wird stattfinden, er wird wohl nur noch deutlicher ausfallen als ohnehin schon geplant.

Zwei Spieltage vor Saisonende bleibt mehr als fraglich, wer aus dem aktuellen Kader überhaupt noch bleiben will, soll und wird. Mindestens sechs von acht auslaufenden Verträgen werden definitiv nicht verlängert, und auch die zunächst angedachte Verlängerung Zé Robertos wird immer unwahrscheinlicher. Während man im Vorstand sich klar gegen den vom Brasilianer gewünschten Zweijahresvertrag ausgesprochen hat, ist im Aufsichtsrat, der einen neuen Millionenvertrag absegnen müsste, sogar ein einjähriges Arbeitspapier umstritten. Nach Abendblatt-Informationen haben sich bereits mehrere Kontrolleure gegen eine Verlängerung mit dem 36-Jährigen, dessen Berater Christian Butscher in der kommenden Woche zu Gesprächen erwartet wird, ausgesprochen. Und auch Zé Roberto selbst scheint mittlerweile Zweifel zu hegen. Auf die Frage, ob er sich überhaupt noch eine Zukunft beim HSV vorstellen kann, antwortete der Südamerikaner wenig überzeugend: "Das ist schwer zu sagen." Eine Entscheidung würde wohl erst nach der Saison fallen, glaubt der nicht mehr ganz so junge Mittelfeldmann, um den Oenning ursprünglich sein neues Team aufbauen wollte. Zur Erinnerung: Am 6. Juli feiert Zé Roberto seinen Geburtstag, den 37.!