Der älteste Trainer des Turniers könnte mit Irland seinem Heimatland schaden. Für ihn geht es um die Ehre, denn sein Team ist bereits raus.

Krakau. Im Fußball ist alles möglich, sagen Spieler und Funktionäre. Es gibt Beweise: Der Robert-Hoyzer-Wettskandal, Thomas Helmers Phantomtor und die Trainerauswahl von Hertha BSC in der vergangenen Saison. Also könnte es durchaus passieren, dass Weltmeister Rudi Völler irgendwann die Nationalmannschaft Mexikos (Weltranglistenplatz 19) übernimmt. Und bei einer WM auf Deutschland trifft und seiner Heimat den Einzug ins Viertelfinale verderben kann. Was wäre da los! Alle würden sagen: "Das kannst du nicht machen, 'Tante Käthe'! Nimm für 90 Minuten den Sombrero ab, bitte, und sei nur Deutscher, egal, bei dem du einen Vertag hast!"

Klingt verrückt. Doch der Sport ist noch verrückter als die Fantasie. Und so kommt es für Italien heute zu genau dieser Konstellation. Giovanni Trapattoni, Fußballlegende seines Landes und ehemaliger Nationaltrainer, betreut seit vier Jahren Irlands Auswahl (Weltranglistenplatz 18). Und mit dieser trifft er am Montagabend, 20.45 Uhr, am letzten Vorrundenspieltag der Gruppe C in Posen auf die Squadra Azzurra. Gewinnt seine Mannschaft, ist Italien draußen. Die "Gazzetta dello Sport" beschreibt "Traps" Situation als Dilemma: "Sollte er gewinnen, wird er in seiner Heimat als Verräter betrachtet. Sollte er verlieren, würden die Iren Verdacht schöpfen."

Kein Kuhhandel zwischen Spanien und Kroatien

Irland ist nach zwei Niederlagen in den ersten beiden Spielen bereits ausgeschieden - doch für den 73-Jährigen geht es um die Ehre. Ein Profi wie Trapattoni mache keine Geschenke, sagt Cesare Prandelli, Italiens Trainer. Das sei richtig so und verständlich. Tatsächlich betont Trapattoni: "Italien darf keine Milde erwarten. Ich denke nur an das irische Team. Es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Iren mit Stolz nach Hause fahren können." Die Fans hätten die Mannschaft toll unterstützt - sie sangen sehr laut und brachten Zuschauer in aller Welt mit Transparenten zum Lachen ("Angela Merkel thinks we are at work").

Er werde bei der Aufstellung keine Experimente wagen und nicht, wie gefordert, junge Ersatzspieler aufbieten, so Trapattoni: "Ich kann nicht gegen Italien die Zukunft beginnen, denn sonst sieht es so aus, als ob ich meiner Heimat helfen würde." So vertraut der Trainer der Elf aus dem Auftaktmatch gegen Kroatien (1:3), mit dem Unterschied, dass Damien Duff, der sein 100. und womöglich auch letztes Länderspiel bestreitet, statt Robbie Keane die Kapitänsbinde tragen darf.

"The Fields of Athenry" – Irische Fans sorgen für Gänsehaut

Die Bilanz des Länderspiel-Duells könnte Italien allerdings zittern lassen: Seit der "Maestro" die Iren trainiert, verloren die Azzurri von drei Spielen zwei, eines endete unentschieden.

Was hat dieser Mann in 40 Jahren als Fußballlehrer schon alles erlebt: Zehn Vereine in drei Ländern trainiert, von 2000 bis 2004 Italien, jetzt Irland, seit zwei Jahren nebenbei auch noch die Kicker der Vatikanstadt, 22 Klubtitel gewonnen, mehr als jeder andere. Aber diese EM überrascht sogar ihn.

Natürlich war seine Mannschaft in der Gruppe mit Spanien, Italien und Kroatien Außenseiter, es ist ja schon ein Erfolg, dass sie nach 24 Jahren überhaupt wieder bei einer EM-Endrunde spielt. Doch Zufriedenheit ist Trapattoni fremd, er hatte den Glauben, dass seinen Spielern mindestens ein Sensationssieg gelingen könnte. In der Qualifikation war die Mannschaft 14 Spiele in Folge ohne Niederlage geblieben, in acht Partien sogar ohne Gegentor. Der Einsatz stimmte auch gegen die Spanier und Kroaten, doch es fehlten Glück, Effizienz und Qualität. So ist die bisherige Turnierbilanz enttäuschend: null Punkte, 1:7 Tore.

"Im Vergleich zur Qualifikation hat sich bei uns etwas verändert. Angst und Anspannung", sagt Trapattoni. Nach dem 0:4 gegen Spanien habe er nicht schlafen können, wie immer nach Niederlagen. Allein deswegen würde sich ein Sieg über sein Land lohnen. Sei das Ausscheiden sein Fehler? "No, no, no", brüllt Trapattoni. Der frühere Iren-Kapitän Roy Keane hatte die Feiermentalität der Nationalmannschaft kritisiert. Die Spieler könnten wegen des Jubels nach den Niederlagen den Eindruck kriegen, sie hätten eine vernünftige Leistung gebracht. Trapattoni und seine Kicker wollen heute zeigen, dass dem nicht so ist. "Wir spielen für unsere Ehre, für die unserer Nation und für die Fans, die uns unaufhörlich unterstützen." Und Keanes Kritik? Da flüchtete Trapattoni dann doch seine italienische Muttersprache: "Der hat ja noch nie was gewonnen ..."

Italiens Medien haben Reporter abgestellt, die Trapattoni durch das gesamte Turnier begleiten. Und doch gibt es in seiner Heimat in diesen Tagen ein zweites großes Thema: Die Angst vor einer Absprache zwischen Spanien und Kroatien. Sollten sich die beiden Mannschaften vor oder während der Partie auf ein 2:2 einigen, wäre Italien auch bei einem Sieg über Trapattonis Iren ausgeschieden. Als Italien mit einer solchen Konstellation bei der EM 2004 in Portugal leidvolle Erfahrungen machte, hieß der Trainer Trapattoni. Der Verband verlängerte seinen Vertrag nach dem Ausscheiden nicht.

Jetzt, acht Jahre später, sagt er: "Ich hoffe, dass die Dinge, die in der Vergangenheit passiert sind, nicht noch mal passieren. Die Leute werden genau schauen, was auf dem Platz passiert. Ein Unentschieden zwischen Spanien und Kroatien könnte Zweifel aufkommen lassen, aber ich glaube an das Gute im Menschen", sagt er.

Trapattoni ist der älteste Trainer dieser EM. Und der unterhaltsamste. Viele Iren sind trotzdem unsicher, ob er noch der richtige für den Umbruch nach der EM ist. Trapattoni kümmert das wenig. "Sofern die Fans das nicht wünschen, werde ich nicht zurücktreten. Ich habe die Leidenschaft zu bleiben. Und schon Ideen, wie wir an die WM-Qualifikation gehen", sagt er. Ein Sieg über seine geliebte Heimat würde ihm die Zeit bis dahin leichter machen.

Italien: 1 Buffon - 3 Chielini, 16 De Rossi, 19 Bonucci - 2 Maggio, 21 Pirlo, 5 Motta, 8 Marchisio, 13 Giacchierini - 11 Di Natale, 10 Cassano. Irland: 1 Given - 4 O'Shea, 2 St. Ledger, 5 Dunne, 3 Ward - 7 McGeady, 6 Whelan, 8 Andrews, 11 Duff - 14 Walters, 10 Keane. Schiedsrichter: Cakir (Türkei).