Im Gespräch mit seinem Biografen Roman Köster gibt sich Uwe Seeler optimistisch für die EM, kritisiert jedoch den geplanten neuen Modus.

Hamburg. Wenn die deutsche Nationalmannschaft heute (20.30 Uhr, ARD und Liveticker auf abendblatt.de) in Leipzig gegen Israel antritt, darf Uwe Seeler natürlich nicht fehlen. Vor dem letzten Testspiel vor der EM traf der Autor Roman Köster für das Abendblatt den Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. Köster begleitete Seeler als Reporter zu zwei Weltmeisterschaften, seit Jahrzehnten sind beide eng befreundet. Ihr großes Gesprächsthema bei einem zweistündigen Spaziergang durch St. Peter-Ording, Seelers bevorzugtes Feriendomizil, war natürlich die Nationalmannschaft.

Roman Köster: Uwe, du bist Ehrenspielführer, das ist Ehre, aber auch Verpflichtung. Wirst du vor der EM das Gespräch mit den aktuellen Spielern suchen?

Uwe Seeler: Roman, glaubst du denn im Ernst, die Profis von heute wollen von einem Profi von gestern hören, wie wir gesiegt, verloren und wieder gesiegt haben? Nee, nee.

Aber Tradition ist doch wichtig. Wir waren schließlich dreimal Europameister, dreimal Weltmeister.

Seeler: Tradition ist ja gut und schön. Aber die Zeiten haben sich geändert. Was sich aber nicht ändern darf, ist die Einstellung. Es muss dieser Ehrgeiz da sein, stets besser zu sein und selten zufrieden. Und dir muss immer klar sein, dass du den Lohn für deine Arbeit am Ende vielleicht nicht bekommst.

Na ja, finanziell wird es sich doch für jede teilnehmende Nation lohnen. Allein der Europameister bekommt von der Uefa eine Prämie von 23,5 Millionen Euro. Da muss dir doch ganz schwindelig werden.

Seeler: Mir wird nicht schwindelig. Ich kann nur warnen. Das Geld sollte nie die dominierende Rolle spielen. Aber mir ist auch klar: Von Grenzen, die der Mensch einmal erreicht hat, geht er freiwillig nicht zurück. 2016 werden statt 16 schon 24 Mannschaften an der EM teilnehmen. Für Vereine, die Nationalspieler abstellen müssen, ist das ein Horror. Ich hätte den Wettbewerb so belassen, wie er jetzt ist. Mit 16 Teams.

Den Spielern kann diese Diskussion herzlich egal sein. Der DFB hat eine Prämie von 300 000 Euro für den EM-Sieg ausgesetzt. Ich würde jeden Tag in die Kirche gehen, eine Kerze anzünden und mich beim lieben Gott für das tolle Leben bedanken.

Seeler: Roman, ich bin mir aber sicher, dass die Spieler heute wissen, dass sie ein sehr gutes Leben haben. Und ich bin überhaupt nicht neidisch. Im Gegenteil, ich bin dankbar. Meine Eltern haben mir eingebläut: Uwe, Fußball und Geld sind nicht alles. Familie und Gesundheit sind viel wichtiger. Und Vaddern hat immer gesagt: Dicker, du kannst nur ein Steak am Tag essen.

DFB-Sportdirektor Matthias Sammer hat die deutsche Mannschaft ganz schön unter Druck gesetzt. Im Abendblatt hat er gesagt: Eine große Mannschaft braucht einen Titel. Hat er recht?

Seeler: Natürlich hat er recht, Matthias ist schließlich ein kluger Kopf, das war er nicht nur auf dem Platz, das ist er jetzt auch in seiner Funktion des Sportdirektors. Seine Arbeit kommt auch Jogi Löw zugute. Denn die Anforderungen in technischer und taktischer Hinsicht sind enorm gewachsen.

Ich provoziere jetzt mal meinen Freund Uwe und behaupte: Für mich wäre Matthias Sammer sogar der bessere Bundestrainer.

Seeler: Einspruch. Wie kommst du denn darauf?

Ein anderer Bundestrainer hätte Lukas Podolski nach dessen Ohrfeige gegen den damaligen Kapitän Michael Ballack im Spiel in Wales im April 2009 suspendiert. Und ein Herr Lahm hätte sein Kapitänsamt seit seinem Buch mit Szenen aus dem Innenleben der Nationalmannschaft verloren.

Seeler: Das sehe ich völlig anders. Joachim Löw hat sich in seiner Rolle als planender und handelnder Coach nach und nach gefestigt. Früher galt er ja mal als Jasager. Er wurde der nette Herr Löw genannt. So habe ich das jedenfalls gelesen. Nett sein ist aber selten eine Grundlage, um im Hoch-leistungsbetrieb Fußball wirklich erfolgreich zu sein. Freundlich und höflich ist Löw geblieben. Seinen Stil sollten wir tolerieren.

Wäre ja schön, wenn er zumindest damit ein Vorbild für seine Spieler wäre. Aber ein Bastian Schweinsteiger übersieht nach der Niederlage im Finale der Champions League sogar die ausgestreckte Hand des Bundespräsidenten.

Seeler: Ganz ehrlich, Roman, ich kann den Jungen verstehen. Schweinsteiger ist Herz und Hirn bei den Bayern und verschießt dann den alles entscheidenden Elfmeter gegen Chelsea. Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen. Wie für mich 1966 nach dem verlorenen WM-Endspiel gegen England im Wembleystadion. Das tat auch verdammt weh. Aber ich habe der Queen immerhin gequält zugelächelt.

Uwe, heute ist alles so wissenschaftlich geworden. Jetzt tauchte im Trainingslager sogar ein Experte für Kinesiologie auf. Das ist eine Bewegungslehre, bei der das Gehirn durch ungewohnte Bewegungen aktiviert werden soll.

Seeler: Wie schön. Wem es hilft, dem gratuliere ich sehr herzlich. Mein Gehirn musste nicht aktiviert werden, wenn ich auf dem Platz stand. Kein Computer konnte mir vermitteln, wie man ins Tor trifft.

Uwe, lass uns über Namen und Positionen in der Nationalelf reden.

Seeler: Das mache ich nicht gern. Grau ist alle Theorie. Aber generell muss man sagen: Die Stärke der deutschen Mannschaft ist ihr zielorientiertes Miteinander. Die Blockbildung mit den Stars des FC Bayern erinnert mich an die Vergangenheit. 1954 verlor der 1. FC Kaiserslautern das Endspiel um die Meisterschaft in Hamburg mit 1:5 gegen Hannover. Trotzdem holte Herberger fünf Lauterer Spieler in den WM-Kader zur Endrunde in die Schweiz. Das Ergebnis ist bekannt: Wir wurden Weltmeister.

Uwe, aber jetzt mal Butter bei die Fische. In welcher Formation sollte Deutschland in die EM starten?

Seeler: Neuer im Tor ist eine Bank. In der Viererkette in der Abwehr sehe ich Boateng, Badstuber, Hummels und Lahm. Unser Mittelfeld mit Müller, Özil, Khedira, Schweinsteiger oder Kroos zählt weltweit zu den besten. Vorne strahlen wir mit Podolski und Klose enorme Torgefahr aus. Klose ist trotz Verletzungspause der beweglichere Mittelstürmer als Gomez.

Es wird spekuliert, dass Löw und Teammanager Oliver Bierhoff zum FC Bayern wechseln könnten.

Seeler: Man liest viel. Aber das ist Utopie. Beide haben doch einen tollen Job. Sie wären dumm, diesen aufzugeben.

Welche Auswirkung hätte eine erneute Schlappe heute in Leipzig gegen Israel nach dem 3:5 in Basel gegen die Schweiz ?

Seeler: Erstens bin ich in Leipzig dabei. Und wenn ich bei einem Länderspiel im Stadion war, hat unsere Mannschaft meistens gut gespielt und auch gewonnen. Zweitens darf man Testspiele nicht überbewerten. Da denkt doch jeder Spieler: Nur keine Fehler machen, nur nicht negativ auffallen. Ich bin mir ganz sicher, schon beim EM-Start gegen Portugal werden wir eine deutsche Mannschaft erleben wie bei den großartigen Qualifikationsspielen. Die Mannschaft spielte schnell, kreativ, offensiv. Sie war laufstark und spielbestimmend .

Uwe, wenn wir das Finale erreichen, bist du als Glücksbringer unentbehrlich.

Seeler: Roman, dann gewinnen wir das Finale gegen Spanien.