Der DFB-Manager Oliver Bierhoff im Abendblatt-Interview über das WM-Quartier, Investorenmodelle, extreme Belastung, die Magath-Kritik und mündige Profis.

Hamburg. Die Antwort auf die Frage, wie oft Oliver Bierhoff denn noch in Hamburg sei, kam wie aus der Pistole geschossen: „Viel zu selten“, sagte der Manager der Fußballnationalmannschaft, der seine Besuchsquote in dieser Woche zumindest wieder ein wenig aufbesserte. Am Donnerstag schaute der frühere Wahl-Hamburger, der zwischen 1988 und 1990 in 34 Spielen für den HSV auf Torejagd gegangen war, in seiner alten Heimat vorbei, traf sich beim Sportfive-Neujahrsempfang in der Hanse Lounge am Neuen Wall mit seinem langjährigen Freund Udo Bandow und nahm sich natürlich auch Zeit für ein ausführliches Interview. Wie es dem Abendblatt denn so gehe, wollte Bierhoff gleich zu Beginn des Gesprächs wissen, ehe Fragesteller und Antwortgeber wieder in ihre gewohnten Rollen schlüpften.

Hamburger Abendblatt: Herr Bierhoff, Jürgen Klinsmann, inzwischen Trainer des deutschen WM-Gruppengegners USA, hat neulich im Abendblatt gesagt, er werde seinem gesamten Team einen Portugiesisch-Kursus verordnen. Jeder Spieler müsse sich zumindest rudimentär im Land des WM-Gastgebers verständigen können. Müssen auch die deutschen Spieler auf die Schulbank?

Oliver Bierhoff: Wir werden wie vor jedem Turnier die Spieler mit Informationen ausstatten. Dazu gehören auch Formulierungen, damit man sich mal einen Kaffee in der Landessprache bestellen kann. Und ich weiß, dass wir Spieler wie etwa René Adler in unseren Reihen haben, die sich gern intensiv mit dem Land beschäftigen. Dennoch ist bei so einem Turnier die Atmosphäre eine ganz besondere. Es zählt, sich völlig auf das Ziel zu fokussieren. Man lebt da schon wie unter einer Glocke, was aber nicht heißt, dass wir nicht wahrnehmen, was um uns herum geschieht.

Andere Nationen sind da deutlich entspannter. Die Holländer etwa werden direkt an der Copacabana wohnen.

Bierhoff: Auch die Franzosen haben da eine andere Herangehensweise. Die Iren haben bei der EM ein Sheraton-Hotel gebucht, mitten unter anderen Gästen. Aber die Erfolgsquote dieser Teams bei Turnieren im Vergleich zu uns spricht nicht unbedingt für diese Taktik. Die Spanier dagegen haben bei der EM ein kleines, völlig abgeschiedenes Quartier für sich gebucht. Und sind damit nicht so schlecht gefahren.

Dennoch gibt es Kritik an Ihrer Wahl. Es heißt, dass sich der DFB ein eigenes Luxusquartier auf einer Halbinsel baut, um sich völlig abzuschotten.

Bierhoff: Diese Nachricht, die mehr vom Effekt als von der Realität getrieben ist, hält sich trotz der Dementi hartnäckig.

Klären Sie uns auf.

Bierhoff: Ein deutscher Unternehmer, der gerade Privathäuser in der Nähe von Porto Seguro baute, hat sich bei uns gemeldet. Wir nehmen auf die Planung nur in einigen Details noch Einfluss, etwa, dass er statt einer Küche in die Villen zunächst ein weiteres Schlafzimmer baut. Denn essen werden wir natürlich gemeinsam. Mein Ziel ist es, bei jedem Turnier neue Reize zu setzen. Diesmal werden wir nicht in einem Hotel, sondern in einer Art WG leben. Es gibt auch keine Rezeption. Jeweils sechs Spieler werden eine Villa beziehen. Das ist eine gute Konstellation, damit ein guter Teamspirit entstehen kann.

Teuer wird das trotzdem.

Bierhoff: Ich kann Ihnen versichern, dass andere, klassische Hotels zum Teil deutlich teurer gewesen wären. Und unser Quartier hat noch große logistische Vorteile. Trainingsplatz und Medienhotel liegen nur 1000 Meter entfernt, die Fahrt zum Flughafen dauert nur 45 Minuten.

Verstehen Sie, warum die Quartierfrage in Deutschland so emotional diskutiert wird?

Bierhoff: Es ist mein fünftes Turnier als Manager der Nationalmannschaft. Es gab immer Diskussionen. Ich weiß, was ich tue. Und deshalb ist mir auch klar: Bei einem frühen Ausscheiden war alles falsch.

Beim Confed-Cup gab es schwere Proteste in Brasilien gegen die Ungerechtigkeiten im Land. Dürfen sich Ihre Spieler eigentlich zu solchen Fragen äußern?

Bierhoff: Natürlich. Wir werden die Spieler auch über die Lage informieren, jeder soll sich dann vor Ort selbst ein Bild machen. Ich möchte nur nicht, dass wir als Besserwisser rüberkommen.

IOC-Präsident Thomas Bach betont stets, dass sich Sportler politisch neutral verhalten sollten.

Bierhoff: Es geht ja nicht ums Einmischen. Wir wollen den mündigen Profi. Dazu gehört auch, dass er zu gewissen Themen Stellung nehmen darf. Natürlich hoffe ich, auch im Interesse des Landes, dass der Sport im Mittelpunkt steht.

Manche Spieler haben in den sozialen Netzwerken Millionen Fans. Dürfen die Spieler beim Turnier nach Belieben twittern oder auf Facebook posten?

Bierhoff: Wir werden die Spieler noch einmal auf die Chancen und Risiken hinweisen. Es spricht nichts dagegen, ein Foto von einem privaten Strandausflug zu posten. Aber die Privatsphäre der Mannschaft darf dadurch nicht angetastet, der sportliche Erfolg nicht wegen eines Tweets gefährdet werden. Im Übrigen gibt es klare Regularien, die von Respekt gegenüber Gegnern, Schiedsrichtern und Mitspielern geprägt sind.

Stichwort sportlicher Erfolg: Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die langzeitverletzten Stürmer Miroslav Klose und Mario Gomez noch rechtzeitig fit werden?

Bierhoff: Ich rechne mit beiden. Mario wird in Florenz angesichts seiner Torgefahr sehr gebraucht. Er wird kontinuierlich spielen, wenn er wieder ganz gesund ist. Auch Miro wird das packen. Er ist enorm wichtig für uns, allein schon aufgrund seiner riesigen WM-Erfahrung.

In diesem Zusammenhang hat sich gerade erst Felix Magath zu Wort gemeldet, der sagte, bei ihm wäre Leverkusens Stefan Kießling gesetzt gewesen. Wie sehr ärgern Sie derartige Zwischenrufe von Experten?

Bierhoff: Ach, darüber ärgere ich mich nicht. Ich nehme derartige Statements zur Kenntnis. Manchmal denke ich mir meinen Teil und amüsiere mich noch ein wenig – das war es aber auch schon.

In der Taktik mit der sogenannten falschen Neun würde es sogar ganz ohne Stürmer gehen.

Bierhoff: Die Spanier demonstrieren das ja schon seit Jahren sehr erfolgreich. Es ist gut, variabel und dadurch für die Gegner unberechenbarer zu sein. Auch wir hätten mit Mario Götze, Mesut Özil oder Marco Reus entsprechende Spieler, die sich vorne durchsetzen – wir haben das ja auch schon bewiesen.

Hat HSV-Stürmer Lasogga noch eine kleine WM-Chance, wenn die Stürmernot vor der WM noch groß sein sollte?

Bierhoff: Ausschließen möchte ich nichts. Aber es müsste schon eine außergewöhnliche Situation gepaart mit außergewöhnlichen Leistungen auftreten, wenn ein völliger Newcomer noch eine Chance erhalten sollte.

Hätte ein Bierhoff in seiner aktiven Zeit unter einem Trainer Löw gespielt?

Bierhoff: (lacht) Das habe ich mich auch schon häufiger gefragt. Meine Torquote wäre ein sehr gutes Argument gewesen. Und ich glaube, ich würde sogar jetzt noch mehr Tore schießen, da die Qualität der Zuspieler noch viel höher ist. Uwe Bein beim HSV konnte zwar auch schon geniale Pässe spielen. Aber jetzt von einem Özil, einem Götze, einem Gündogan oder einem Reus als Stürmer bedient zu werden, muss ein Traum sein. Die gucken nach links und spielen einem den Ball trotzdem nach rechts in die Gasse. Andererseits bin ich nach einem kurzen Training mit den Jungs auch schnell auf dem Boden der Tatsachen. Das Tempo ist enorm.

Auch die Verletzungshäufigkeit ist gestiegen, besonders bei jüngeren Spielern.

Bierhoff: Ja, das beobachten wir mit einer gewissen Sorge. Ich habe darüber auch schon mit unserem Mannschaftsarzt Dr. Müller-Wohlfahrt gesprochen. Vielleicht ist die Belastung für die Spieler in ganz jungen Jahren inzwischen zu hoch. Die trainieren als 15-Jährige schon fast so intensiv wie die Profis, müssen aber noch zur Schule. Dazu kommen die vielen Reisen, auch mit den Auswahlteams. Die Bender-Zwillinge sind früher fast jeden Tag von Rosenheim nach München mit dem Zug zum Training gefahren, haben ihre Hausaufgaben dann unterwegs gemacht.

Beim Trend „Jugend forscht“ in der Bundesliga fällt auf, dass ältere Spieler deutlich früher aussortiert werden. Wird sich das fortsetzen?

Bierhoff: Ich denke ja. Schauen Sie sich nur einen Ronaldo oder einen Messi an. Diese Spieler spielen seit Jahren unter enormer Belastung auf Weltklasseniveau. Ich glaube nicht, dass das mit 33 oder 34 noch geht, nur in Ausnahmefällen. Vielleicht in der Abwehr, weniger aber als Offensivkraft.

Auch René Adler konnte durch seine Knöchelverletzung erneut die Vorbereitung auf die Rückrunde nicht mitmachen. Ist die WM für ihn in Gefahr?

Bierhoff: Das ist einzig und allein Sache der Trainer, dazu kann ich nichts sagen. Wir wissen aber, was René kann.

Derzeit dominieren die Bayern nach Belieben. Wird die Bundesliga irgendwann uninteressant.

Bierhoff: Auch der Kampf um die internationalen Plätze oder gegen den Abstieg ist ja spannend. Klar ist aber auch: Ein Alleingang ist nicht gut. Ich habe schon mal im Scherz zu unseren Bayern-Spielern gesagt: „Spielt nicht zu perfekt, sonst wird es langweilig.“

Alles andere als langweilig war die HSV-Mitgliederversammlung am vergangenen Sonntag. Die HSV-Basis hat mit großer Mehrheit für eine Ausgliederung und die Öffnung für Investoren gestimmt. Eine gute Entscheidung?

Bierhoff: Gute strategische Partner, wie sie etwa der FC Bayern gefunden hat, sind positiv zu bewerten. Aber natürlich muss man sich bei jedem Investor fragen, woher das Geld kommt und ob er eventuell nur Kapital aus dem Verein ziehen will. Auch das hat es schon gegeben. Es muss immer in der richtigen Balance bleiben.

Als Schreckensbeispiel dienen die Zustände in England. Etwa bei Chelsea mit Milliardär Abramowitsch.

Bierhoff: Das könnte man auch aus einer anderen Perspektive sehen. Selbst wenn ein Abramowitsch eines Tages gehen sollte, steht Chelsea noch immer viel besser da als vor seinem Engagement.

Wird auch in Deutschland irgendwann die „50+1-Regel“ gekippt?

Bierhoff: Obwohl ich in dieser Hinsicht grundsätzlich liberal eingestellt bin, kann ich mir das nicht vorstellen. Aktuell gibt es zu dieser Regelung keine Alternativen.

Herr Bierhoff, mit Bundestrainer Joachim Löw arbeiten Sie jetzt schon fast zehn Jahre zusammen. Gibt es Sie nur im Doppelpack?

Bierhoff: Nein. Wir bilden zwar ein sehr gutes Team, zu dem ja auch Hansi Flick und Andy Köpke gehören. Aber jeder kann auch alleine bestehen, wir sind ja auch vorher unsere individuellen Wege gegangen.

Zieht es Sie gar doch noch in die Bundesliga?

Bierhoff: Als ich meine Profikarriere anfing, habe ich, überspitzt formuliert, das Ende meiner Laufbahn schon geplant. Inzwischen habe ich gelernt, die Dinge auf mich zukommen zu lassen. Meinen Vertrag beim DFB habe ich ja gerade erst bis 2016 verlängert. Ich fühle mich sehr wohl, mit anderen Dingen beschäftige ich mich im Moment gar nicht, zumal wir ein großes Ziel vor Augen haben. Alles Weitere wird man dann sehen.

Wie oft mussten Sie denn dem HSV schon absagen?

Bierhoff: Es ist ja bekannt, dass ich sehr eng mit Udo Bandow befreundet bin, natürlich sind wir im Gespräch und tauschen uns aus. Aber vor einem ernsthaften Abschluss waren wir nie.