Warum sich einige deutsche Fußballfans das Finale ein kleines Vermögen kosten lassen - und es anderen schon reicht, die Atmosphäre in London zu spüren

London. Zur Mittagszeit sitzt im deutschen Café Zeitgeist in der Londoner Innenstadt eine Hand voll Fans von Bayern München und Borussia Dortmund gemeinsam an den dunklen Holztischen. Sie trinken Weißbier und Pils und essen Bratwurst mit Pommes frites und Ketchup. Der Ausfall von BVB-Mittelfeldspieler Mario Götze wird diskutiert. Und auch die Frage, ob sein Stürmer Robert Lewandowski am Sonnabend wohl zum letzten Mal das Trikot der Schwarz-Gelben tragen wird. Ein Bayern-Anhänger sagt, der BVB habe keine Chance. Ein BVB-Anhänger sagt, das sehe er aber ganz anders. Dann wird weitergegessen und -getrunken.

Die Atmosphäre ist nicht nur hier völlig entspannt; einen Tag vor dem Finale herrscht in der kühlen und verregneten britischen Hauptstadt noch die Ruhe vor dem Sturm. "Aber morgen", sagt die Kellnerin auf Deutsch, "wird hier die Hölle los sein. Wir erwarten 3000 Gäste, die das Spiel auf Großbildleinwänden gucken werden." Nur ein paar von ihnen werden Engländer sein, es werden vor allem Deutsche ohne Eintrittskarte erwartet.

Scotland Yard rechnet mit bis zu 10.000 Deutschen, die Endspielluft schnuppern wollen. Viele Dortmund- und Bayern-Anhänger haben sich auf den Weg nach London gemacht oder sind schon da, um vor Ort eine Eintrittskarte zu ergattern. Die Behörden warnen eindringlich davor, weil womöglich Betrüger ihr Unwesen mit gefälschten Tickets treiben und die Stadt ohnehin hoffnungslos überfüllt ist. Abhalten lassen sich davon aber nur die wenigsten Reisefreudigen.

90.000 Zuschauer werden im Wembley-Stadion zugegen sein, je 25.000 Tickets vergaben der BVB und die Bayern an ihre Fans. Bei beiden Klubs gab es 20-mal so viele Anfragen, fast eine Million Fans ging leer aus.

BVB-Fan Tim Kratz aus Solingen gehörte dazu. Er wollte trotzdem nach London fahren und vor Ort überlegen, ob er einen horrenden Preis zahlt, um live dabei zu sein. Dann entschied er sich anders: Er ersteigerte ein Ticket bei Ebay - für 905 Euro. Im Vergleich zu den beim umstrittenen Tickethändler Viagogo aufgerufenen Preisen war es sogar noch ein Schnäppchen. Dort kostete eine Eintrittskarte noch Mitte der Woche 1500 Euro inklusive Gebühren, erst am Freitag fielen die Preise auf knapp 1000 Euro. 905 Euro sind immer noch das Dreizehnfache des Originalpreises, "aber ich konnte einfach nicht anders. Wenn ich mir vorstelle, dass wir gewinnen und ich nicht im Stadion feiern kann - das geht nicht."

Also holte der 25-Jährige das Ebay-Ticket bei dem Verkäufer in Kassel persönlich ab und fuhr am Freitagmorgen mit dem Auto nach London. Dort checkte mit vier Freunden für 200 Euro pro Person und Nacht in einem Hotel ein. Zwei hatten Glück bei der Ticketverlosung, die beiden anderen planen den Besuch eines Pubs. "900 Euro für ein Ticket? Das geht zu weit. Es ist immer noch nur Fußball."

Das sehen viele Bayern- und Dortmund-Fans anders. Sie werden am Sonnabend mit der U-Bahn zum Wembley-Stadion fahren und mit jenen Menschen ins Gespräch kommen, die kleine Pappschilder mit der Aufschrift "Need tickets?" hochhalten. Sie werden für bis zu 2500 Euro gehandelt.

Woher die Tickets stammen? Klar ist: Von den 40.000 Eintrittskarten, die nicht direkt von den Finalteilnehmern verlost wurden, gingen 9000 in den freien Verkauf, dazu wurden viele Tausend Tickets bei Gewinnspielen verlost oder an Sponsoren geliefert. Wie bei allen ausverkauften Großereignissen ist auch beim Champions-League-Finale bei vielen Kartenbesitzern die Versuchung groß, einen vierstelligen Gewinn einzuheimsen.

"Für kein Geld der Welt würde ich meine Karte abgeben", sagt ein Bayern-Fan, der im Caffe Nero am Green Park eine Cola trinkt und schlägt vor: "Bieten Sie mir 10.000 Euro. Ich werde ablehnen." Er ist mit seiner Freundin nach London gereist, gemeinsam besichtigen sie vor dem Spiel die Sehenswürdigkeiten. Auch das machen viele Deutsche.

Vor dem Buckingham Palace jubeln zwei Dutzend BVB-Fans dem Dortmunder Stadionsprecher Norbert Dickel zu, der sich auf einem offenen, schwarz-gelb bemalten Doppeldeckerbus durch die Stadt kutschieren lässt und Videos dreht. Am Flughafen London-City werden die Passagiere von jungen Frauen in Fußballkostümen empfangen. Eine kleine Gruppe Bayern-Fans singt an den Taxiständen vor dem Terminal Anti-Dortmund-Lieder. Später am Freitagnachmittag reckt ein Mann im Dortmund-Trikot vor dem Hotel Ritz Carlton eine Champions-League-Trophäe aus Pappe in die Höhe und singt: "Europapokal, Europapokal, Europapokal."

Die Spannung in London steigt stündlich, die letzten Vorbereitungen werden getroffen. Vor allem im Café Zeitgeist ist noch eine wichtige Sache zu erledigen: An der Bar hängen ein BVB-, ein Deutschland- und ein Köln-Schal übereinander. Was fehlt, ist ein Schal des FC Bayern. Bislang hat es kein Münchner gemerkt.