Bayer Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler spricht über die Ziele seines Klubs, den Rivalen Hamburg und seine Zeit als Teamchef.

Leverkusen. Er ist gebürtiger Hanauer, aber seine Heimat hat Rudi Völler, 52, längst in Leverkusen gefunden. 1996 beendete er bei Bayer, am Sonnabend (15.30 Uhr) der letzte HSV-Gegner in diesem Jahr, seine Karriere, danach wechselte er ins Management. Nach vier Jahren als DFB-Teamchef (2000-2004) und einer kurzen Episode bei AS Rom wurde er 2005 wieder Sportdirektor in Leverkusen.

Hamburger Abendblatt: Herr Völler, der HSV hat sich in Brasilien auf das Spiel gegen Leverkusen "vorbereitet". Ist das in Ihren Augen eine Schnapsidee oder eine sinnvolle Einnahmequelle?

Rudi Völler: Ich würde das weder loben noch verdammen. Wenn man es den Spielern so bequem wie möglich macht, kann man das für solch einen Betrag schon mal machen. Soweit ich das mitbekommen habe, war die Reise gut organisiert. Dass vor Ort einiges schiefläuft, na ja. Ich war schon oft in Brasilien und weiß, dass es dort mal chaotisch sein kann. Sollten wir solch ein Angebot erhalten, würden wir das intensiv diskutieren, mit den Trainern besprechen.

Sie treffen am Sonnabend auf einen alten Bekannten. Schmerzt es Sie, René Adler jetzt so spielen zu sehen?

Völler: Ich versuche, ganz ehrlich zu antworten. Wir alle bei Bayer freuen uns total für René, dass er wieder die Kurve bekommen hat. Er hatte tolle Jahre bei Bayer. Dann rutschte er von einer Verletzung in die nächste, dazu kam, dass sein Vertrag auslief. Wir konnten uns erst nicht einigen mit der Vertragsverlängerung. Und als wir Bernd Leno, zunächst leihweise, holten, merkten wir schnell: Das ist der Torwart unserer Zukunft. Im Grunde sind wir doch alle happy.

Und jetzt sind Leno und Adler Konkurrenten um das DFB-Tor.

Völler: Im Grunde versucht ja jeder Verein, seinen Torhüter in die Nationalmannschaft zu singen. Wenn heute einer irgendwo zweimal angeschossen wird, muss er sofort in die Nationalmannschaft. Für mich, ganz ohne Vereinsbrille, ist Manuel Neuer mit Abstand die Nummer eins. Danach gibt es fünf, sechs Torhüter, die ohne Probleme die Nummer zwei sein könnten. Dazu gehören die zwei, die am Wochenende gegeneinander spielen. Die sind alle auf einem Niveau, Torwarttrainer Andreas Köpke könnte würfeln und würde nichts falsch machen.

Zurück zum HSV. Wie bewerten Sie die jüngste Entwicklung?

Völler: Dass der HSV zu Saisonbeginn unter seinen Möglichkeiten geblieben ist, da sind wir uns wohl alle einig. In der Mannschaft steckt mehr drin, das haben sie in den vergangenen Wochen gezeigt. Für uns ist der HSV ein großer Konkurrent für die vorderen Plätze, das sehen wir total realistisch. Hinter den Bayern, die sicher Meister werden, und Dortmund. Wir versuchen immer, zwischen Platz drei und acht zu landen.

Darf man das in Leverkusen sagen, dass man auch mal auf Rang acht einläuft?

Völler: Natürlich wollen wir nicht Achter werden, aber es kann schon mal passieren. Man muss ja realistisch sehen, was machbar ist. Dass Bayern finanziell in einer anderen Liga spielt, ist klar. Die sind Welten weg. Dazu gibt es den BVB, die einige Dinge sehr gut gemacht haben, deshalb sind sie auch zweimal Meister geworden und haben sich einen finanziellen Background erarbeitet. Dann gibt es die Wolfsburger, die auch nicht scherzen, was die Ausgaben betrifft. Wir sind ein Verein mit fünf, sechs anderen Klubs, die mit einem ähnlichen Etat in die Saison gehen. Deshalb ist der HSV ein Rivale im Kampf um die internationalen Plätze.

Sie leben finanziell mit Bayer im Rücken nicht im Schlaraffenland?

Völler: Das täuscht. Wir erhalten sicher eine große Unterstützung, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Unser Zuschauerschnitt liegt unter 30.000, der HSV erreicht fast doppelt so viel. Was wir von Bayer bekommen, ist bei diesen Stadion-Kapazitäten schnell aufgebraucht. Wir müssen viele Dinge richtig machen, um vernünftige Transfers zu tätigen. Bei uns ist es nicht so, dass wir sagen: Wir kaufen jetzt einfach mal ein, das wird schon irgendwie gehen. Das geht nicht. Für uns war es schon ein großer Erfolg, dass wir Schürrle und Bender behalten konnten, dass wir da nicht schwach geworden sind. Bevor wir hier Spieler holen, müssen wir auch abgeben. Schon in der Vergangenheit haben wir gezeigt, dass wir Topspieler für viel Geld verkauft haben, um in unserem Budget zu bleiben.

Ist es also ungerecht, von Leverkusen den ersehnten Titel zu fordern?

Völler: Wir waren ja einige Male ganz nah dran, vor zehn Jahren hätten wir es verdient gehabt, da waren wir die Besten. Vor zwei Jahren lagen wir vor den Bayern, das ist schon für sich eine Sensation, aber die Dortmunder haben es eben noch besser gemacht. Dass wir gerne mal einen Titel gewinnen würden, ist logisch. Aber ich sage Ihnen was: Heute ist ein zweiter oder dritter Platz etwas ganz anderes als früher.

Wie meinen Sie das?

Völler: Wenn du in die Champions League einziehst, ist es im Grunde so, als ob du einen Pokal in den Händen hältst. Ich weiß nicht, was einen größeren Wert hat, wenn du Zweiter in der Liga oder Pokalsieger geworden bist. Natürlich, als Pokalsieger ist der Tag schön, alle liegen sich in den Armen, aber in die Champions League zu kommen ist nicht nur finanziell, sondern auch aus sportlichen Aspekten ein Riesenerfolg.

Müssen Sie heute noch mit den Imageproblemen von früher kämpfen?

Völler: Ich stamme ja noch aus der Generation, die in den 80er-Jahren nach Leverkusen kam und fast die Zuschauer per Handschlag begrüßen konnte, so ruhig war es. Heute hat sich viel geändert, wir haben ein tolles Stadion. Auch wenn uns noch der Meistertitel fehlt, haben wir uns deutschland- und europaweit einen Namen gemacht. Bei allem Respekt vor dem HSV und seinen Titeln, aber international brauchen wir uns in den letzten zehn, 15 Jahren nicht vor Hamburg zu verstecken, weil wir einfach häufiger dabei waren. Wissen Sie, was aber unsere beste Idee war?

Bitte, sagen Sie es.

Völler: Die Werkself-Kampagne unserer Marketing-Abteilung. Früher haben die Spieler, wenn sie unterwegs waren, noch die Hand auf das Bayer-Kreuz gehalten, damit es niemand sieht. Wir haben diese Beschimpfungen, Werkskicker oder Pillendreher aus Leverkusen, einfach umgedreht und gesagt: Wir sind stolz, dass wir das sind, identifizieren uns hundertprozentig damit.

Sie haben bis 2017 verlängert, ist Bayer ihre letzte Station?

Völler: Als die Anfrage kam, musste ich nicht lange überlegen, weil ich mir in der Position nicht vorstellen kann, noch mal zu einem anderen Verein zu wechseln. Mein Ziel war es nie, den Trainer zu machen, auch wenn ich bekanntlich meine Abenteuer als Trainer erlebt habe. Ich merkte, dass ich mich bei der täglichen Arbeit schnell verbrauche.

Wenn Sie heute die vielen Talente in Deutschland sehen: Haben Sie damals zu früh aufgegeben als Bundestrainer?

Völler: Stimmt, so eine Ansammlung an Topspielern hatten wir seit 30, 40 Jahren nicht. Aber ich bereue meinen Rücktritt nach der EM 2004 bis heute nicht, weil ich weiß, dass es damals die richtige Entscheidung war. Sicher, bei mir wird immer gerne mal was verziehen, mich hätte ja niemand entlassen. Nur, wenn du zwei Jahre vor der WM im eigenen Land nur Freundschaftsspiele hast und dann diese Negativerlebnisse von der EM als Hypothek mitschleppst ... Nein, ein Neuer musste her, um eine gewisse Euphorie zu entfachen.

Trauen Sie denn dem DFB-Team 2014 den Titel zu?

Völler: Zuletzt hat immer ein kleiner Tick gefehlt. Natürlich ist es Pech, dass die Spanier über solch eine Ausnahme-Mannschaft verfügen. Wir gehören sicher zu den vier Topfavoriten, aber auch nach dem Turnier in Brasilien geht es weiter. Bei so vielen Toptalenten bin ich bin fest davon überzeugt, dass es irgendwann mit dem Titel klappen wird.

Leiden Sie mit Joachim Löw, wenn Entscheidungen öffentlich seziert werden?

Völler: Ich kenne das ja, der Anspruch in Deutschland ist immer, oben mitzuspielen, egal, wie gut der Kader gerade ist. Aber das muss man wissen, wenn man den Job macht. Alle wollen mitreden, schließlich ist es die Mannschaft eines jeden Bürgers. Wenn man gewinnt, ist es schön. Wenn nicht, muss man auch mal durch.

Was haben Sie aus der Zeit als Nationaltrainer mitgenommen?

Völler: Vier Jahre den wichtigsten Trainerposten zu bekleiden prägt natürlich. Ich habe gelernt, mit Druck umgehen zu können. Auch bei Bayer ist der Druck riesengroß, aber es gibt keinen größeren Druck als den, den ich in den vier Jahren als Bundestrainer hatte. Man reift mit der Aufgabe, mit den Erfolgen, aber auch den Misserfolgen.

Wie oft werden Sie noch auf Ihre Wutrede nach dem Island-Spiel angesprochen?

Völler: Dafür bin ich schon zu lange dabei. Ich weiß, dass das Geschäft so funktioniert, im Grunde meinen es die Leute ja gut. Du wirst ja immer auf Waldi und meine Wutrede angesprochen, selbst auf Frank Rijkaard. Ob in Chile oder in Asien, es gibt immer Menschen, die dann sagen: 1990, Frank Rijkaard! Das ging um die Welt und wird mich bis an mein Lebensende begleiten. Aber damit habe ich kein Problem.

Dabei haben Sie kürzlich gesagt, Sie seien eher harmoniesüchtig.

Völler: Trotzdem nehme ich mir das Recht heraus, meine Mannschaft, meinen Verein oder mich zu verteidigen, wenn ich das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden. Es geht nicht darum, nur gut auszusehen, das interessiert mich nicht. Authentisch zu sein ist mir schon wichtig.