Die Fifa erlaubt künftig technische Hilfsmittel. Umstrittene Entscheidungen wie beim Torklau von Donezk oder Wembley-Tor soll es nicht mehr geben.

Zürich. Der Fußball steht vor der größten Revolution seiner jüngeren Geschichte. Die Regelhüter des International Football Association Board (Ifab) sprachen sich am Donnerstag in einer bemerkenswerten Entscheidung in Zürich für die Einführung technischer Hilfsmittel bei umstrittenen Entscheidungen aus. Würden Torkamera oder Chip im Ball flächendeckend eingeführt, wäre der Fußball endlich in der Neuzeit angekommen. Doch nach der Erklärung blieben Zweifel. Die neuen Regeln gelten zunächst nur für ausgewählte Wettbewerbe.

Joseph Blatter, Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa, verschwand ganz schnell. Fragen der wartenden Medien zur bahnbrechenden Entscheidung wollte der Schweizer nicht beantworten. Die historische Entscheidung steht für sich, sollte Blatters Haltung wohl bedeuten. Doch geklärt ist nichts. Ob und wann die Systeme Hawk-Eye oder GoalRef zur zweifelsfreien Torerkennung auch in Deutschland zum Einsatz kommen, ist völlig offen. Die nationalen Funktionäre von Fußball-Bund (DFB) und Fußball-Liga (DFL) müssen selbst aktiv werden.

Sicher ist bislang nur: Erstmals sollen Schiedsrichter bei der Club-WM im Dezember in Japan die sogenannte Torlinien-Technologie zu Rate ziehen können. Beim Confederations Cup 2013 und der WM 2014 in Brasilien wird die Technik dann einem weltweiten Publikum präsentiert. Skandalöse Vorfälle wie das Wembley-Tor 1966, Englands nicht gegebener Treffer gegen Manuel Neuer in Südafrika 2010 oder zuletzt John Terrys Rettungsaktion bei der EM für England gegen die Ukraine deutlich hinter der Linie sollen dann Geschichte sein.

"Natürlich ist dies ein ganz entscheidender Tag für den Fußball", sagte Fifa-Generalsekretär Jérôme Valcke. "Jahrelang wurde diskutiert. Nun haben wir eine klare Richtlinie." Beide zur Auswahl stehenden Systeme müssten noch einen "Prüfstempel" der Fifa als Zertifikat erhalten und ständig auf ihre Tauglichkeit überprüft werden.

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Deutschlands Liga-Präsident Reinhard Rauball hat die Entscheidung begrüßt. "Ich freue mich, dass die Tür für die Torlinien-Technologie und den Chip im Ball jetzt offen ist. Das ist für die Zukunft des Fußballs ein erster wichtiger Schritt", sagte der Vereinschef von Borussia Dortmund der "Bild"-Zeitung.

Den Fußballfan dürfte ob der Unklarheit schon bald verwirrt sein. Denn in den Spielen der WM-Qualifikation für das Turnier 2014 in Brasilien wird es keine Hilfsmittel geben - hier zählt weiterhin das spontane Urteil der Schiedsrichter.

Ein Verlierer des Tages ist auf jeden Fall Michel Platini, Präsident der Europäischen Fußball-Union (Uefa). Sein bevorzugtes, aber allzu menschliches System mit zwei zusätzlichen Torlinien-Richtern soll weiter geduldet werden. Doch verweigert Europas Verband wie angekündigt die Technik bei seinen Top-Wettbewerben Champions League und Europameisterschaft, dürfte der Ruf nach Hilfsmitteln bei der nächsten Fehlentscheidung noch lauter werden. Die nächste Fehlentscheidung kommt bestimmt.

Alle nationalen Verbände und Profiligen wie die Bundesliga oder die englische Premier League können selbst über eine Einführung der aufwendigen Systeme entscheiden - müssen aber auch die Kosten in erwarteter Millionenhöhe selber tragen. "Zum DFB kann ich nichts sagen. Der Ball liegt bei ihnen", sagte Valcke.

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Rauball und DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hatten wohl eine definitive Klärung der Finanzfragen vom Weltverband erhofft. Eine Einführung in der Bundesliga schon zur neuen Saison ist für Rauball "absolut ausgeschlossen". Er könne sich das "frühestens zur Saison 2013/14" vorstellen. Und selbst dann ist die Ausstattung aller Bundesliga-Stadien mit der bis zu 200 000 Dollar teuren Ausrüstung eine fast aussichtslose Aufgabe. Unklar ist auch, was die Entscheidung für die unteren Ligen bedeutet.

Obwohl mit einer positiven Entscheidung gerechnet worden war, dauerte die Sitzung des Ifab-Gremiums deutlich länger als geplant. Womöglich bekamen die Regelhüter Angst vor der eigenen Courage und weichten den Beschluss noch einmal auf. Valcke wies darauf hin, dass die Entscheidung den Fußball spalten könne und nur reiche Verbände wie die Fifa selbst sich die Technik leisten könne. Und Valcke stellte klar: Der Anfang ist zugleich das Ende. Weitere Technik wird es im Fußball nicht geben.

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Gewinner des Tages sind die Produzenten der Systeme Hawk-Eye und GoalRef. Die aus dem Tennis bekannte Technologie Hawk Eye stammt aus England. Bis zu sechs Kameras nehmen das Spielgeschehen auf und funken Bilder an einen zentralen Computer, der aus der Bildersumme die Position des Balles berechnet und bei einem Tor ein Signal auf die Armbanduhr des Schiedsrichters sendet. Sollte allerdings ein Spieler auf dem Ball liegen, können keine Bilder aufgenommen werden.

An der Entwicklung des sogenannten "intelligenten Tores" GoalRef war das Fraunhofer Institut in Erlangen maßgeblich beteiligt. Im Torrahmen wird dabei ein Magnetfeld erzeugt. Der Ball enthält drei Magnetspulen. Überschreitet der Ball die Torlinie, wird durch das Magnetfeld im Tor ein Magnetfeld im Ball aktiviert und ein zugeschalteter Computer sendet ebenfalls ein Signal an den Schiedsrichter. Spezielle Bälle, mit denen die Technik angewendet werden kann, sind bereits entwickelt worden.

Fifa-Chef Blatter hatte sich erst nach den Fehlentscheidungen bei der WM 2010 in Südafrika für neue Technologien ausgesprochen. Bei der EM 2012 zeigte sich das System mit Torrichtern als anfällig.

Mit Material von dpa