Die deutsche Nationalmannschaft verlor das Halbfinale gegen Italien mit 1:2. Die Defensive offenbarte bei den Gegentoren Schwächen.

Warschau. Aus und vorbei. Als der französische Schiedsrichter Stephané Lannoy um 22.38 Uhr das Halbfinale abpfiff, flossen Tränen. Die schwarze Serie der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien geht weiter - sie kann gegen die Squadra Azzurra bei großen Turnieren einfach nicht gewinnen. Die mit so großen Ambitionen in das EM-Turnier gestartete DFB-Auswahl verlor das Halbfinale mit 1:2 (0:2) und muss heute die Heimreise nach Frankfurt antreten. Es war die erste Pflichtspielniederlage für Joachim Löw nach 15 Siegen seit dem 0:1 im WM-Halbfinale 2010 gegen Spanien.

Nur Minuten später stellte sich der Bundestrainer und war wirkte gefasst. "In der Kabine lassen die Spieler die Köpfe hängen, keiner spricht ein Wort", berichtete Löw und nahm sie in Schutz: "Die Mannschaft hat unheimlich viel Qualität. Sie wird sich weiterentwickeln und lernen. Kompliment an die Mannschaft, wie sie in der zweiten Halbzeit alles versucht hat." Doch nicht nur die Spieler hatten ein großes Spiel verloren, sondern auch Löw selbst, dessen Plan nicht aufgegangen war.

Anders als bei den vergangenen Partien konnte Löw sein Geheimnis um die Startaufstellung diesmal ein paar Stunden länger hüten. Umso größer war die Verblüffung, als Pressechef Harald Stenger um 19.34 Uhr die "erste Elf" öffentlich machte. Während die Nominierung von Mario Gomez für Miroslav Klose noch als Überraschung mittlerer Größe eingeordnet wurde, durfte Toni Kroos' erster Auftritt von Anfang an fast schon als Sensation bezeichnet werden. Für den 22-Jährigen mussten sowohl Thomas Müller als auch der gegen Griechenland so starke Marco Reus zunächst auf die Bank. Dort fand sich auch André Schürrle wieder, der für Lukas Podolski weichen musste.

"Ich wollte die Zentrale mit Toni Kroos stärken, deshalb habe ich Toni in die Mannschaft gebracht", sagte Löw. Dies schien anfangs zu funktionieren. Italiens zuvor so gepriesener Andrea Pirlo fand gegen das massive DFB-Mittelfeld überhaupt nicht ins Spiel, während die deutsche Mannschaft immer wieder gefährlich vor Gianluigi Buffons Tor auftauchte. Allerdings konnten weder Mats Hummels (5.) noch Kroos (13.) den Führungstreffer erzielen, der dann auf der Gegenseite fiel.

+++ Glückloses Deutschland verliert gegen starke Italiener +++

Die erste Unkonzentriertheit in der deutschen Abwehr - Hummels und Jerome Boateng ließen Antonio Cassano flanken, Holger Badstuber verlor das Kopfballduell gegen Mario Balotelli - nutzte das Enfant terrible eiskalt zum 1:0 aus (20.). Zuvor hatte Mesut Özil allerdings nicht nachgesetzt und Italiens Pirlo an der Mittellinie in Ruhe auf die linke Seite zu Cassano flanken lassen.

Die Frage, wie das DFB-Team auf den ersten Rückstand des Turniers reagieren würde, wurde nur eine Viertelstunde später mit einem Ausrufezeichen beantwortet: hilflos! "Wir waren fahrig und nicht mehr so gut organisiert", bemängelte Löw. Das wurde bestraft. Die hoch aufgerückte Abwehr ließ sich von einem klugen langen Ball von Montolivo überraschen, den zu allem Überfluss Philipp Lahm auch noch unterlaufen sollte. Der lauernde Balotelli kannte keine Gnade, nahm den Ball an und drosch ihn aus 16 Metern unter die Latte. Der zweite Torschuss von "Super-Mario", der zweite Treffer: 2:0 für Italia. Mamma mia!

Nichts zu sehen war in der ersten Hälfte von dem schnellen Kombinationsspiel, das die Deutschen zuletzt ausgezeichnet hatte, Italien konnte sich stets in der Defensive sortieren. Auch Özil, der sich zumeist auf rechts tummelte, konnte selten Akzente setzen.

Löw reagierte in der Pause, wechselte Reus und Klose für Podolski und Gomez ein, die in den ersten 45 Minuten praktisch nicht am Spiel teilgenommen hatten. Warum er aber das kompakte Mittelfeld mit Schweinsteiger und Kroos, die beide gestern kein höchstes internationales Niveau erreichten, nicht entzerrte, blieb an diesem Abend Löws Geheimnis.

Dennoch: Der Start verlief verheißungsvoll. Erst kam Reus frei zum Schuss, traf den Ball aber nicht richtig (48.), dann zielte Philipp Lahm drüber (49.). Sein ganzes Können musste Torhüter Buffon zeigen, als er einen Freistoß von Reus mit den Fingerspitzen gerade noch an die Latte lenkte (62.).

Deutschland kämpfte zwar, doch Italien wirkte reifer, abgeklärter und kontrollierte das Geschehen, und so blieb der Krampf des Doppeltorschützen Balotelli nach 67 Minuten zunächst das einzig Erwähnenswerte. Löw setzte seinen letzten Joker, ersetzte Boateng durch Thomas Müller. Doch immer wieder konnten sich die Italiener befreien und hatten mehrfach die Chance, auf 3:0 zu erhöhen, wie durch Marchisio, der frei vor Manuel Neuer verzog (75.), und di Natale (82.), der einen Konter fahrlässig vergab (82.).

+++ Podolski und Schweinsteiger waren wieder Ausfälle +++

Erst in der Nachspielzeit, als Özil den von Balzaretti verschuldeten Handelfmeter verwandelte (90.+2), keimte kurz Hoffnung auf. Vergebens.

Die Euphorie um die DFB-Elf, sie wurde jäh beendet. Und es blieb die Erkenntnis, dass sich Löw, der noch gegen Griechenland so für seine mutigen Umstellungen gefeiert wurde, diesmal verzockte. Es blieb die Gewissheit, dass diese Spieler eben noch kein ganz großes Team sind. Und es wurde deutlich, dass es nicht die Saison der Bayern war - gegen Italien spielten (inklusive Einwechslungen) acht aktuelle und drei ehemalige Münchner Profis.

Deutschland: Neuer - Boateng (71. Müller), Hummels, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Özil, Kroos, Podolski (46. Reus) - Gomez (46. Klose). Italien: Buffon - Balzaretti, Barzagli, Bonucci, Chiellini - Pirlo, de Rossi - Marchisio, Montolivo (64. Motta) - Balotelli (70. di Natale), Cassano (58. Diamanti). Tore: 0:1, 0:2 Balotelli (20., 36.), 1:2 Özil (90.+2, Handelfmeter). Schiedsrichter: Lannoy (Frankreich). Zuschauer: 56 070 (ausverkauft). Gelb: Hummels - Bonucci, Balotelli, de Rossi, Motta.