Vor dem Länderspiel gegen Schweden am Millerntor spricht die Frauenfußball-Bundestrainerin über ihr Team, das frühe WM-Aus und die Zukunft.

Hamburg. Hochgejubelt, tief gefallen. Bundestrainerin Silvia Neid, 47, stand nach dem frühen Ausscheiden der Frauen-Nationalmannschaft bei der Heim-WM urplötzlich in der Kritik. Experten forderten ihren Rücktritt. Doch Neid lehnte ab. Vor dem heutigen Freundschaftsspiel am Millerntor gegen Schweden (18 Uhr, ARD) sprach sie mit dem Abendblatt über bedenkliche Werbebotschaften, die Ungerechtigkeit des Olympia-Qualifikationsmodus und eine SMS von Joachim Löw.

Hamburger Abendblatt: Kann man das Freundschaftsspiel gegen Schweden als eine Chance zur Rehabilitation verstehen - getreu dem Motto: Wir können auch den WM-Dritten schlagen?

Silvia Neid: Irgendwie schon. Wir sind zwar im Viertelfinale ausgeschieden, aber wir waren qualitativ nicht schlechter als Schweden - wir konnten es bei der WM nur nicht zeigen.

Und warum nicht?

Neid: Das ganze Drumherum, das haben die Frauen einfach nicht verkraftet. Wir standen während des Turniers permanent im Fokus. Jeder Schritt unserer Spielerinnen wurde beobachtet. Wenn sie in die Stadt mal shoppen gegangen sind, hatten sich sofort einige Fotografen an ihre Fersen geheftet. So etwas kannten sie bisher nicht. Wir sind in dieser Situation mit dem Druck, der auf unsere Spielerinnen eingeprasselt ist, nicht richtig umgegangen.

Neid hofft gegen Schweden auf echte Millerntor-Atmosphäre

War der entstandene Druck nicht auch ein Stück weit selbst gemacht? Überall hingen Plakate der öffentlich-rechtlichen Sender, auf denen zu lesen war: "Dritte Plätze sind was für Männer."

Neid: Dieser Werbespruch kam nicht von uns. Wir waren sehr überrascht davon. Durch diese Plakate wurde suggeriert, wir würden wieder Weltmeister, und unsere Männer würden es im Gegensatz zu uns nie schaffen, den Titel zu holen. Diese Botschaft würden wir sicherlich nicht absenden. Natürlich ist das irgendwo auf uns zurückgefallen.

Haben Sie sich ausgeliefert gefühlt?

Neid: Nein, wir wollten diese mediale Aufmerksamkeit ja auch. Aber man kann vielleicht sagen, dass wir nicht solche Rückzugsmöglichkeiten hatten wie beispielsweise unsere Männer-Nationalmannschaft bei der Heim-WM 2006. Wir waren nicht so abgeschirmt. Bei uns durfte jeder rein ins Hotel, hatte freien Zugang zur Lobby. Wir waren offen für alles und haben auch vieles mitgemacht, aber das sind Punkte, aus denen wir jetzt gelernt haben.

Durch das WM-Aus im Viertelfinale haben Sie auch die Olympia-Teilnahme verpasst. Ist das gerecht?

Neid: Man muss bei der WM mindestens ins Halbfinale kommen - das ist eine enorm hohe Hürde. Auf anderen Kontinenten wird noch ein separates Qualifikationsturnier für die Olympia-Teilnahme ausgerichtet. Solch eine Regelung würden wir uns natürlich auch für Europa wünschen. Ich glaube allerdings, dass sie nicht praktikabel wäre. Es fehlt schlichtweg die Zeit für ein europäisches Qualifikationsturnier.

Jetzt geht es um die Qualifikation für die EM 2013 in Schweden.

Neid: Ja, wir stehen momentan gut da, haben zwei Partien gewonnen. Und schon werden Stimmen laut, die sagen, wir müssen Europameister werden. Ich kann dazu nur sagen: Es ist schwer, Titel zu holen. Andere Nationen schlafen nicht. Deshalb ist es für uns wichtig, uns weiterzuentwickeln. Und auch das wird schwer, denn die überdurchschnittlichen Spielerinnen fallen nicht vom Himmel.

Gibt es ein Nachwuchsproblem im deutschen Frauenfußball?

Neid: Der Unterbau ist schon vorhanden, aber der Schritt von den Junioren in den Frauenbereich ist riesig - vom Tempo her, aber auch von der Taktik, Technik und Athletik. Maren Meinert, die Trainerin der U19- und U20-Nationalmannschaft, hat mir ganz klar gesagt, dass ich für den Moment mit keiner neuen Spielerin rechnen kann.

Trotzdem haben Sie sich entschieden, als Bundestrainerin weiterzumachen. Hat Ihnen auch Ihr Kollege Joachim Löw dazu geraten?

Neid: Der Jogi hat mir damals eine ganz, ganz nette SMS geschrieben. Den Inhalt werde ich nicht verraten. Nur so viel: Seine Worte waren treffend und sehr anspornend.

Gibt es etwas, das Ihre Mannschaft von der Männer-Nationalmannschaft lernen kann?

Neid: Ja, im Moment sogar sehr viel. Die Spielfreude, das Kurzpassspiel, nach Ballgewinn schnell in die Tiefe zu spielen. Was man dafür braucht, ist Technik, eine gewisse Spielintelligenz und die Spielkontrolle auch unter hohem gegnerischen Druck. Und da haben unsere Spielerinnen Defizite. Nicht umsonst spielen wir häufig gegen männliche Jugendmannschaften. Wir brauchen das, um international bestehen zu können.

Ist die Frauen-Bundesliga zu schwach im Vergleich zum internationalen Wettbewerb?

Neid: Nein, sie ist im Vergleich zu anderen Ligen sogar sehr stark. Aber es ist ein Unterschied auf internationalem Niveau mit den Nationalmannschaften zu spielen. Jogi beispielsweise braucht mit seiner Mannschaft keine lange Turniervorbereitung machen, weil die Spieler in guter Form anreisen. Bei uns ist es eher vergleichbar mit der Situation im Frauen-Hockey. Ich habe gelesen, dass die Hockey-Frauen mindestens 120 Tage im Jahr zusammen sein müssen, um auf internationalem Niveau mithalten zu können. Und so ähnlich geht es auch uns. Auch wir brauchen eine gewisse Vorbereitungszeit vor großen Turnieren.