Schalkes Huntelaar spricht über den Burn-out des Trainers, Vorbehalte gegen Teampsychologen und ein Treffen mit Ex-HSV-Chef Hoffmann.

Hamburg/Gelsenkirchen. Es ist bereits die zweite Verabredung Klaas-Jan Huntelaars mit dem Abendblatt. Im November 2008 war ein erstes Treffen in Amsterdam vereinbart, Ort und Zeit waren bereits ausgemacht. Zwei Tage vor dem Termin musste Huntelaar absagen, der Grund: ein Bänderriss im linken Knie. Ajax musste ohne seinen Torjäger gegen den HSV antreten, gewann das Europa-League-Spiel aber trotzdem mit 1:0. Knapp drei Jahre später hat Huntelaar, mittlerweile in Diensten von Schalke 04, das Interview in dieser Woche nachgeholt.

Hamburger Abendblatt: Herr Huntelaar, seit fast zehn Jahren sind Sie Profi, eine vergleichbare Woche wie die vergangene dürften Sie in Ihrer Laufbahn aber noch nicht erlebt haben.

Klaas-Jan Huntelaar: Ein Trainerwechsel ist ja mittlerweile das Normalste der Welt, aber die letzten Tage auf Schalke waren außergewöhnlich. Rangnicks Entscheidung, aufgrund seines Burn-out-Syndroms zurückzutreten, ist ein mutiger, starker Schritt. So etwas habe ich in meiner Karriere tatsächlich noch nie erlebt. Dass dann Huub Stevens unser neuer Trainer wurde, mit dem wir ausgerechnet im ersten Spiel auf den HSV treffen, passte zu dieser Woche.

Wie haben Sie von Ralf Rangnicks Rücktritt erfahren?

Huntelaar: Die Mannschaft wusste ja zunächst von nichts. Ralf Rangnick ist dann in unsere Kabine gekommen und hat ganz ehrlich erklärt, warum er als Trainer nicht einfach so weitermachen kann. Natürlich waren wir geschockt. Es war eine ganz merkwürdige Situation. Auf der einen Seite haben wir uns natürlich um die Gesundheit Ralf Rangnicks gesorgt, auf der anderen Seite mussten wir uns auf das Spiel gegen den SC Freiburg professionell vorbereiten. Einfach war das nicht.

Ist Ihnen in den Wochen zuvor schon aufgefallen, dass sich Rangnick anders als sonst verhielt?

Huntelaar: Niemand hat etwas gemerkt. In der Art seiner Arbeit mit der Mannschaft konnte man nicht erahnen, wie es im Inneren um ihn bestellt war.

Haben Sie sich schon jemals zuvor mit der Krankheit Burn-out beschäftigt?

Huntelaar: Natürlich weiß jeder, was ein Burn-out bedeutet, jeder hat schon mal hier oder da darüber gelesen. Aber so richtig informiert man sich erst über diese Krankheit, wenn man im direkten Umfeld selbst davon betroffen ist.

Gerade als Stürmer haben auch Sie an jedem Wochenende sehr viel Druck. Hat Rangnicks Rücktritt auch Sie selbst nachdenklich gemacht?

Huntelaar: Natürlich habe auch ich mir meine Gedanken gemacht. Aber wie sagt man noch mal? Das nächste Spiel ist immer das wichtigste. Wahrscheinlich müssen wir lernen zu akzeptieren, dass wir zwar alles Fußballerische trainieren können, aber trotzdem nicht alles in der Hand haben.

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Wem vertrauen Sie sich an, wenn Sie ein Problem haben?

Huntelaar: Da gibt es viele Menschen, mit denen ich reden kann. Meine Familie, Freunde, Mitspieler. Wenn ich etwas zu sagen habe, dann sage ich es auch.

Würden Sie sich auch einem Teampsychologen anvertrauen?

Huntelaar: Jeder Mensch ist ja anders, aber für mich würde so etwas nicht infrage kommen. Als ich noch bei Ajax Amsterdam spielte, hatten wir einen Mentalcoach, bei dem ich mich aber nicht wohl gefühlt habe. Mir hilft diese Art Betreuung nicht. Mit einem Psychologen muss man ja sein Inneres nach außen kehren. Ich will aber gar nicht alles über mich preisgeben - außer gegenüber meinen engsten Vertrauten.

Neben Ajax haben Sie auch bei Real Madrid und dem AC Mailand gespielt. Gab es dort einen Teampsychologen?

Huntelaar: In Spanien und Italien ist ein Mannschaftspsychologe eher die Ausnahme, bei Real und in Mailand gab es keinen. Aber in den Niederlanden wird diese Thematik sehr ernst genommen. In vielen Mannschaften sprechen Psychologen oder Mentaltrainer nicht nur mit den Spielern, sondern auch mit dem Trainer. Nach dem Tod von Robert Enke sind die Leute in Deutschland aber ganz klar am meisten für diese Thematik sensibilisiert. Was in Hannover passierte, war tragisch, aber die Leute sind aufmerksamer für Krankheiten wie Burn-out oder Depression geworden.

Glauben Sie, dass Rangnick nach einer mehrmonatigen Pause ohne Vorbehalte wieder als Trainer arbeiten kann?

Huntelaar: Wenn er seine Akkus wieder aufgeladen hat, dann wird er wieder ein guter Trainer sein und auch einen guten Klub finden. Davon bin ich überzeugt.

Am Dienstag leitete Rangnicks Nachfolger Huub Stevens erstmals das Training. Waren Sie über seine Verpflichtung überrascht?

Huntelaar: Eigentlich war nur der Zeitpunkt überraschend. Wenn Schalke einen Trainer sucht, ist Huub Stevens eigentlich immer im Gespräch. Er hat so viele Erfolge mit Schalke gefeiert, dass sein Name einfach zu Schalke gehört.

Wie ist Ihr erster Eindruck?

Huntelaar: Gut, obwohl ich ihn kaum kenne. Wir kommen zwar beide aus den Niederlanden, sind uns aber nur einmal über den Weg gelaufen. Nachdem wir im Sommer den Pokal in Berlin gewonnen hatten, war er im Zug zurück nach Gelsenkirchen dabei. Da haben wir uns auch unterhalten. Dass er wenige Monate später mein Trainer sein würde, habe ich damals nicht ahnen können.

Bevor er bei Schalke vorgestellt wurde, wäre Stevens fast beim HSV gelandet.

Huntelaar: Das zeigt einmal mehr, wie schnelllebig der Fußball ist. Aber er kommt ja trotzdem am Sonntag nach Hamburg, als Schalke-Trainer ...

Stimmt es eigentlich, dass auch der HSV Ihnen mal ein Angebot gemacht hat?

Huntelaar: Das stimmt. Als ich noch bei Ajax war, wollte mich der HSV verpflichten. Ich war sogar in Hamburg zu einem Gespräch mit Bernd Hoffmann. Irgendwie hat es zu dem Zeitpunkt aber nicht gepasst, wenig später bin ich dann zu Real Madrid gewechselt.

Schalke startete vergangenes Jahr ähnlich schlecht wie der HSV jetzt. Ihr Patentrezept gegen die Krise?

Huntelaar: Siegen, aber bitte nicht an diesem Sonntag.

Sie kommen schon bald erneut nach Hamburg ...

Huntelaar: ... wenn wir mit den Niederlanden im November gegen Deutschland spielen. Beide Nationen gehören zusammen mit Spanien zu den absoluten Top-Favoriten auf den EM-Titel.

Und wer wird Europameister?

Huntelaar: Diese Frage sollten Sie keinem Niederländer stellen! Diesmal ist Holland an der Reihe.