Schalke-Trainer Ralf Rangnick erklärte gestern wegen eines Burn-out-Syndroms seinen sofortigen Rücktritt: “Körperlich ist er am Ende“, sagt ein Schalker Mediziner. Offenbar hat sich der Coach mit seinem Blitzwechsel von Hoffenheim nach Gelsenkirchen übernommen

Gelsenkirchen. Es kommt nicht häufig vor, dass Schalkes Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck auf dem Podium im Medienraum des FC Schalke 04 Platz nimmt. Und es kommt noch seltener vor, dass die wartenden Journalisten vier Minuten vor Beginn der Pressekonferenz einer Besuchergruppe Platz machen müssen, die wie ein Fanfarenzug durch den Saal zieht.

Nein, Schalke 04 war nicht wirklich vorbereitet auf das, was schon beim Vormittagstraining durchsickerte und nun verkündet und begründet werden sollte: Ralf Rangnick war als Trainer zurückgetreten. Wegen eines "vegetativen Erschöpfungssyndroms", wie Rarrecks Diagnose lautete. "Körperlich ist Rangnick am Ende", übersetzte der Mediziner das gleich selbst und zitierte den früheren Giovanni Trapattoni aus dessen Wut-Pressekonferenz beim FC Bayern: "Flasche leer."

Neben Rarreck saß Horst Heldt. Der Schalke-Manager wirkte stark mitgenommen: "Das hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen." Tags zuvor hatten Rarreck und Rangnick ihn von der psychischen Erkrankung unterrichtet. "Das war ein Schock, wir müssen das erst einmal sacken lassen." Allein der an die Schweigepflicht gebundene Vereinsarzt wusste seit Monaten von Rangnicks Problemen: "Wir haben alles probiert", sagte Rarreck gestern, doch die Maßnahmen blieben erfolglos.

Als die körperlichen Probleme immer schlimmer wurden, habe man "die Reißleine ziehen müssen". Allerdings werde sich Rangnick nur in ambulante Behandlung begeben müssen, eine stationäre Aufnahme sei nicht erforderlich. Rarreck ist überzeugt, dass Rangnick ganz wiederhergestellt sein werde: "Er ist zwar körperlich am Ende, wird aber als Mensch zu alter Stärke zurückfinden." Mit einer Depression habe die Krankheit nichts zu tun.

Rangnick selbst verzichtete gestern auf eine Teilnahme an der Pressekonferenz, äußerte sich aber auf der Schalke-Homepage: "Mein derzeitiger Energielevel reicht nicht aus, um erfolgreich zu sein und insbesondere die Mannschaft und den Verein in ihrer sportlichen Entwicklung voranzubringen." Es war die Erklärung für den Strich, den er bereits im ersten Satz gezogen hatte: "Nach langer und reiflicher Überlegung bin ich zum Entschluss gekommen, dass ich eine Pause brauche."

Diese Pause wollte Rangnick sich eigentlich schon viel früher nehmen. Als er Anfang Januar als Trainer in Hoffenheim zurückgetreten war, sagte er: "Ich gehe davon aus, nach einer Pause am 1. Juli wieder einzusteigen."

Doch die Pause gönnte er sich nicht. Bereits am 21. März war Rangnick wieder im Geschäft.

"Wer wegen Burn-out ausfällt, hat vorher schon gebrannt", sagt der Sportpsychologe Jürgen Walter: "Er hat seine Grenzen nicht erkannt, und das muss man, um nicht krank zu werden."

Rangnick war wohl so ein Fall, er erkannte seine Grenzen nicht, und obwohl "ihn Hoffenheim schon viel Kraft gekostet hatte", wie sein Berater Oliver Mintzlaff bestätigte, ließ er sich von Horst Heldt überreden, doch wieder einzusteigen: bei Schalke, wo Rangnick 2005 entlassen worden war. Auch der HSV hatte um ihn geworben, sogar die Größe des Dienstwagens war schon ausverhandelt. Am Ende entschied er sich für die Nachfolge von Felix Magath.

Es war eine Herkulesaufgabe, eigentlich wie geschaffen für Rangnick, den Nimmermüden. Der erst in Ulm eine Mannschaft aus dem Nichts formte, die den Durchmarsch von der dritten in die erste Liga vollbrachte, dann Hannover 96 zurück in die Bundesliga führte, in Hoffenheim einen Drittligisten innerhalb kürzester Zeit zum gefürchteten Bayern-Konkurrenten entwickelte, zumindest für ein halbes Jahr, und zwischendurch dem Laien-Publikum im "Sportstudio" die Viererkette erklärte. "Professor" wurde er anschließend genannt, der Fußball-Besserwisser. Dabei war Rangnick wohl eher ein Fußball-Missionar, ein Getriebener.

Und auf Schalke brauchten sie einen Missionar genau wie einen Getriebenen: Rangnick musste den 32-Mann-Kader dringend verkleinern - auch aufgrund der Finanzen. Bei über 50 Millionen Euro sollen die Gehaltskosten vergangene Saison gelegen haben.

"Trainer stehen extrem unter Druck", sagt Sportpsychologe Walter, "sie sind in einem Teufelskreis, müssen die Erwartungen des Vereins, der Spieler, der Medien, des familiären Umfelds erfüllen. Sie nehmen sich zu wenig Zeit, ihre Situation zu reflektieren."

Auch Rangnick nahm sich diese Zeit nicht, er konnte sie sich gar nicht nehmen. Der Schalker Kader war noch im Rohbau: 15 Spieler gingen vor dieser Saison, teure neue durften nicht kommen - trotz 22 Millionen Euro Einnahmen aus dem Transfer von Manuel Neuer zum FC Bayern. Magath konnte einst Raul und Klaas-Jan Huntelaar holen, Rangnick bekam Christian Fuchs und Teemu Pukki. Der Trainer fühlte sich getäuscht. "Die finanzielle Situation ist ernster, als ich gedacht habe", sagte er kurz vor Saisonstart.

Es war ihm anzumerken, dass all das in ihm arbeitete. "Ich kann selbst steuern, wie sehr ich mich unter Druck setze oder setzen lasse", sagt Walter. Rangnick setzte sich selbst unter großen Druck, in einem Schalker Umfeld, das schon genügend Erwartungen an einen Trainer stellt. Auch an Rangnicks potenziellen Nachfolger, zu dem sich die Verantwortlichen noch nicht äußern wollten. "Wir müssen die beste Lösung finden und nicht die schnellste", erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies. Die Suche könnte schwierig werden. Mit Rangnick glaubten die Schalker den Trainer gefunden zu haben, der die Neuausrichtung des Teams vorantreiben kann. Der Klub brauchte jetzt also eine Rangnick-Kopie. Doch Trainer, die so ähnlich arbeiten wie Rangnick - Thomas Tuchel oder Mirko Slomka beispielsweise -, sind im Moment nicht zu bekommen.

Zunächst sollen deshalb die Co-Trainer Seppo Eichkorn und Markus Gisdol das Schalker Training leiten. Eichkorn wird am Sonnabend gegen Freiburg zu seinem zweiten Spiel als Schalker Cheftrainer kommen. Bereits in der vergangenen Spielzeit hatte Eichkorn für ein Spiel als Interimstrainer auf der Schalker Bank Platz genommen. Schalke verlor 0:2 in Leverkusen. Dann kam Rangnick. Ohne Pause.

Ralf Rangnick - Stationen einer Trainerkarriere auf www.abendblatt.de/rangnick