Bundestrainer Joachim Löw reagiert verärgert auf Buchautor Philipp Lahm. Er erteilt ihm eine Rüge, lässt dem Bayern-Star aber die Kapitänsbinde.

Düsseldorf. "Als Kapitän ist er ein wichtiger Ansprechpartner für mich, und daran wird sich auch nichts ändern." Gesagt hat das Joachim Löw 2008, nach einem heftigen Streit mit dem damaligen Kapitän Michael Ballack . Dieser hatte den Führungsstil des Bundestrainers öffentlich attackiert, indem er das Leistungsprinzip in der Nationalmannschaft anzweifelte.

Ähnliche Worte fand "Richter" Löw auch im Düsseldorfer Kongresszentrum, als er sein Urteil in der Causa Philipp Lahm vortrug, der in seinem Buch "Der feine Unterschied" seine kritische Sichtweise zu früheren Trainern wie Rudi Völler dargestellt hatte. Ja, man werde weiter vertrauensvoll zusammenarbeiten, schließlich sei der Philipp in seinen Vorstellungen "authentisch", "ehrlich" und "klar". Und nein, zu keinem Zeitpunkt sei es eine Option gewesen, ihn als Kapitän abzusetzen.

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Was die Fälle von Ballack und Lahm eint, ist ihre "Unanständigkeit", wie es Völler formulierte. Ein Spieler attackiert weder die Autorität seines Trainers in der Öffentlichkeit, noch plaudert er unangenehme Details über ehemalige Vorgesetzte aus. Natürlich verzichtete Löw gestern darauf, Lahm in der Mannschaftshierarchie vom Thron zu stoßen. Er braucht den 27-Jährigen, um 2012 bei der EM um den Titel mitspielen zu können; mit seinen Leistungen gehört Lahm automatisch zu den Führungsspielern. Zwischenzeitlich betätigte sich der Bundestrainer deshalb sogar als Verteidiger, indem er darauf hinwies, dass "wir alle der Meinung sind, dass Philipp keine Interna verbreitet hat". Genauso überzeugt sei er, dass Lahm dies auch nie tun würde.

Ein mündlicher Tadel musste angesichts dieser - seiner Ansicht nach - geringen Beweislage genügen. "Ich persönlich finde es nicht glücklich, wenn man als aktueller Spieler in der Öffentlichkeit über Trainer urteilt. Das steht niemandem zu", sagte Löw in Richtung Lahm, der in gebührendem Abstand auf der Außenbahn des Podiums den Worten des Bundestrainers lauschte und wie ein reumütiger Schüler den Verweis entgegennahm. "Ich werde nicht mehr über Trainer urteilen", versprach Lahm artig, "wenn der Bundestrainer das so will, werde ich mich daran halten."

Am Vorabend hatten sich der Trainerstab und Manager Oliver Bierhoff mit Lahm ausgetauscht, ein abschließendes Gespräch mit dem Spielerrat werde es auch noch geben, kündigte Löw milde an.

Um seinem erteilten Freispruch auch die nötige moralische Absolution erteilen zu können, hielt der 81-fache Nationalspieler erneut ein Plädoyer in eigener Sache: "Wer mein Buch von Seite eins bis 272 durchliest, wird erkennen, dass es ein leises Buch ist, eine Erklärung, was von einem Fußballer heute gefordert wird." Heute genüge es nicht mehr, zu trainieren und am Wochenende 90 Minuten zu spielen. "Ich wollte keinen Trainer in die Pfanne hauen. Das ist eine nicht gewollte Darstellung."

Dass der Löw'sche Kosmos dennoch in Unordnung geraten ist, zeigte sich wenig später, als der 51-Jährige dann doch von seinem Kuschelkurs abwich und losbellte, dass es ihn störe, bei der Nationalmannschaft ständig über andere Themen diskutieren zu müssen.

Wahrscheinlich dachte der Bundestrainer an den monatelangen Zwist mit Michael Ballack, der im abgelehnten Abschiedsspiel gipfelte. Womöglich aber auch an die zwischenzeitlich geplatzten Vertragsverhandlungen mit DFB-Präsident Theo Zwanziger. Ganz sicher an Oliver Kahn, der Lahm und Bastian Schweinsteiger, frei übersetzt, als glatte Businessfußballer ohne Mitreißerqualitäten klassifizierte.

Dabei gäbe es doch so viele gute Nachrichten zu verbreiten. Mit einem Sieg über Österreich am Freitag (20.45 Uhr, ZDF) in Gelsenkirchen kann die Nationalelf die Qualifikation für die Europameisterschaft perfekt machen. Der langjährige Hilferuf, doch, bitte schön, gelegentlich auch mal große Nationen zu bezwingen, wurde mit den Erfolgen gegen Argentinien, England oder Brasilien ebenfalls erhört. Wohl selten war die Auswahl in allen Mannschaftsteilen so groß, vor allem aber genießen Fußball-Ästheten die gestiegene Spielkunst im deutschen Team.

Löw nervt sicher, dass die Würdigung des Erreichten derzeit nur schwach ausgeprägt ist, viel mehr ärgert er sich aber, dass er durch Fälle wie den von Lahm von seiner liebsten Beschäftigung abgelenkt wird: Fußball zu lehren. Deshalb ist seine größte Hoffnung, mit dem gemeinsamen Auftritt am Dienstag die Akte endgültig schließen zu können.

Negative Langzeitschäden erwarten weder Löw noch Lahm. "Die Reaktionen waren wie immer. Sie haben nichts anders gemacht", beschrieb Lahm das Verhalten seiner DFB-Kollegen und warb damit, dass er seine Schweigepflicht sehr ernst nehme: "Was mir die Spieler früher erzählten, können sie mir auch weiter erzählen." Ob diese Worte aber der Realität entsprechen, muss die Zukunft zeigen, schließlich verlor Ballack erst zwei Jahre nach seiner Löw-Attacke die Binde - an Lahm, der während der WM 2010 aktiv die Demission Ballacks betrieb.

Der nächste Ausfall nach Mario Gomez und Marco Reus: Wegen einer Sprunggelenksverletzung trat der Dortmunder Sven Bender die Heimreise an. Löw verzichtet auf eine Nachnominierung.