In Berlin wird am Sonntag die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen eröffnet. Noch ist die Vorfreude verhalten, aber die Sehnsucht nach einem Sommermärchen wächst

Ophira ist noch jung, gerade mal sechs Monate alt. Gemächlich schwimmt sie durchs Aquarium bis zu einer von zwei Klappen und drückt sie mit ihren Fangarmen auf. Dahinter verbirgt sich Futter. Ophira treibt der Hunger, kein Expertenwissen. Im Berliner "Sea Life Center" sind sie dennoch zufrieden mit der Krake, die einen Sieg der deutschen Fußballfrauen gegen die Kanadierinnen im Auftaktspiel der Weltmeisterschaft prophezeit hat.

Ophira befindet sich im Wettstreit mit sieben weiteren Tintenfischen, die sich um die Nachfolge von Paul bewerben, jenem legendären Kraken des Oberhausener "Sea Life", der mit seinen Tipps im vergangenem WM-Sommer verblüffte. Doch das mediale Interesse an Ophira ist noch gering. Ähnlich verhalten wie die WM-Stimmung in der deutschen Hauptstadt.

Rund 36 Stunden vor dem ersten Auftritt der deutschen Fußballfrauen vor 73 000 Fans im Olympiastadion säumen gerade mal ein paar orangefarbene Fahnen des Fußballweltverbandes Fifa die Straße des 17. Juni, und von vereinzelten Plakatwänden lächeln die Bundestrainerin Silvia Neid und ihre Spielerinnen auf die Passanten herunter. Man muss lange suchen nach der Vorfreude auf ein solch weltumspannendes Sportereignis, zumindest in Berlin. Und wird kaum fündig.

Vor fünf Jahren, bei der Fußball-WM der Männer im eigenen Land, als "die Welt zu Gast bei Freunden war", als sich Geschäftstermine nach dem Spielplan richteten und sich ein Volk kollektiv einem einzigen, großen Partyrausch hingab, war das anders. Das hätte man gern noch mal: Fußballspielerinnen, die begeistern, überfüllte Straßencafés, Public Viewing im XXL-Format. Ein neues Sommermärchen eben.

Doch davon wollen sie nichts wissen, die Organisatorinnen der WM um Präsidentin Steffi Jones. Eine eigene Geschichte solle geschrieben werden, und überhaupt, diese ständigen Vergleiche mit den Herren seien schlichtweg unzulässig. Trotzdem ist es ausgerechnet die Frauen-Nationalmannschaft, die sich bei Facebook den schönen Untertitel "Sommermärchen reloaded" verpasst hat. Und auch an höchster Stelle, im Bundespräsidialamt, hofft man auf eine Wiederauflage: "Wenn das Wetter mitspielt, wird es ein zweites Sommermärchen", orakelt Bundespräsident Christian Wulff.

Die Sehnsucht nach der fantastischen FußballerInnenparty ist groß, die Unsicherheit aber auch. Flattern bei den Männern bereits Tage vor den Fußballspielen die schwarz-rot-goldenen Fähnchen, kurven gefühlte 99 Prozent der Autos schmucklos auf den Straßen der Hauptstadt herum. Allerdings, und das ist bemerkenswert genug, lassen sich wenigstens ein paar Relikte aus dem vergangenen WM-Rausch finden, im "Goal" nämlich, einem kleinen Laden in Berlin-Kreuzberg: Das "Goal" ist vollgestopft mit Fußball-Accessoires, T-Shirts und Büchern. Rosafarbene Trikots oder Fanschals sucht man jedoch vergeblich. Diese Klischees überlasst Ladeninhaberin Tülin Duman anderen. Dafür hat sie Tipp-Kick-Figuren in ihr Schaufenster gestellt, die anlässlich der Frauen-Fußball-WM erstmals in weiblicher Form auf dem kleinen Fußballfilz stehen, bemalt in den Trikotfarben der teilnehmenden Nationen. Die Zukunft des Fußballs sei weiblich, predigt DFB-Boss Theo Zwanziger beharrlich. In diesem Geschäft ist sie es bereits, denn die Nachfrage nach den mechanischen Frauenfußballerinnen, so Frau Duman, steige kontinuierlich. Endlich mal eine Berlinerin, die sich ehrlich freut.

Tristesse dagegen herrscht am Brandenburger Tor, wo am Vortag des Eröffnungsspiels ein großes Fanfest gefeiert werden sollte. Eigentlich. Doch der DFB sagte die Party ab. Es hatte Probleme mit den Sponsoren gegeben. Statt Fußballfans wird nun die Parade des Christopher Street Day an der Quadriga vorbeiziehen. Und eine offizielle WM-Party vonseiten der Stadt ist auch nicht geplant. "Wir bedauern das natürlich sehr, aber dies war finanziell nicht umsetzbar", sagt der Berliner Senatssprecher Richard Meng.

So konzentriert sich die geballte Begeisterung offenbar ausschließlich in Frankfurt, der Hochburg des deutschen Frauenfußballs. Dort werden auf einer Fanmeile entlang des Mainufers bis zu 1,5 Millionen Besucher erwartet. In Berlin und anderen Spielorten dagegen können bierselige Gemeinschaftsgefühle lediglich in Kneipen und Restaurants ausgelebt werden. Der "Bundespressestrand" an der Spree stellt immerhin eine große Leinwand auf. Alle Spiele wolle man übertragen. "Doch ob es dann so erfolgreich wird wie bei den Männern, wissen wir einfach nicht", sagt Betreiberin Johanna Ismayr. Und doch hoffen die skeptischen Gastronomen auf den Domino-Effekt. Ein Spiel, ein Sieg, ein neues Sommermärchen. Immerhin 62 Prozent der Deutschen wollen sich ja nach einer Umfrage des "Stern" die Spiele der Frauen-WM im Fernsehen anschauen.

Im Adidas-Store am Ku'damm, wo trotz der WM die Männer optisch dominieren, fordert die deutsche Frauennationalmannschaft auf einem kleinen Poster: "Feier mit uns!" Vielleicht stimmt es ja, was der Adidas-Konkurrent Nike auf seinem Geschäft gegenüber plakatiert hat: "Alle Träume klingen verrückt. Bis sie wahr werden."