Fifa-Chef Joseph Blatter will sich wieder wählen lassen. Lesen Sie hier, wie der 75 Jahre alte Schweizer alle Vorwürfe der Korruption umschifft.

Zürich. Sepp Blatter ist ein honoriger Mann, wer könnte das bestreiten? 55 Auszeichnungen und Titel zählt der Fußballweltverband Fifa auf, die dem Präsidenten in seiner beeindruckenden Funktionärskarriere verliehen wurden. Unter anderem ist Blatter Ritter der französischen Ehrenlegion, Träger des Bundesverdienstkreuzes, Ehrenmitglied des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und von Real Madrid, dazu Ehrendoktor diverser Universitäten. Hoch dekoriert allerorts auf der Welt.

Ein Titel fehlt auf der hauseigenen Liste: 1999 erhielt er den "Humane Order of African Redemption" des Staates Liberia. Vielleicht liegt die Nichterwähnung des Ordens an seinem Verleiher: Charles Taylor, damaliger Staatspräsident und derzeit wegen Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt, überreichte damals Schärpe und Brustschmuck.

Vielleicht hat Blatter das Händeschütteln mit dem Diktator verdrängt. Vielleicht hat der oberste Hüter des Weltfußballs aber auch getan, was er am besten kann: die Realität beschönigen und modellieren, Fakten weglassen oder hinzufügen; kurzum: eine eigene Wirklichkeit entstehen lassen, die "Blatter-Welt". Welche Gesetze hier gelten, hat er gerade erst wieder gezeigt. Angeschlagen zwar, aber eben erprobt krisenfest. Blatters Aussage "Die berühmte Fifa-Pyramide schwankt, sie ist in ihren Grundfesten erschüttert", mit der er am Dienstagabend den 61. Weltkongress eröffnete, hätte eine prächtige Situationsbeschreibung sein können. Aber schon waren es wieder die bösen anderen: "Wir leben in einer gestörten Welt. Es herrschen kein Respekt und kein Fair Play mehr."

Zum vierten Mal wird sich Blatter an diesem Mittwoch um den höchsten Posten im Fußball bewerben. Anders als vor vier Jahren, als er mangels Gegenkandidaten per Akklamation im Amt bestätigt wurde, musste er diesmal die Schienbeinschoner anlegen. Mohamed Bin Hammam, Geschäftsmann aus Katar und Präsident der asiatischen Fußball-Konföderation, hatte ihm die Stirn geboten und sich zur Wahl gestellt. Für Blatter ist jeder andere Kandidat automatisch ein Feind, die bloße Kandidatur grenzt an Majestätsbeleidigung. Er würde sich sehr wundern, wenn Bin Hammam tatsächlich antreten würde, sagte der Fifa-Präsident im März. Er sollte recht behalten.

Die Chronologie der Fifa-Bestechungsaffäre

In der vergangenen Woche meldete sich US-Funktionär Chuck Blazer beim Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke. Er berichtete von Informationen, nach denen Bin Hammam seine Wahl durch Schmiergeldzahlungen an karibische Funktionäre vorbereitet habe. Der Beschuldigte dementierte umgehend und sprach von einer "Verschwörung". Generalsekretär Valcke aber aktivierte die verbandseigene Ethikkommission. Bevor die allerdings ermitteln konnte, zerrte Bin Hammam auch Blatter vor den internen Kadi. Der Präsident habe von den Bestechungszahlungen gewusst, aber nichts unternommen.

Am vergangenen Sonntag suspendierte die Ethikkommission Bin Hammam und Fifa-Vizepräsident Jack Warner, der das Treffen in der Karibik organisiert hatte. Bin Hammam war den Richtern allerdings zuvorgekommen und hatte schon seinen Rückzug bekannt gegeben. "Ich kann es nicht zulassen, dass das Ansehen der Fifa mehr und mehr in den Schmutz gezogen wird", sagte er. Eine reichlich späte Erkenntnis. Aber nicht das Ende des Skandals. Im Gegenteil: Blatter wurde - wenig überraschend - von allen Anklagepunkten freigesprochen und wird ohne Gegenkandidaten antreten.

Dass eine interne Kommission über derlei brisante Vorwürfe richtet, ist unter anderem dafür verantwortlich, dass die Fifa als Sauhaufen ohne Regulativ angesehen wird. Günter Hirsch, der ehemalige Präsident des Bundesgerichtshofs, trat im Januar 2011 aus der Kommission zurück und warf dem Verband vor, kein wirkliches Interesse bei der Aufklärung von Verstößen gegen das Ethikreglement zu haben. DFB-Präsident Theo Zwanziger rügte: "Wenn Leute so ein Fazit ziehen, die die ihnen angedachte Rolle offensichtlich nicht sonderlich intensiv und ernsthaft angegangen sind und anschließend aus ihrem Nichtstun heraus so ein Fazit ziehen, halte ich das nicht für anständig", sagte Zwanziger der "Welt".

Der Ton wird rauer in Zürich. Angesichts der Korruptionsvorwürfe forderte am Dienstag der englische Fußballverband FA eine Verlegung der Wahl. FA-Präsident David Bernstein erklärte, damit solle die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses gewahrt bleiben und einem möglichen Gegenkandidaten die Chance zur Kandidatur gegeben werden. Währenddessen haben asiatische Delegierte den Kongress "tief empört" verlassen, um gegen die Suspendierung Bin Hammams zu protestieren.

Einige Sponsoren des Weltfußballverbands haben sich besorgt über die Schlammschlacht geäußert. Coca-Cola nannte das Führungschaos "beunruhigend und schlecht für den Sport". Adidas-Sprecher Jan Runau sagte: "Der negative Tenor der öffentlichen Debatte ist weder gut für das Image des Fußballs noch der Fifa und seiner Partner." Auch die Fluglinie Emirates und die Kreditkartenorganisation Visa gaben sich "enttäuscht". Alle wollen jedoch ihre Partnerschaft fortsetzen.

Eine für gestern angekündigte Pressekonferenz, bei der ein ehemaliger hochrangiger Fifa-Offizieller Beweise für die Bestechung von Exekutivmitgliedern im Zusammenhang mit der Vergabe der Weltmeisterschaft 2022 nach Katar vorlegen wollte, fand zunächst nicht statt. Das Hotel, in dem sie hätte stattfinden sollen, verweigerte angeblich kurzfristig die Bereitstellung eines Saals.

Zu allem Überfluss rief der suspendierte Jack Warner die mittelamerikanischen Fifa-Mitglieder jetzt dazu auf, für Blatter zu stimmen. Am Montag hatte er noch gefordert, der Schweizer müsse "gestoppt" werden. Zudem legte Warner eine E-Mail vor, die ihm Generalsekretär Valcke geschickt hatte. Darin heißt es: "Bin Hammam dachte wohl, er könnte die Fifa kaufen, wie sie die Weltmeisterschaft gekauft haben." Ein eindeutiger Hinweis auf unlautere Geschäfte, die seit der Vergabe des Weltturniers 2022 an den Wüstenstaat Katar als Gerüchte durch die Fifa-Flure geistern? Mitnichten, sagte Valcke, er habe nur gemeint, dass Katar seine "finanzielle Kraft" eingesetzt habe, um Lobbyarbeit zu betreiben.

Dass Blatter trotz der beispiellosen Verwerfungen im Weltverband nicht das Gewissen drückt, erstaunt nur auf den ersten Blick. 1998 wurde der damalige Fifa-Generalsekretär von seinem Vorgänger Joao Havelange in den Posten komplimentiert. Diesen Großmeister der Intrigen wollte Blatter vier Jahre zuvor noch vom Thron stürzen. Damals machte Lennart Johansson, der Präsident des europäischen Verbands Uefa, die Geheimpläne öffentlich und damit zunichte. Havelange arrangierte sich mit Blatter - der soll zu viele schmutzige Details über den Brasilianer gekannt haben, heißt es.

Trotzdem war es ein hartes Unterfangen für Blatter, Fifa-Präsident zu werden. Johansson hatte die jahrzehntelangen Mauscheleien im Weltverband satt und trat an, um für mehr Transparenz zu sorgen. Doch am 8. Juni 1998 gewann Blatter die Wahl überraschend mit 111 zu 80 Stimmen. "Wir haben über Nacht 30 Stimmen verloren. Da muss etwas passiert sein", sagte der Schwede. Tatsächlich behauptete ein Funktionär, er habe gesehen, wie Delegierte vor der Wahl im Pariser Hotel Meridien um Geld angestanden hätten. Der Mann wurde später von einem Schweizer Gericht dazu verurteilt, diese Aussage nicht mehr zu wiederholen. Widerrufen musste er sie nicht. Ausgezahlt haben soll das Geld übrigens Mohamed Bin Hammam; damals noch fest an der Seite Blatters, weil der ihm offenbar sein Erbe versprochen hatte.

Das Gebaren rund um Blatters Inthronisierung steht symptomatisch für die Art und Weise, wie die Fifa funktioniert, seit Havelange 1974 den Verband übernahm. Der Mitbesitzer einer Waffenfabrik etablierte etwas in der Fifa, was er wohl Politik nennen würde, was in Wirklichkeit aber die Perversion davon ist. Als Fußballstar Pelé einst Havelanges Schwiegersohn Ricardo Teixeira, Präsident des brasilianischen Fußballverbands, der Korruption bezichtigte, lud ihn der Fifa-Präsident von der Auslosung der WM 1994 aus.

Unter Havelange wurde die Fifa zum wirtschaftlichen Dickschiff, obwohl sie von der Rechtsform her ein gemeinnütziger Verein und damit nach Schweizer Recht von Steuern befreit ist. Der Verband ist im Besitz des wertvollsten Sportereignisses nach den Olympischen Spielen: der Fußball-Weltmeisterschaft. Alleine für die TV-Rechte der WM 2010 in Südafrika kassierte die Fifa 1,6 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass im vergangenen Jahr ein Gewinn von 140 Millionen Euro übrig blieb.

Die mächtigen Geldströme schafften Begehrlichkeiten, zumal im 24-köpfigen Exekutivkomitee auch Länder wie Kamerun, Trinidad und Tobago, Papua-Neuguinea und die Elfenbeinküste vertreten sind. Zehn der 24 Mitglieder stehen derzeit unter Korruptionsverdacht.

Am Montag sagte Blatter: "Wir sind nicht am Boden, wir sind nur in ein paar Schwierigkeiten. Wir werden die Probleme innerhalb der Fifa-Familie lösen." Ein Schelm, wer dabei an den Film "Der Pate" denkt. Denn es gibt einen Unterschied zur Mafia: Don Corleone hatte seine "Familie" im Griff ...