Der Bundestrainer entscheidet sich für Neuer im Tor und setzt in der K-Frage auf eine vermeintlich salomonische Lösung

Frankfurt. Die Villa Kennedy, alles vom Feinsten, interaktive Flachbildfernseher mit 40 Kanälen und sogar ein hauseigener Friseur, der hier Coiffeur heißt, machte gestern Mittag ihrem Ruf als Wohlfühloase Frankfurts einmal mehr alle Ehre. Bastian Schweinsteiger schlurfte in Trainingsklamotten durch die Lobby der noblen DFB-Herberge, Heiko Westermann gönnte sich tiefenentspannt auf der Terrasse einen Tee, und Tim Wiese fläzte sich in ein Sofa und plauderte locker mit seinem Bremer Vereinskollegen Per Mertesacker. Selbst der sonst häufig so aufgedreht wirkende Lukas Podolski schien die Ruhe selbst zu sein. Von großer Aufregung zwei Tage vor dem Auftakt der EM-Qualifikation in Belgien (Fr., 20.45 Uhr/ARD) konnte in dem edlen Fünf-Sterne-Hotel einen Steinwurf vom Main entfernt jedenfalls nicht die Rede sein.

Neuer bleibt die Nummer eins, Ballack und Lahm bleiben Kapitän

Ein ganz anderes Bild bot sich dagegen den zahlreichen Medienvertretern, die sich zeitgleich nur einen kräftigen Torwartabschlag von der Luxusunterkunft entfernt versammelt hatten. Hektische Betriebsamkeit dürfte da noch das passendste Wortpaar sein, das die aufgeregte Stimmung im kleinen Presseraum der DFB-Zentrale beschreibt. Der Grund für das lautstarke Kamerasurren, das live in alle Wohnzimmer Deutschlands übertragen wurde: Bundestrainer Joachim Löw hatte sich und die öffentliche Vorstellung seiner Visionen bis zur EM 2012 in der Ukraine und in Polen für 12.30 Uhr angekündigt. Und vor allem wollte der Nationalcoach erstmals öffentlich Fragen beantworten, deren Antworten eigentlich ohnehin längst jeder wusste: Wer wird oder bleibt neuer Kapitän? Und wer wird die Nummer eins im Tor?

Und Löw, so ganz und gar nicht staatstragend im roten Kapuzensweater, brauchte auch nicht lange, um vor der an den TV-Bildschirmen versammelten Fußballnation auf den Punkt zu kommen. Die Nummer eins im Tor ist und bleibt Manuel Neuer, so weit der einfache Teil. Die Nummer eins im Team ist und bleibt Michael Ballack, vorausgesetzt er wird wieder nominiert. Soweit in Kurzform der etwas kompliziertere Teil. "Michael Ballack bleibt weiter Kapitän unserer Mannschaft, Philipp Lahm der Stellvertreter", sagte der 50-Jährige, ehe er einen in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtigen Satz hinzufügte: "Ich sehe Michael im Moment aber noch nicht in der Verfassung, dass er uns weiterhelfen kann, deshalb trägt Philipp bei den nächsten beiden Spielen die Binde." Im Klartext heißt das: Ballack bleibt Spielführer, aber nur, wenn er auch spielt. Das wiederum scheint derzeit alles andere als selbstverständlich zu sein.

Mit "högschter Disziplin" und sorgfältig ausgewählten Worten berichtete Löw von einer knapp zweistündigen Unterredung, in der er Ballack zu Wochenbeginn mitgeteilt hatte, was er in den kommenden Wochen von seinem Kapitän a. D. erwartet. "Er hat eingesehen, dass er noch nicht wieder die Leistung bringt, die wir von ihm gewohnt sind. Ich habe ihm in aller Offenheit gesagt, was ich von ihm erwarte und was ich von ihm sehen will. Im Oktober werde ich dann neu entscheiden, ob er uns weiterhelfen kann", sagte der Bundestrainer, der sich während der gesamten Pressekonferenz ganze fünf Mal zu einem kurzen Lächeln durchrang.

Dabei war Löw wichtig zu betonen, dass es ihm bei dem Projekt Euro 2012 eben nicht nur um die publikumswirksamen K- oder T-Fragen geht. Auch DFB-Manager Oliver Bierhoff hatte schon vor Löws Offenbarungen versucht, aus den aktuellen Personaldebatten etwas die Luft herauszulassen. "Letztendlich hat man ja auch an den Aussagen der Spieler gesehen, dass es für sie nicht so wichtig ist, wer Kapitän ist", sagte Bierhoff, der früher selbst Spielführer des DFB-Teams war.

Ein Großteil des Teams hatte sich für Ballack starkgemacht

Die von Bierhoff zitierten Spieler sehen das naturgemäß etwas anders. So haben der derzeit verletzte Arne Friedrich und Thomas Müller öffentlich Stellung pro Lahm bezogen, Bastian Schweinsteiger, Per Mertesacker, Miroslav Klose, Mesut Özil, Cacau und Stefan Kießling sprachen sich für Ballack aus. Als vorerst Letzter in der Riege der Ballack-Befürworter reihte sich gestern Heiko Westermann ein. "Ballack war immer Kapitän, wenn ich dabei war. Und er hat seine Sache immer gut gemacht", sagt einer, der es wissen muss. Schließlich ist Westermann seit dieser Saison beim HSV der Mann mit der Binde. "Die ganze Diskussion ist zum falschen Zeitpunkt angeschoben worden", sagte der Hamburger und kritisiert dabei noch mal Lahms Vorpreschen in der K-Frage kurz vor dem WM-Halbfinale gegen Spanien. "Ein Kapitän ist für eine Mannschaft wichtig, aber noch wichtiger ist, dass die Verantwortung auf mehrere Führungsspieler aufgeteilt wird."

Das wiederum sieht auch Löw ähnlich. Nur Ballack wollte sich gestern nicht äußern, was vielleicht auch ganz gut so war. Denn hätte der Noch-oder-auch-nicht-Kapitän gesagt, wie er die Debatte so findet, wäre es wahrscheinlich sogar in der kuscheligen Villa Kennedy mit der Ruhe vorbei gewesen.