Olaf Kortmann, 55, arbeitet als Trainer, Berater und Mentalcoach in Sport und Wirtschaft.

Hamburger Abendblatt:

1. Wie bewerten Sie die Entscheidung von Fußball-Bundestrainer Joachim Löw, Michael Ballack die Kapitänsbinde zu lassen, ihm aber den Stammspielerstatus zu entziehen?

Olaf Kortmann:

Als schlitzohrig. Hintergründig ging es in erster Linie darum, niemanden in eine Verliererposition zu befördern. Alle sollten ihr Gesicht wahren. Jetzt liegt der Ball bei Ballack, er muss Leistung bringen, während Philipp Lahm seine Chancen in der Zukunft sieht. Löw wiederum hält sich alle Optionen offen. Eine absolute Win-win-win-Situation.

2. Was passiert aber, wenn Ballack in der Nationalmannschaft nur auf der Ersatzbank sitzt?

Laut gängiger Definition muss der Kapitän auf dem Spielfeld und außerhalb die Verbindung zum Trainer halten, er ist ein Kommunikator. Sitzt ein Spieler aufgrund einer Verletzung oder eines kleinen Formtiefs draußen, ist das mal zu verkraften. Schwierig würde es, sollte Ballack die sportliche Qualifikation auf Dauer nicht erfüllen. Ich bin mir sicher, dass er in diesem Fall sofort zurücktritt. Vielleicht erhofft sich Löw das auch.

3. Ist Führung in Leistungssport treibenden Mannschaften überhaupt teilbar?

In der freien Wirtschaft gibt es Geschäftsführer-Modelle mit zwei Führungspersonen und Aufgabenteilungen. Eine Doppelspitze im Sport wäre möglich, birgt aber viel Konfliktpotenzial. Gerade wenn im operativen Geschäft, also auf dem Rasen, schnelle Entscheidungen gefragt sind. Hier könnte diese hierarchische Anordnung mit zwei Kapitänen kontraproduktiv wirken.

4. Gehört einer 'flacheren Hierarchie', die der DFB bei der WM praktizierte, die Zukunft?

Ballack wäre jedenfalls gut beraten, seinen in früheren Jahren bewiesenen autoritären Führungsstil künftig anzupassen und situativer zu agieren. Zu befürchten ist jedoch, dass er gerade bei negativen Spielverläufen gegenüber jüngeren Kollegen in alte Führungsmuster verfällt, was nicht mehr funktionieren würde. Ich halte Philipp Lahm in dieser Beziehung für intelligenter und schlauer, er versucht die Menschen eher mit Argumenten zu überzeugen, führt teamorientierter.

5. Ist der ganze Wirbel um die Kapitänsbinde beim DFB nicht reichlich überzogen?

Auf keinen Fall. Der Kapitän ist das Sprachrohr des Trainers, der im strategischen Sinne verlängerte Arm des Fußballlehrers auf dem Platz. Ein schlauer Trainer trifft mit seinem Vertrauensmann und anderen wichtigen Spielern Absprachen wie die Taktik für eine kommende Partie. Umgekehrt muss ein Kapitän sensibel für Stimmungen sein und dem Trainer notfalls sagen: Hier läuft etwas schief. In der Wirtschaft wäre der Trainer Geschäftsführer und sein Kapitän Abteilungsleiter.