Nur sechs der 13 europäischen Mannschaften haben das Achtelfinale erreicht, so wenige wie noch nie bei einer Fußball-WM.

Hamburg. In Neuseeland haben sie das Ausscheiden ihrer Mannschaft gefeiert. "Die All Whites kommen als Helden nach Hause", sagte Premierminister John Key in Wellington, "ein riesiger Festumzug ist angemessen."

Dritter sind die Neuseeländer in Südafrika in der Vorrundengruppe F geworden, und weil sie mit Italien den Weltmeister hinter sich gelassen haben, kehren sie voller Stolz in ihre Heimat zurück. "Meine Spieler haben in jeder der drei Begegnungen gegen übermächtige Konkurrenz Hingabe und Leidenschaft gezeigt", lobte Nationaltrainer Ricki Herbert. Diese Einstellung hat die Neuseeländer in der Vorrunde von vielen Mannschaften unterschieden - vor allem von den meisten europäischen.

Entsprechend mager fällt die Bilanz des alten Kontinents nach den ersten zwei WM-Wochen aus. Gerade sechs Mannschaften haben das Achtelfinale erreicht, so wenige wie nie. Seit der Wiedereinführung dieser K.-o.-Runde bei der WM 1986 standen stets zehn europäische Teams unter den letzten 16 - bis auf 2002, da waren es neun -, und sie rechtfertigten damit, dass Europa mit 13 WM-Teilnehmern das größte Kontingent stellen darf. Diese Vormachtstellung scheint nun gebrochen.

"Wir sind nicht erst seit diesem schwarzen Donnerstag, unserer 2:3-Niederlage gegen die Slowakei, nicht mehr konkurrenzfähig", sagte Italiens Verbandspräsident Giancarlo Abete, "wir haben wie viele europäische Fußballverbände seit Jahren strukturelle Probleme. Wir haben es nicht geschafft, rechtzeitig einen Generationswechsel einzuleiten." Der dürfte den Italienern allerdings schwerfallen. Begabter Nachwuchs ist spärlich, das Desaster in Südafrika sei die Konsequenz "einer verheerenden Sportpolitik, die keine jungen Talente fördert", meinte Reformminister Roberto Calderoli.

Die Situation erinnert ein wenig an die in Deutschland vor zehn Jahren, als sich die Nationalelf bei der Europameisterschaft in den Niederlanden und Belgien blamierte. Danach nahmen der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Bundesligavereine bis heute rund 610 Millionen Euro in die Hand, um den Nachwuchs systematisch zu sichten und zu fördern. Rund 58 000 Spieler durchliefen seither entsprechende Verbands- und Vereinsmaßnahmen. Mit Erfolg. Die DFB-Auswahlmannschaften wurden 2008/2009 innerhalb eines Jahres U 17-, U 19- und U 21-Europameister, die Besten von ihnen bilden das Korsett des heutigen A-Teams. Und das steht im Achtelfinale. Sollte es noch nicht bei dieser WM reüssieren, sind zumindest die Perspektiven für die nächsten Turniere glänzend.

Mangelhafte Nachwuchsarbeit dürfte den Misserfolg der Europäer nur zum Teil erklären. Ein weiterer Grund bleibt der hohe Ausländeranteil der Topligen. Bei Champions-League-Sieger Inter Mailand stand nur selten ein Italiener in der Startformation, der Trainer war mit José Mourinho zudem ein Portugiese. Auch mit diesem Phänomen hat die Bundesliga als erste der wichtigsten europäischen Spielklassen gebrochen. Wurde anfangs nur aus wirtschaftlicher Not auf den Kauf des x-ten mittelmäßigen Ausländers verzichtet, setzen Klubs und Trainer inzwischen immer öfter gezielt auf den Nachwuchs. Bayern München und Schalke 04, die beiden Mannschaften mit den meisten jungen Spielern, wurden in der vergangenen Saison Meister und Vizemeister.

Die Ursachen des vermehrten Scheiterns der Europäer sind jedoch nicht nur hausgemacht, die wachsende Stärke der anderen ist ein wesentlicher, zu lange unterschätzter Faktor. Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland haben in diesem Jahrzehnt endgültig den Status der Exoten abgelegt, sie sind konditionell den Europäern und Südamerikanern ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen, und sie haben vor allem spielerisch und taktisch aufgeholt. Das Wichtigste aber: Sie sind hungrig, und das in jedem Spiel. Hatten sich die Italiener bei Welt- und Europameisterschaften in der Vergangenheit meistens durch die Vorrunde laviert, reichen heute blutleere Vorstellungen wie gegen Paraguay, Neuseeland und die Slowakei nicht mehr zum Weiterkommen. "Wir brauchen nicht nur neue Spieler, wir brauchen auch eine andere Mentalität", gab sich Italiens Weltmeister Fabio Cannavaro einsichtig, "bei einer WM musst du inzwischen in jedes Spiel gehen, als sei es ein Finale."