Nach dem verdienten 4:2 gegen Griechenland im EM-Viertelfinale trifft die deutsche Nationalmannschaft nun auf England oder Italien

Danzig. "Von Spiel zu Spiel zum großen Ziel", so lautet das Motto der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Polen und in der Ukraine. Und das Ziel, der EM-Titel, rückt nun in greifbare Nähe. Nach dem hoch verdienten 4:2-Sieg gegen Griechenland durch Tore von Philipp Lahm, Sami Khedira, Miroslav Klose und Marco Reus trennt die DFB-Auswahl nur noch ein Sieg vom Einzug ins Finale am 1. Juli in Kiew. Der Gegner des deutschen Teams wird am Sonntag im Viertelfinale zwischen England und Spanien ermittelt.

Als großer Gewinner des Abends darf sich besonders Joachim Löw fühlen. "Das war der Tag der Veränderungen, ich wollte frischen Wind reinbringen", bezeichnete der Bundestrainer seine Überraschungen in der Startelf. Gegen 14 Uhr sickerte durch, was anderthalb Stunden vor Anpfiff offiziell bestätigt wurde: Mit Jerome Boateng (erwartet), Miroslav Klose (erwünscht), André Schürrle (erarbeitet) und Marco Reus (erhofft) tauschte der sonst so konservative Badener gleich vier Spieler im Vergleich zum letzten Gruppenspiel gegen Dänemark (2:0) aus. Eine kleine Revolution. Für das neue Quartett mussten Lars Bender, Mario Gomez, Lukas Podolski und überraschend auch Thomas Müller zunächst auf die Bank. Löws Hintergedanke: Ähnlich wie es Trainerkollege Felix Magath bereits unter der Woche im Abendblatt angeregt hatte, hoffte der 52-Jährige, mit den sehr viel quirligeren Offensivkräften den dicht gestaffelten Abwehrblock der Griechen, die überraschend mit Fanis Gekas sogar auf ihren einzigen Stürmer mit einem gewissen Bekanntheitsgrad verzichteten, schneller zu durchbrechen.

Wie schwierig die Theorie in die Praxis umzusetzen war, wurde deutlich, als der slowenische Schiedsrichter Damir Skomina das befürchtete Rasenschachspiel eröffnete. Wie erwartet versuchten die Griechen, deren Fans den größten Spaß hatten, als sie Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ganzer Kraft auspfeifen konnten, gar nicht erst am Spiel teilzunehmen. Beinahe im Minutentakt erspielte sich Löws Mannschaft mal mehr und mal weniger hochklassige Chancen. Dabei erwies sich besonders "Neuzugang" Reus in seinem siebten Länderspiel - dem zweiten von Beginn an - als die von Löw erhoffte Belebung der deutschen Offensive. Gemeinsam mit dem deutlich verbesserten Mesut Özil und dem engagierten, spielfreudigen Klose demonstrierte der Bald-Dortmunder einen sogenannten "One-Touch-Football" der gehobenen Klasse. Lediglich die Belohnung in Form eines Treffers wollte den deutschen Ballkünstlern trotz eines halben Dutzend Versuchen in der ersten halben Stunde nicht gelingen.

Es gehört zur Paradoxität des Fußballs, dass keine dieser herrlichen "Tici-Taca"-Kombinationen, sonst eher im spanischen Spiel zu sehen, für den so ersehnten Führungstreffer sorgte. Vielmehr war es Rechtsverteidiger Philipp Lahm, der mit einem "Costa-Rica-Gedächtnis-Lauf" im Stile seines WM-Treffers vor sechs Jahren für das verdiente Tor sorgte (39.). Der Münchner zog von der linken Seite nach innen, schaute hoch und zog ab: 1:0! Die übertrieben formuliert verdienteste Halbzeitführung aller Zeiten war perfekt.

Der DFB-Anhang machte sich bereit für die große Jubelfeier, und in Richtung der griechischen Fans gab es Hohngesänge wie: "Eure Tickets haben wir bezahlt." Und auch ZDF-Experte Oliver Kahn gab sich in der Pause siegessicher: "Da passiert nichts mehr."

Doch dann ließen die Deutschen zunächst den nötigen Druck vermissen, zudem leistete sich vor allem André Schürrle unnötige Ballverluste. Einen davon nutzte der Außenseiter: Salpingidis entwischte Lahm auf rechts und flankte in die Mitte, wo Samaras schneller am Ball war als Boateng - 1:1 (55.).

Aber die Griechen durften nur kurz auf die Sensation hoffen, den ersten Sieg über die DFB-Auswahl. Nach einer Flanke von Jerome Boateng schaltete Sami Khedira schneller als Miniatis und wuchtete den Ball aus zehn Metern zur erneuten Führung ins Netz (61.). Jetzt war der Bann gebrochen. Sieben Minuten später legte Klose nach: Nach einem Freistoß von Özil köpfte der Angreifer zum 3:1 ein (68.). Es war das 64. Tor des 120-fachen Nationalspielers. Und es kam noch besser, als Reus sogar noch auf 4:1 erhöhen konnte (74.). Das 4:2 durch einen von Boateng verschuldeten Handelfmeter von Salpingidis (89.) war nur noch Ergebniskosmetik. Am Ende aber durften Löw und seine Spieler nicht nur über den Halbfinaleinzug jubeln. 15 Pflichtspielsiege in Folge (EM, EM-Qualifikation, WM), das gelang noch keiner Mannschaft.

"Wir können stolz sein auf diese Mannschaft", sagte Löw. Und die Deutschen auf ihren Bundestrainer, der den Deutschen den vierten Halbfinaleinzug in Folge (WM 2006, EM 2008, WM 2010, EM 2012) schenkt. Kein Wunder, dass ihn Kahn in seiner Analyse sogar als Bundeskanzler bezeichnete.

Deutschland: Neuer - Boateng, Hummels, Badstuber, Lahm - Schweinsteiger, Khedira - Reus (80. Götze), Özil, Schürrle (67. Müller) - Klose (80. Gomez).

Griechenland: Sifakis - Torossidis, Sokratis, K. Papadopoulos, Tzavellas (46. Fotakis) - Makos (72. Liberopoulus), Maniatis - Ninis (46. Gekas), Katsouranis, Samaras - Salpingidis.

Tore: 1:0 Lahm (39.), 1:1 Samaras (55.), 2:1 Khedira (61), 3:1 Klose (68.), 4:1 Reus (74.), 4:2 Salpingidis (89., Handelfmeter). SR: Skomina (Slowenien). Z.: 40 000 (ausverkauft). Gelb: - Sokratis, Samaras.