Der Bundestrainer will auf der Klausur über den Stürmer diskutieren. Wie kann er sein Gesicht wahren?

Hannover. Joachim Löw steht vor einer der schwierigsten Aufgaben in seiner Laufbahn als Bundestrainer: Wie kann er den derzeit erfolgreichsten Bundesliga-Torjäger für die Weltmeisterschaft in Südafrika nominieren, ohne seine Linie zu verlieren? Franz Beckenbauer stellte am Mikrofon des Pay-TV-Senders Sky die richtige Frage: "Wie wahre ich mein Gesicht?"

Der Chefcoach des Deutschen Fußball-Bundes hatte am Wochenende erste zarte Rauchzeichen in Richtung Schalke 04 gesandt. Wenn sich der Trainerstab aus Löw, Co-Trainer Hansi Flick, Torwartcoach Andreas Köpke und Chefscout Urs Siegenthaler am Montag für drei Tage im Schwarzwald zu einer "WM-Klausurtagung" trifft, hieß es, werde auch der verlorene Sohn Kevin Kuranyi ein Thema sein. "Selbstverständlich machen wir uns auch Gedanken, weil das Thema präsent ist in Deutschland", sagte Löw gestern. "Wir werden für uns die richtige Entscheidung treffen." Noch vor der Bekanntgabe seines WM-Aufgebots am 6. Mai soll der Befund in der Causa Kuranyi öffentlich gemacht werden. Als Signal für eine Begnadigung des Schalker Stürmers wollte Löw seine zaghafte Formulierung aber nicht verstanden wissen. Immerhin gestand er dem Abtrünnigen zu: "Er spielt eine gute Saison, das nehmen wir zur Kenntnis."

Kuranyi war nach seiner fluchtartigen Abreise von der Tribüne während eines Länderspiels gegen Russland vor 18 Monaten von Löw aus dem Kreis der deutschen Nationalspieler verbannt worden - für immer, wie es hieß, ohne Aussicht auf Begnadigung. Nur haben Kuranyis 18 Bundesliga-Tore, verbunden mit dem Schwächeln der Stammstürmer, seine Chancen auf eine Rückkehr dramatisch erhöht. Die geballte Bundesligaprominenz forderte Löw auf, über seinen Schatten zu springen. Den Hardliner weichzuklopfen, braucht aber wohl seine Zeit - und die hat der Bundestrainer mit seiner flüchtigen Andeutung schon mal gewonnen.

Kuranyi selbst hielt gestern den Ball flach: "Ich würde mich über eine zweite Chance freuen." Kontakt zu Löw hatte er aber noch nicht. Kuranyis Trainer Felix Magath mahnt indes: "Es wäre schön, wenn das Thema jetzt erledigt werden könnte."

Erledigt haben könnten sich auch die Meisterträume von Kuranyi, Magath und dem FC Schalke 04. Nach der überraschend deutlichen 2:4-Niederlage beim Abstiegskandidaten Hannover 96 meinte Schalkes Trainer Felix Magath sarkastisch: "Wir sind zu gut für die Meisterschaft. Wir sind einfach zu lieb und geben den Titel lieber den Bayern, als dass wir ihn holen wollen."

Zwei Jahre nach seiner Entlassung auf Schalke war es ausgerechnet Mirko Slomka, der die Gelsenkirchener daran hinderte, entscheidenden Boden gegen die Bayern gutzumachen.

Schalke präsentierte sich in Hannover ungewöhnlich zahm. Auch Kevin Kuranyi gab nicht gerade eine Bewerbung für den WM-Kader ab. Verteidiger Mario Eggimann hatte den Torjäger jederzeit im Griff. "Es war spannend, gegen so einen Klassemann zu spielen", sagte Eggimann. So mussten diesmal Edu und Ivan Rakitic die Schalker Tore erzielen. Auch Nationaltorwart Manuel Neuer war neben der Spur - vier Tore hat er in dieser Saison noch nie kassiert. "Hannover hat die schlechteste Abwehr der Liga und wir schießen in der ersten Halbzeit nicht einmal aufs Tor", ärgerte sich Verteidiger Heiko Westermann.

Trotz des schweren Restprogramms mit Partien in München, Leverkusen und Bochum sowie nur einem Heimspiel gegen Mönchengladbach wächst in Hannover nach der Vier-Punkte-Woche gegen den HSV und Schalke die Hoffnung, erstklassig zu bleiben. Vor dem Duell mit den Bayern sagt Slomka selbstbewusst: "Wir wollen einen Punkt aus München mitnehmen."