Der Bundestrainer will sich bei einer möglichen Nominierung des Schalkers in den WM-Kader nicht vom “öffentlichen Druck treiben“ lassen.

Baiersbronn/Neuss. Torjäger Kevin Kuranyi bleibt in der Warteschleife: Bundestrainer Joachim Löw will sich nicht unter Druck setzten lassen und hat die Entscheidung über eine mögliche Rückkehr Kuranyis in die Fußball-Nationalmannschaft vertagt. „Ich bin mir der Verantwortung als Bundestrainer bewusst, aber wir lassen uns vom öffentlichen Druck nicht treiben“, sagte Löw.

Während der dreitägigen Klausurtagung im Schwarzwald-Ort Baiersbronn sei mit seinem Assistenten Hansi Flick, Torwarttrainer Andreas Köpke und Chefscout Urs Siegenthaler über das Thema Kuranyi „natürlich gesprochen worden“, erklärte Löw. Mit einer schnellen Entscheidung sei jedoch nicht zu rechnen. Auf der DFB-Homepage (www.dfb.de) kündigte Löw eine Entscheidung im „Fall Kuranyi“ innerhalb der nächsten beide Wochen an: „Wir werden die nächsten Spiele beobachten. Wir werden uns bis Ende April äußern.“

WM-Kader wird am 6. Mai benannt

Löw wird sein 23-köpfiges WM-Aufgebot am 6. Mai in Stuttgart benennen. „Wir werden auch in der Sache Kevin Kuranyi rechtzeitig bekannt geben, wie unsere Entscheidung ausgefallen ist“, sagte der Bundestrainer.

Im Oktober 2008 hatte Löw den Schalker Stürmer aus der Nationalmannschaft verbannt. Kuranyi war in Dortmund während des WM-Qualifikationsspiels gegen Russland (2:1) frustriert aus dem Stadion geflüchtet, weil er nicht berücksichtigt wurde.

Für die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hat der 28-Jährige, Schütze von 18 Bundesliga-Toren in dieser Saison, 52 Spiele (19 Tore) absolviert. Sein letztes Tor datiert vom 22. August 2007. Damals erzielte er in London das 1:1 beim deutschen 2:1 gegen England.

Kuranyi-Fürsprache vom "Kaiser"

In den letzten Wochen hatten sich deshalb viele Experten für eine Rückkehr von Kuranyi stark gemacht, allen voran „Kaiser“ Franz Beckenbauer. „Wenn ich Bundestrainer wäre, würde ich ihn mitnehmen. Er ist im Moment der beste deutsche Stürmer, dagegen haben die anderen derzeit Probleme“, hatte Beckenbauer erklärt.

Dass Löw durch seine Entscheidung Autorität einbüßen könnte, glaubt der Schweizer Nationaltrainer Ottmar Hitzfeld indes nicht. Vielmehr sieht er dies sogar als ein Zeichen der Stärke: „Absolut, denn es geht am Ende immer um eine erfolgreiche Mannschaft. Da gehören die besten Spieler hin, auch wenn ein Spieler mal eine Disziplinlosigkeit gezeigt hat. Aber dafür wurde er ja auch eine lange Zeit suspendiert.“

Kuranyi auf dem Sprung ins Ausland

Auch ohne WM-Teilnahme könnte Kevin Kuranyi neue internationale Erfahrung sammeln. Denn der noch zu Saisonbeginn von vielen als Auslaufmodell bezeichnete Stürmer ist mittlerweile zum größten Spekulationsobjekt der Fußball-Bundesliga geworden. Das wochenlange Rätselraten über den künftigen Arbeitgeber des im Sommer ablösefreien Spielers könnte schon bald ein Ende haben: Kuranyi steht auf dem Sprung ins Ausland.

„Wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich ausschließen, beim FC Schalke zu verlängern. Kevin hat die Wahl zwischen drei europäischen Clubs und kann sofort unterschreiben“, sagte Berater Roger Wittmann am Mittwoch der Nachrichtenagentur dpa.

Berater: Interesse von mehr als zehn ausländischen Clubs

Während Löw und sein DFB-Trainerstab in Baiersbronn über eine Begnadigung des einst verbannten Torjägers nachdachten, führte Wittmann letzte und wohl entscheidende Transfergespräche. Angesichts des großen Interesses von angeblich mehr als zehn ausländischen Clubs befinden sich Kuranyi und sein Berater-Duo Wittmann/Karlheinz Förster in einer komfortablen Lage. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Angebote gibt, die für Schalke nicht diskutabel sind“, sagte Schalke-Coach Felix Magath nach einem Test am Dienstag gegen eine Amateur-Auswahl vielsagend.

Die Chancen der Schalker auf einen Verbleib des mit 18 Saisontoren erfolgreichsten 04-Torschützen sind offenbar stark gesunken. Zwar hatte Kuranyi den Revierclub zuletzt wiederholt als „Herzenssache“ bezeichnet, einen Wechsel aber nie ausgeschlossen. Schließlich dürfte die im Raum stehende Gehaltsforderung von rund 4,5 Millionen Euro pro Jahr für den finanziell klammen Tabellenzweiten selbst bei einer Champions-League-Teilnahme kaum zu erfüllen sein.

Sowohl in Italien (Juventus Turin) als auch in England (FC Sunderland) und Russland (Dynamo Moskau) wird Kuranyi seit Wochen als Neuzugang gehandelt. „Ganz Europa will ihn“, schwärmte Sunderland-Berater Steve Bruce. Und die russische Zeitung „Sport Express“ nannte den 28-Jährigen am Dienstag ohne weitere Erläuterungen „die künftige Verstärkung von Dynamo Moskau“. Wenige Tage zuvor hatte Dynamo auf seiner Internetseite mitgeteilt, „einen Vertrag mit einem Top-Stürmer eines führenden europäischen Vereins unterzeichnet“ zu haben.

Magath will Ende der Diskussionen

Langsam, aber sicher ist Magath des Dauerthemas überdrüssig. Aus Sorge um leistungsmindernde Störgeräusche im Titelkampf plädierte er auch für ein schnelles Ende der Diskussion über Kuranyis Zukunft im DFB-Team. „Es wäre schön, wenn das Thema – wie auch immer – endlich erledigt wäre. Wir haben noch vier Spiele und einen Spieler, der eine ungelöste Situation hat, der beschäftigt sich natürlich damit.“

Dass dieser Wunsch in Erfüllung geht, erscheint nach dem neuerlichen Entscheidungs-Aufschub von Löw unwahrscheinlich. Für Theo Zwanziger ist eine WM-Nominierung jedoch keine alleinige Frage der sportlichen Leistung des Schalker Stürmers. „Die Frage ist, was ist das stärkste Team. Das ist sowohl sportlich zu bewerten, aber auch eine disziplinarische Frage, die eine Rolle spielt. Das muss in einem vernünftigen Ausgleich geschehen“, kommentierte der DFB-Chef.

Löw mit Vorbereitung zufrieden

Ungeachtet der Kuranyi-Debatte zeigte sich Löw mit dem Stand der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Südafrika zufrieden: „Wir sind mit Sicherheit im Plan“, sagte der Bundestrainer in Baiersbronn: „Wir haben gute Spiele gemacht, aber auch gesehen, dass wir Spiele gemacht haben, in denen wir nicht unser absolutes Leistungsniveau erreicht haben.“

In der WM-Vorbereitung gelte es nun, mit aller Konsequenz und mit aller Klarheit zu arbeiten, um die Spieler auf Top-Niveau zu bringen: „Uns als Nationalmannschaft tun drei Wochen Vorbereitung enorm gut, das haben wir vor den anderen Turnieren auch gesehen“, sagte Löw.