Der Tod von Robert Enke erschütterte am 10. November ganz Deutschland. Der Spielervermittler Jörg Neblung war sein Berater und sein Freund.

Hamburger Abendblatt: Herr Neblung, nach dem Tod Ihres Freundes Robert Enke rollte eine Welle der Anteilnahme durch Deutschland. Welche Erinnerung hat Sie besonders geprägt?

Jörg Neblung: Da bleiben viele Bilder. Unvergesslich wird das Kerzenmeer an der Arena in Hannover bleiben. Haften bleibt mir auch ein Foto von Robert in einer Klarsichtfolie an der Gedenkstätte am Bahnübergang in Eilvese. Die abperlenden Regentropfen wirkten wie Tränen. Auch beim Trauergottesdienst in Hannover werde ich eine Szene nie vergessen. Eine Frau schenkte Teresa einen Porzellanengel und erzählte, dass Robert ihrem Sohn, der Balljunge bei Roberts letztem Spiel gegen den HSV war, nach dem Abpfiff besonders innig umarmt habe. Rückblickend habe es auf sie wie ein Abschied gewirkt.

Abendblatt: Von Ihnen hat sich Robert Enke nicht verabschiedet ...

Neblung: Nein, nach dem HSV-Spiel haben wir uns im VIP-Bereich getroffen und ich habe ihn und Teresa dann auf dem Parkplatz abgesetzt. Robert hat mir ganz normal Tschüss gesagt, er war wie immer. Seine Vertrauten, die seinen Plan hätten durchkreuzen können, hat er in den letzten Tagen allesamt bis zum letzten Moment getäuscht.

Abendblatt: Machen Sie sich dennoch Vorwürfe?

Neblung: Die Frage, was wir hätten anders machen können, wird uns, die Robert besonders nahestanden, noch lange beschäftigen. Auch ich überlege immer wieder: Hättest du in der einen oder anderen Situation anders reagieren müssen? Wir haben drei Monate lang um und für ihn gekämpft - am Ende werden wir leider keine weiteren Antworten bekommen. Auch nicht auf die Frage, ob der Gang in eine Klinik ihn gerettet hätte.

Abendblatt: Wie hat er über die Einweisung in eine Klinik gedacht?

Neblung: Wir haben es immer wieder sehr offen besprochen und Robert hat sich am Ende immer wieder klar dagegen entscheiden. Ihm war bewusst, dass ein Klinik-Aufenthalt wohl das Ende seiner WM-Träume bedeutet hätte. Ja, seine gesamte Karriere hätte dann vorbei sein können.

Abendblatt: War ihm die Karriere wichtiger als die Gesundheit?

Neblung: Ich möchte es anders formulieren. Der Fußball war für ihn der große Halt. Ein Karriereende hätte ihn womöglich endgültig gebrochen. Daher bin ich mir auch nicht sicher, ob der Gang in eine Klinik ihn wirklich gerettet hätte. Dieser Schritt hätte nur öffentlich erfolgen können.

Abendblatt: Also hat er die Fassade lieber aufrecht erhalten.

Neblung: Drei Wochen vor seinem Tod, als es ihm wirklich sehr schlecht ging, habe ich gesagt, Robert, für deine schauspielerische Leistung kriegst du den Oscar von mir. Und eine Oscar-Nachbildung werde ich ihm auch noch schenken. Er hat da Übermenschliches geleistet. In Köln bei der Preisübergabe ...

Abendblatt: ... als ihn seine Kollegen von der Profigewerkschaft der Vertragsfußballer in die Elf des Jahres gewählt hatten ...

Neblung: ... hat er zwischendurch sogar in die Kameras gelächelt. Ich saß im Publikum und habe Teresa per Handy ein Foto geschickt und ihr geschrieben: "Du glaubst nicht, wie sich Dein Mann hier gerade präsentiert". Denn wir wussten ja als Einzige, wie es wirklich in ihm aussieht.

Abendblatt: Durfte man ihn in solchen Phasen allein lassen?

Neblung: Es gab Tage, da haben wir ihn nicht alleine zum Training fahren lassen. Aber das ist ein sehr schmaler Grat. Man darf Depressiven nicht jegliche Form der persönlichen Freiheit nehmen, damit sie weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Autonomie realisieren können.

Abendblatt: Haben Sie mit Robert überhaupt noch herzlich lachen können?

Neblung: Ab und an schon. Die Krankheit war ein Auf und Ab. Aber selbst in Phasen, wo es ihm nicht gut ging, hatten wir zum Ende des Tages auch schon mal etwas Auflockerung. Wenn Robert das Gefühl hatte, er hat den Tag erfolgreich hinter sich gebracht, konnte er sich etwas entspannen.

Abendblatt: Haben Sie erste Symptome schon bei ihm festgestellt, als Sie Robert kennengelernt haben?

Neblung: Überhaupt nicht. Ich bin Robert das erste Mal im Sommer 1995 begegnet, als er als junger Torwart aus Jena zu Borussia Mönchengladbach kam. Ich war dort damals Reha- und Athletiktrainer. Aufgefallen ist mir damals nur, wie wenig sich Robert aus materiellen Dingen machte. Schnelle Autos, luxuriöse Mode, all das, was unter vielen Profis so angesagt ist, waren ihm herzlich egal.

Abendblatt: Aber er wirkte innerlich stabil?

Neblung: Er hat in seiner ersten Saison als Stammtorwart in Gladbach 78 Tore bekommen, den Abstieg trotz guter Leistungen nicht verhindern können. Normalerweise nagt so etwas an der Psyche eines jeden Torhüters. Aber Robert hat in der Phase sein Ding einfach durchgezogen, keine Selbstzweifel oder Angstgefühle gezeigt. Die wirkliche Krankheit Depression kam viel später.

Abendblatt: Hätten Sie nach seinem Tod eine solche Welle der Anteilnahme erwartet?

Neblung: Nein, damit konnte niemand rechnen. Ich weiß auch, dass manche denken, es war zu viel. Aber ich sehe das anders. Robert war ein ganz besonderer Mensch, der immer mehr gegeben als genommen hat. Ein absolutes Vorbild. In meinen Augen war solch eine große Anteilnahme und dieser Ausdruck von Wertschätzung gerechtfertigt.

Abendblatt: Unvergessen bleibt die Pressekonferenz mit Witwe Teresa Enke am Tag danach. Haben Sie sie zu diesem Auftritt bewegen müssen?

Neblung: Wir haben in der Nacht vorher noch lange zusammengesessen, Teresa hat sich sofort bereit erklärt zu sprechen. Sie wollte verhindern, dass es irgendeinen Spielraum für Spekulationen gibt. Und wer wäre besser geeignet gewesen als sie, um über Roberts Probleme zu reden?

Abendblatt: Nach seinem Tod forderten viele, darunter auch DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger, ein Umdenken im Leistungssport. Doch Stuttgarts ehemaliger Trainer Markus Babbel kritisierte nach den Angriffen von VfB-Fans gegen seine Mannschaft, dass man aus Enkes Tod nichts gelernt habe.

Neblung: Ich fand es gut, dass Markus Babbel nach seiner Entlassung diese klaren Worte gesprochen hat. Aber man sollte nicht von den Taten einiger Verwirrter, die sogar vor dem Spiel den Mannschaftsbus bewerfen, auf die gesamte Szene schließen. Insgesamt glaube ich schon, dass es jetzt mehr Sensibilität und Menschlichkeit im Fußball gibt. Und mit der geplanten Robert-Enke-Stiftung soll demnächst Betroffenen Mut gemacht werden, sich zu ihrer Erkrankung zu bekennen.

Abendblatt: Aber am Leistungsgedanken wird sich nichts ändern.

Neblung: Nein, das wäre auch illusorisch. Es wird weiter derjenige auf dem Spielfeld stehen, der stärker ist, der sich durchsetzt. Diese Form des Darwinismus wird bleiben.

Abendblatt: Eine letzte Frage, Herr Neblung. Wie geht es Teresa Enke?

Neblung: Die Weihnachtstage waren für sie nicht leicht. Solche Feste sind für Trauernde immer schwierig. Aber sie ist eine sehr starke Frau.