Die Gastgeber bestreiten heute (20.45 Uhr/ARD) gegen den Erzrivalen das brisanteste Spiel der EM-Vorrunde. Die Medien geben sich martialisch.

Warschau. Die polnische Hauptstadt ist eine Stadt harter Kontraste, was manchmal durchaus komische Effekte ergibt. Zum Beispiel gestern, am Tag vor dem wohl brisantesten Spiel der EM-Vorrunde, Gastgeber Polen gegen den großen Nachbarn Russland: Eine Boulevardzeitung zeigt Nationaltrainer Franciszek Smuda zu Pferd, mit gezücktem Säbel auf dem Weg in die Schlacht. Aufmachung und Schlagzeile ("Glaube - Hoffnung - Smuda") sind Anspielungen auf den polnisch-sowjetischen Krieg 1920.

Wer am Wochenende das öffentliche Training der Nationalmannschaft im Polonia-Stadion am Nordende der Warschauer Altstadt verfolgt hat, würde auf andere Assoziationen verfallen: 1968; friedfertige Blumenkinder, die Gänseblümchen in Gewehrläufe stecken. Über der erschütternd müden Veranstaltung mit nur etwa 5000 Besuchern lag so etwas wie eine erschöpfte Erleichterung. Polen hat die Stadien fertig bekommen und die Organisation bewältigt, eine rührend schöne Eröffnungsfeier hingelegt und das erste Spiel nicht verloren.

Das reicht, um sich nach fünf teuren und schwierigen Jahren Anlauf auf das Turnier mit einem Seufzer zu entspannen. So machte es Polens Sportministerin Joanna Mucha: "Wir sind froh, dass alles rechtzeitig fertig wurde, alles geklappt hat und wir Polen international in ein gutes Licht rücken." Ein Eröffnungsspiel sei ja bekanntlich immer schwierig, nach dem 1:1 gegen die Griechen alles noch möglich. In den Kneipen der Altstadt beobachteten erfahrene Turniertouristen ein seltenes Phänomen: Die verzehrten Alkoholmengen waren rekordverdächtig, der Lärmpegel dafür nahe null. Warschau hing quasi in den Seilen, wie die Nationalmannschaft zuvor gegen die Griechen.

Tatsächlich geht es für den Co-Gastgeber heute (20.45 Uhr/ARD) schon darum, die selbst ausgerichtete Party nicht frühzeitig verlassen zu müssen. "Wir haben keine Angst vor den Russen", behauptet Rechtsverteidiger Lukasz Piszczek, "obwohl sie einige wirklich Furcht einflößende Spieler haben." Die zweite Hälfte des 4:1-Sieges Russlands über Tschechien hatten die Polen am Freitag live gesehen, die ebenso imposante erste Hälfte holten sie später mit Analysen von Trainer Smuda nach. "Sie sind erfahren, eingespielt und taktisch hervorragend", sagt der Dortmunder Piszczek, "aber wir spielen zu Hause und werden dagegenhalten."

+++ Angst vor Ausschreitungen bei Polens Endspiel gegen Russland +++

Wahrscheinlich wird Smuda das gleiche Personal aufbieten, das gegen die Griechen in der zweiten Hälfte vollkommen einbrach - es fehlt an Alternativen. "Mit Wechseln kann man das Gleichgewicht ganz schnell stören", erklärte der Trainer, der einige Kritik für sein Festhalten an seiner ersten Elf einstecken musste. Die Hoffnung auf eine dringend nötige Steigerung kommt von der psychologischen Seite. Smuda gab erst nachträglich zu, wie es ihm vor dem Eröffnungsspiel ging: "Ich fühlte das Gewicht von 40 Millionen Menschen auf meinen Schultern." Spieler wie Obraniak oder Rybus wirkten gegen Ende so, als hätten sie auch je zwei oder drei Fans huckepack genommen. Das Dortmunder Startrio mit dem Torschützen Robert Lewandowski, Kapitän Jakub Blaszczykowski und Piszczek stach zwar durch Dynamik und Klasse heraus, doch speziell Blaszczykowski war der Druck der Verantwortung ebenfalls anzumerken. Doch nun, versichert Smuda, sei diese Last verschwunden.

Falls es am Spieltag Probleme geben sollte, emotional wieder auf Touren zu kommen, könnte ein Blick in einen Zeitungskiosk oder auf die Straßen der Stadt helfen. Auch das Magazin "Newsweek Polska" steckt Smuda in eine Generalsuniform und spricht von einer "Schlacht um Warschau", deren historisches Pendant 1920 mit einem verlustreichen Sieg der polnischen Armee endete.

Für den Spieltag haben russische Fans schon vor Monaten einen Marsch durch die Stadt genehmigt bekommen, was einige polnische Anhänger als Provokation ansehen. Dieses kolonnenhafte Anrücken zum Stadion wird als traditionelles Fanverhalten ausgegeben, die Warschauer Polizei ist aber sicher zu Recht in höchster Bereitschaft. Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz hat angekündigt, die Polizei werde sofort eingreifen, wenn auf dem Marsch politische Symbole gezeigt würden. Über solche dürfte der nationalistische Teil der russischen Anhänger in großer Zahl verfügen. Wie viel von dieser Aufregung bei den polnischen Fußballern ankommt, ist zweifelhaft. Da gibt es etwa den Torhüter Przemyslaw Tyton, der im Eröffnungsspiel eingewechselt wurde und den Elfmeter hielt, den Stammkeeper Wojciech Szczesny gerade verschuldet hatte. Und was sagt Tyton? "Was wir brauchen, ist Ruhe und keine neuen Heldengeschichten."

Polen: 22 Tyton - 20 Piszczek, 13 Wasilewski, 15 Perquis, 2 Boenisch - 11 Murawski, 7 Polanski - 16 Blaszczykowski, 10 Obraniak, 8 Rybus - 9 Lewandowski. Russland: 16 Malafejew - 2 Anjukow, 12 Beresuzki, 4 Ignaschewitsch, 5 Schirkow - 7 Denissow, 8 Sirjanow - 17 Dsagojew, 6 Schirokow, 10 Arschawin - 11 Kerschakow. Schiedsrichter: Stark (Ergolding).