Klassenkampf in Berlin: Schalke 04 und den Zweitligisten MSV Duisburg trennen 73 Millionen Euro. Neuer möchte zum Abschied den Titel.

Berlin. Spötter könnten den DFB-Pokal einen Wettbewerb der Gescheiterten nennen. Der FC Schalke 04, Tabellen-14. der Bundesliga und glückloser Halbfinalist in der europäischen Champions League, versucht im Endspiel an diesem Sonnabend im Berliner Olympiastadion (20 Uhr, ARD), eine alles in allem enttäuschende Saison zu retten. Und der MSV Duisburg, als Tabellen-8. der Zweiten Liga weit von einem Aufstiegsplatz entfernt, träumt den Traum jedes Außenseiters, wenigstens einmal im Jahr die sportlichen Schlagzeilen zu beherrschen.

Zuletzt ist dieser Coup 1992 Hannover 96 gelungen, als der damalige Zweitligaklub Borussia Mönchengladbach nach torlosen 120 Minuten mit 4:3 im Elfmeterschießen bezwang. Im Europapokal war dann aber schon in der ersten Runde gegen Titelverteidiger Werder Bremen Schluss.

Klassenkampf im Olympiastadion. Auf der einen Seite die Schalker mit ihrem Kader internationaler Größen, der mit zuletzt 78 Millionen Euro Personalkosten kaum mehr bezahlbar war. Auf der anderen die Duisburger, die mit fünf Millionen Euro schon zur Zweitligaspitze zählen, aber im Vergleich zum Ruhrrivalen doch nur Minimalisten sind. In Berlin, bei der offiziellen Präsentation, hielten dennoch die Trainer beider Vereine Distanz zum hübsch-hässlichen Pokal. Zu nahe wollte niemand dem Pott vor dem Spiel kommen.

Schalkes Trainer Ralf Rangnick ließ allerdings keinen Zweifel, dass sich die Hackordnung am Ende auch auf dem Platz zeigen werde: "Wenn wir unsere normale Leistung bringen, gewinnen wir auch. Mit dem Titel könnte die Mannschaft stolz sein auf eine besondere Saison, die in die Vereinsgeschichte eingeht." Rangnick, der zuletzt sechs Pflichtspiele hintereinander verlor, verbucht den "frühzeitig feststehenden Klassenerhalt" für seine Millionentruppe tatsächlich als Erfolg. Sportvorstand Horst Heldt sieht mehr die wirtschaftliche Komponente: ein versöhnlicher Abschluss wäre mit Blick auf die Finanzen und auf das Prestige immens wichtig. "Sonst wäre unsere Saison versaut."

Die Spiele in der Champions League hatten Schalke 04 mehr als 50 Millionen Euro eingebracht. Ein paar weitere Millionen in der Europa League wären existenziell wichtig, um den avisierten Sparkurs in der kommenden Saison abzufedern. Heldt und Rangnick müssen die Personalkosten auf 60 Millionen Euro senken. Allein der Wechsel Manuel Neuers zu Bayern München wird dafür nicht reichen.

Während die Schalker mit dem DFB-Pokal gut sieben Millionen Euro einspielten, sind die Einnahmen der Duisburger Gold wert. 6,5 Millionen Euro übertreffen sogar den Saisonetat. Kein Wunder, dass der Duisburger Coach Milan Sasic, der zuvor schon die Zweitligaklubs TuS Koblenz und Kaiserslautern trainierte, für seinen Verein die emotionale Karte spielt: "Es ist sicher ein Höhepunkt für uns, den Verein und die Stadt." (siehe Text rechts).

Für zwei Schalker Spieler hat das Berliner Finale eine besondere Bedeutung. Nationaltorwart Manuel Neuer verabschiedet sich mit diesem Spiel von den Königsblauen. "Es wäre mein erster Titel als Profi mit Schalke 04, das würde ich mein Leben lang nicht vergessen", sagte der 25-Jährige.

Auch für den spanischen Altstar Raúl, 33, würde der Pokalsieg seine Karriere bereichern. Der international extrem erfolgreiche Profi hat trotz dreier Champions-League-Titel und sechs spanischer Meisterschaften tatsächlich noch nie einen nationalen Pokal gewonnen. Raúl, der 19 Tore in allen Wettbewerben erzielte, verhandelt derzeit mit Heldt darüber, ob er seinen bis 2012 laufenden Vertrag noch einmal verlängert.

Der Schalker Anhang wird übrigens am Sonnabend auf eine harte Probe gestellt. Weil der MSV seine Tracht wählen konnte, müssen die Schalker auf Königsblau verzichten und ihr "Ausweichtrikot" überziehen. Die Farbe "Ultra beauty" soll irgendwo zwischen Pink und Violett angesiedelt sein. "Unsere Fans werden uns schon erkennen", sagt Sportdirektor Heldt.

Duisburg: Yelldell - Kern, Reiche, Bajic, Veigneau - Banovic, Grlic (Trojan), Sukalo - Yilmaz, Sahan - Schäffler. Schalke: Neuer - Uchida, Höwedes, Metzelder, Escudero - Papadopoulos, Kluge - Farfan, Jurado - Raúl, Huntelaar. Schiedsrichter: Stark (Ergolding)

Lesen Sie hierzu auch: Neuer verabschiedet sich von Schalke auf großer Bühne

Es ist ein gebührender Abschied für Manuel Neuer, sein voraussichtlich letztes Spiel für Schalke 04 auf ganz großer Bühne. 75.708 Zuschauer werden heute im Berliner Olympiastadion beim DFB-Pokalfinale gegen den MSV Duisburg den imposanten Rahmen für das 199. Spiel des Fußball-Nationaltorwarts für Schalke 04 geben. Auch wenn die Königsblauen auf ihrer Champions-League-Reise in dieser Saison in Europas berühmtesten Arenen antraten - der Traditionsklub ist nach 20 Jahren für den Weltklasse-Keeper zu klein geworden.

„Dieser Verein ist ein Stück Heimat für mich und wird es ganz sicher bleiben“, sagte der 25-Jährige, dessen Wechsel im Sommer zu Bayern München so gut wie sicher ist. Er werde Schalke immer in seinem Herzen tragen, versicherte er - und ließ an seinem Abschied keinen Zweifel.

Längst haben sich beide Klubs in den Verhandlungen weitgehend geeinigt. Von „Schalker Mondpreisen“ reden die Bayern längst nicht mehr, die Gelsenkirchener wiederholen die einst mit einem Schmunzeln genannten 100 Millionen nicht mehr. 18 Millionen Euro soll der Festpreis betragen, bis zu sieben Millionen sollen als Erfolgsprämien hinzukommen.

Dass Trainer Ralf Rangnick am Tag vor dem Cupfinale noch einmal die Möglichkeit eines Verbleibs des Torhüters ins Gespräch brachte, dürfte nicht mehr als ein Ablenkungsmanöver gewesen sein. „Ich wäre mir nicht so sicher, ob Manuel wirklich sein letztes Spiel macht“, sagte der Schalker Coach.

Alle Beobachter sind sich einig: Nach dem Pokalfinale wird der Wechsel offiziell über die Bühne gehen. Die Hängepartie, die sich schon durch die gesamte Saison zog, wird dann ein Ende haben. Und damit auch die Zeit, in der der Ur-Schalker, der als Vierjähriger dem Klub beitrat, ständig mit diesem Thema konfrontiert wird.

Seit Neuer vor vier Wochen erklärte, er werde seinen 2012 auslaufenden Vertrag nicht verlängern, schlitterte Schalke von einer Niederlage zur nächsten. 16 Tore kassierte der Nationaltorwart in sechs Spielen, ein ums andere Mal wirkte er nicht mehr so souverän wie zuvor. „Er ist auch nur ein Mensch. Man hat gemerkt, was alles auf ihn einprasselt“, sagte Rangnick.

Und auch Neuer selbst gab zu, dass ihn vor allem die Reaktionen der Fans beschäftigten. „Pfiffe tun immer weh, weil ich immer alles für diesen Verein gegeben habe“, sagte er der Sport-Bild. „Ich habe niemanden verraten, ich habe keinen angelogen oder ein Versprechen gebrochen. Das würde ich nie tun, da ich Schalke liebe.“

Mit seiner Liebe hat er seit seiner Beförderung zur Nummer eins 2006 viel erlebt. Er hat die Meisterschale vor Augen gehabt und sie noch verloren, er hat in der Champions League Weltklassestürmer zur Verzweiflung getrieben, er ist zum besten Torwart Deutschlands gereift, mit dem in der Fußball-Welt nur wenige mithalten können. Vor allem ist er, der früher in der Nordkurve als Fan mit den legendären Euro-Fightern, den Vier-Minuten-Meistern, den Pokalsiegern von 2001 und 2002 feierte und litt, für Schalke zu groß geworden.

Der Klub, der seit 1958 seiner achten Meisterschaft hinterher hechelt, hat sich nach dem misslungenen Experiment Felix Magath von der nationalen Spitze und erst recht von den ganz Großen im internationalen Geschäft wieder weiter entfernt. Die Ansprüche seines Vorzeigeprofis, der sich Jahr für Jahr mit den Besten seiner Zunft messen möchte, kann Schalke nicht erfüllen.

In München sehen sie ihn schon als neuen Oliver Kahn. Er sehe bei Neuer „dieses Bayern-Gen, unbedingt gewinnen zu wollen“, sagte Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge dem Münchner Merkur und sprach von einer Personalie, die er nicht auf drei, vier Jahre sehe, „sondern auf eine Dekade“. Kahn sei, als er zum Rekordmeister kam, noch nicht Nationaltorwart gewesen. „Rein vom Alter her ist Manuel vielleicht schon ein Stück weiter als damals Oliver. Er trägt das Prädikat Weltklasse schon jetzt zu Recht.“ (sid)