Hamburg. Der Hamburger Kultclub hat in den letzten Jahrzehnten sportlich viel erlebt. Für den WM-Helden von 1990 hat genau dort alles begonnen.

Die 13. Spielminute lief, als Verteidiger Diedrich Siemering „zu einem seiner bekannten Sturmläufe ansetzte“, wie das Abendblatt schrieb, den Ball von der Strafraumgrenze über Torhüter Horst Bertram ins Netz lupfte.

2700 Zuschauer am Rothenbaum jubelten mit dem 23 Jahre alten Pädagogikstudenten. Sein Kabinettstückchen war am 23. Spieltag der 2. Fußball-Bundesliga Nord der Siegtreffer zum 1:0 über Borussia Dortmund, dem vielleicht größten Erfolg in der Geschichte des Hamburger Sport Vereins (HSV) Barmbek-Uhlenhorst.

Der feiert an diesem Sonntag sein 100-jähriges Bestehen. Als Gratulant kommt am Sonnabend (14 Uhr) Oberligaclub Altona 93 zum Jubiläumsspiel ins vereinseigene Stadion an der Dieselstraße (Nähe U-Bahn Habichtstraße), das unter BU-Anhängern „New Hamburg Anfield“ heißt.

Andi Brehme wurde zu BUs bekanntestem Sprössling

BU – diese zwei Buchstaben stehen im Hamburger Fußball für treue Fans, die sich selbstironisch „Barmbeker Pöbel“ nennen, familiären Zusammenhalt, die einst traditionellen Montagsversammlungen im Clubhaus mit allen Trainern des Vereins, Verbundenheit mit dem Stadtteil und hervorragender Jugendarbeit.

Die Nachwuchsabteilung war einst mit mehr als 30 Mannschaften die zweitgrößte Deutschlands, sie prägt weiter den Club. Der bekannteste Sprössling wurde Weltmeister: Andreas Brehme.

Bernd Brehme ließ Sohn Andreas mit Medizinbällen trainieren

Dass der Linksfuß 1990 im WM-Finale in Rom mit seinem rechten den Elfmeter zum 1:0 gegen Argentinien verwandelte, hatte er seinem Vater Bernd Brehme (85) zu verdanken. Der legte Wert auf Beidfüßigkeit.

„Um seine Schusskraft zu stärken, habe ich ihn gegen Medizinbälle treten lassen“, erinnert sich Bernd Brehme. Auch verpasste er seinem Sohn im Training schon mal Bleiwesten, um seine Kondition zu stärken.

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Legendär waren Andreas Brehmes Auftritte in den 1960er-Jahren, als der Knirps im Alter von sechs, sieben Jahren in der Halbzeitpause der Spiele der Herrenmannschaft unter dem Jubel der Zuschauer mit dem Ball aufs leere Tor zulief, ihn aus 16 Metern einschoss und anschließend mit ihm jonglierte.

Der Schritt in den Profifußball

Neben dem HSV und dem FC St. Pauli ist BU bis heute der einzige Hamburger Verein, der sich im Profifußball versuchte.

Der DFB hatte zur Saison 1974/75 die Einführung einer zweigleisigen 2. Liga mit 40 Mannschaften beschlossen, um den sportlichen und wirtschaftlichen Abstand zwischen der Bundesliga (seit 1963) und den fünf Regionalligen zu verringern.

Über ein Punktesystem hatte sich BU mit den Ergebnissen der vergangenen Spielzeiten mit vierten und fünften Plätzen für neue Klasse qualifiziert – auch dank zahlreicher ehemaliger HSV-Profis wie Harry Bähre, Willi Giesemann, Ernst Kreuz, Torhüter Erhard „Tas“ Schwerin, Klaus Fock, Helmut „Ratte“ Sandmann, Gert Dörfel.

Kapitel Profifußball geht nach hinten los

Der Testlauf im bezahlten Fußball ging gründlich schief. Am Saisonende war BU nicht nur als Tabellenletzter abgestiegen, der Sieg gegen Dortmund war in 38 Spielen einer von sechs, dem mit einer halben Million Mark verschuldeten Verein drohte die Insolvenz, weil sich Mäzen Hermann Sanne zurückgezogen hatte und der Hamburger Senat im Mai 1975 eine Bürgschaft über 250.000 Mark ablehnte.

„Wir mussten für die Zweite Liga ins HSV-Stadion am Rothenbaum ausweichen, unser Rupprecht-Platz wurde vom DFB nicht akzeptiert, und dort einen Zaun errichten, was uns eine Menge Geld kostete“, sagt Bernd Brehme, der Ende Mai 1975 als Trainer noch zu retten versuchte, was nicht mehr zu retten war. Da es sportlich nicht lief, blieben auch die Zuschauer aus, zuletzt kamen noch 300.

Rettung durch solidarisches Vereinsnetzwerk

Gerettet wurde der Club dennoch. Der HSV trat zu einem Freundschaftsspiel an, das Ernst-Deutsch-Theater spendierte den Erlös zweier Vorstellungen, und Stars sangen für BU.

10.000 Stück einer Langspielplatte mit Heino, Gitte, Costa Cordalis wurden produziert, Sänger Tony (Manfred Oberdörffer) textete sein Lied „Mein letztes Geld gib ich für Blumen aus“ um in „Mein letztes Geld gib ich für Fußball aus, für Barmbek-Uhlenhorst, das ist mein Verein“. Der Song wurde Kult und wird bis heute bei den Heimspielen der Barmbeker gesungen.

Zu verdanken hatte BU diese Solidarität seinem Netzwerk aus prominenten Vereinsmitgliedern und Sympathisanten wie den Schauspielern Hansjörg Felmy oder Hanns Lothar.

NDR-Nachrichtensprecher Gerd Ribatis organisierte die Plattenaufnahme, Klaus Fulda war die rechte Hand des Ernst-Deutsch-Theaterdirektors Friedrich Schütter.

BUs Abstieg nach dem Abstieg

Nach dem Abstieg aus der 2. Bundesliga spielte BU sechs Jahre lang in der Oberliga. 1978/79 gaben Andreas Brehme und der spätere St.-Pauli-Profi Joachim Philipkowski als Jugendliche ihr Debüt in der ersten Mannschaft.

Mit dem Abstieg 1981 in die damals viertklassige Verbandsliga begann BUs Reise durch die Hamburger Spielklassen, die vor zwei Jahren vorerst in der sechstklassigen Landesliga endete.

Andreas Brehme über BU: "Tolle Zeit hat mich geprägt"

Heute hat der Verein 1050 Mitglieder, und der Vorsitzende Marco Peters (30) freut sich über 300 bis 400 Zuschauer bei den Heimspielen, eine für den Amateurfußball große Kulisse.

„Es gibt keinen Masterplan, dass wir irgendwann aufsteigen wollen. Wir machen unsere Jugend- und Stadtteilarbeit und freuen uns über das Renommee, das wir weiterhin genießen.“ Dabei helfe auch die Vergangenheit.

„Wenn ich an BU denke, empfinde ich große Dankbarkeit“, sagte Andreas Brehme (62) dem Abendblatt. „Ich habe meine ganze Jugend dort verbracht. Diese tolle Zeit hat mich geprägt und mir entscheidend dabei geholfen, später meine großen Ziele zu erreichen.“