Hamburg/München. 1990 verwandelte er den entscheidenden Elfmeter gegen Argentinien – heute spricht Brehme über das epische Finale der WM in Katar.

Andreas Brehme brauchte am Sonntagnachmittag Ruhe. Der Fußball-Weltmeister von 1990 hatte sich in sein Zuhause in München zurückgezogen, um das Endspiel der Katar-WM ohne Ablenkung zu studieren, zu genießen, aufzusaugen. „Große Spiele muss ich alleine schauen“, sagt Brehme, als er am nächsten Morgen telefonisch mit dem Abendblatt verabredet ist, um das epische Endspiel zwischen Argentinien und Frankreich anlässlich des Jubiläumspodcasts von „HSV – wir müssen reden“ (150. Folge) Revue passieren zu lassen.

Brehmes Tag danach ist von morgens bis abends durchgetaktet. Der Finaltorschütze von 1990 ist nach dem furiosen Finale ein begehrter Gesprächspartner, wenn es gilt, das Gestern mit dem Heute noch einmal zu verbinden. Denn kaum einer kann besser beurteilen, was Lionel Messi durch den Kopf gegangen sein muss, als der argentinische Zauberfußballer in der 23. Minute den ersten Elfmeter des Abends zum 1:0 verwandelte.

WM Katar: Andreas Brehme kann den Druck gut nachfühlen

Oder was Kylian Mbappé gedacht haben muss, als der französische Überschallkicker gleich zwei Strafstöße verwandelte: den ersten in der 80. Minute zum zwischenzeitlichen 1:2, den zweiten kurz vor dem Schluss der Verlängerung zum 3:3 (118. Minute). Der Druck, die Gedanken, die Einsamkeit vor so einem Schuss. „Als ich kurz vor dem Ende des Finales 1990 zum Punkt gegangen bin, kam der Rudi (Völler, die Red.) und sagte mir: ,Wenn du den reinmachst, dann sind wir Weltmeister.‘ Ich dachte nur: ,Schönen Dank auch.‘“

Ein Hamburger ist Weltmeister: Brehme 1990 in Rom.
Ein Hamburger ist Weltmeister: Brehme 1990 in Rom. © picture alliance / Pressefoto Rudel | Herbert Rudel

Andreas Brehme, in Hamburg geboren, in Barmbek aufgewachsen. Er war deutscher Meister, italienischer Meister, Italiens Fußballer des Jahres, Träger des Silbernen Lorbeerblattes. Doch alles, seine Karriere, seine Erfolge, sein Ruhm, stand in dieser 85. Minute am 8. Juli 1990 auf dem Spiel. „An diesen einem Schuss, meine Damen und Herren, kann der Weltmeistertitel für die deutsche Mannschaft hängen“, hatte ARD-Kommentator Gerd Rubenbauer bei der Livereportage gesagt.

Mal mit rechts, mal mit links: Beidfuß Brehme

Doch Brehme hörte ihn nicht, er hörte auch die 73.607 Zuschauer im Stadio Olimpico von Rom nicht und dachte auch an die mehr als 20 Millionen Deutschen, die in der Heimat vor dem Fernseher den Atem anhielten, nicht. Neun langsame Schritte zurück, ein konzentrierter Blick, fünf schnelle Schritte nach vorne – und dann sein Schuss für die Ewigkeit.

Selten wurde ein Elfmeter so sicher verwandelt. Das Besondere: Brehme schoss mit rechts, nachdem er noch vier Jahre zuvor einen Elfmeter im WM-Viertelfinale gegen Mexiko mit links verwandelt hatte. „Ich habe mir gar keine Gedanken gemacht“, sagt Brehme 32 Jahre später im Gespräch mit dem Abendblatt. Erst ein Journalist, der ihn auf diese weltweit einmalige Gabe angesprochen hatte, hätte ihn erinnert, dass er Elfmeter mal mit links und mal mit rechts geschossen habe.

„Der Weg vom Mittelkreis bis zum Elfmeterpunkt ist sehr, sehr lang“

Messi und Mbappé blieben sich am Sonntagabend treu. Messi traf zum 1:0 mit links nach rechts unten und später im Elfmeterschießen mit links nach links unten. Mbappé traf zum 1:2, 3:3 und im Elfmeterschießen jeweils mit rechts nach links unten. Und für jeden Schuss galt das Gleiche, was auch für Brehme 1990 galt: die ganze Karriere kann mit nur einem Schuss zementiert werden.

Messi, bislang immer nur als der Unvollendete bekannt, wurde durch seine Schüsse zum Vollendeten – wobei sogar Brehme einräumt, dass es für Messi im Elfmeterschießen noch schwieriger als bei seinem Schuss ins Glück vor 32 Jahren gewesen sei. „Der Weg vom Mittelkreis bis zum Elfmeterpunkt ist sehr, sehr lang“, sagt Brehme, der seine Beidfüßigkeit Papa Bernd zu verdanken hatte. „Mein Vater hat da großen Anteil“, erzählt Brehme, dessen kürzlich erschienene Autobiografie passend „Beidfüßig – von Barmbek bis San Siro“ heißt.

„Als Kind war ich großer HSV-Fan“

Was kaum einer weiß: Es hätte gar nicht viel dazu gehört, dass das Buch „Vom Volkspark bis San Siro“ geheißen hätte. „Als Kind war ich großer HSV-Fan“, berichtet Brehme im Podcast. Als 18-Jähriger hatte er sogar ein mehrwöchiges Probetraining beim HSV absolviert – erhielt aber anschließend vom damaligen Manager Günter Netzer nur das Angebot, in der Reservemannschaft in der Landesliga spielen zu dürfen.

Brehme sagte ab – und startete über Saarbrücken, Kaiserslautern, Bayern München, Inter Mailand und Real Saragossa eine Weltkarriere. „Später hat Günter Netzer mir mal gesagt, dass er den größten Fehler seines Lebens begangen habe“, erinnert sich Brehme lächelnd. „Der Günter und ich sind trotzdem Freunde geworden und geblieben.“

Brehme hatte engen Kontakt zu Uwe Seeler

Der vierjährige Andy (r.) mit Uwe Seeler bei einer BU-Platzeinweihung.
Der vierjährige Andy (r.) mit Uwe Seeler bei einer BU-Platzeinweihung. © WITTERS | HansDietrichKaiser

Dabei wäre für den jungen Brehme mit einem Wechsel zum HSV ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen. Schon als kleiner Steppke sei er ein- und ausgegangen im Haus der Seelers, berichtet der heutige Wahl-Münchner. Uns Uwe und Papa Bernd seien gute Freunde gewesen. Er habe sogar sein Taschengeld aufgebessert, weil Uwe Seeler ihm immer Autogrammkarten unterschrieben habe, die er dann später in der Stadt verkauft hätte. „Und die gingen schnell weg“, sagt Brehme.

Vergangenheit. Im Hier und Jetzt ist Brehmes Endspiel-Expertise und sein WM-Wissen gefragt. Das Finale zwischen Mbappé und Messi sei eines der besten Endspiele gewesen, an die er sich erinnern kann, sagt Brehme, der vom Rest der Katar-WM keine so hohe Meinung hat. „Ich habe fast alle Spiele gesehen. Es war eine sehr defensive WM. Ich muss gestehen: Mir hat diese Weltmeisterschaft nicht zu 100 Prozent gefallen. Auch die deutsche Mannschaft war nicht wirklich gut, besonders ihr Abwehrverhalten. So kann man bei einer WM nicht auftreten.“

WM Katar: Finale ist vorbei und Brehme hat wieder seine Ruhe

Nun denn, die Weltmeisterschaft ist vorbei – und auch der Rummel um Brehme wird sich mit einem Tag Verzögerung wieder legen. „Dann habe auch ich wieder meine Ruhe“, sagt Brehme lachend. Auf Wiederhören 2026.

Andreas Brehmes Autobiografie „Beidfüßig – Von Barmbek bis San Siro“ erschien am 31. Oktober im Verlag Aix la Chapelle Books.