Hamburg. Der FC St. Pauli will nicht mehr für Glücksspielunternehmen werben. Zieht der HSV nach? Der Druck nicht nur von den Fans wächst.

Wer sich mit Fußballdramen ein bisschen auskennt, weiß die Antworten bestimmt: „Welcher HSVer erzielte in der Relegation 2013/14 das entscheidende Tor zum Klassenerhalt?“ „Gegen welches Team verlor der VfB Stuttgart die Relegation 2018/19?“ Oder auch: „Wie oft spielte der HSV eine Relegation?“ Wer dann noch die Quote für einen HSV-Sieg in der Relegation gegen den VfB Stuttgart tippt, kann „mit etwas Glück“ ein signiertes Trikot gewinnen – Name und E-Mail reichen für die Teilnahme.

Will man allerdings die „Gewinnchance erhöhen“, findet man sich plötzlich auf einer Sportwettenplattform wieder. Den verschwommenen Hinweis unter dem Werbelink hat man da vielleicht schon überlesen: „Glücksspiel kann süchtig machen.“

HSV verlängert mit Wettanbieter Admiralbet

Der HSV präsentiert dieses Gewinnspiel neuerdings zusammen mit seinem Sponsor Admiralbet. Es ist eines jener „kreativen Content-Formate für unsere Fans“, von denen Sportvorstand Jonas Boldt schwärmte, als der Zweitligaclub im Februar die Vertragsverlängerung mit dem Sportwettenanbieter bekannt gab.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Seit 2019 wirbt Admiralbet als Exklusivpartner beim und mit dem HSV. Hinter der Marke steckt die Novo Interactive GmbH mit Sitz in Rellingen (Kreis Pinneberg). Der Wettanbieter betreibt alle Online-Glücksspielangebote der Löwen-Gruppe. Die wiederum zählt zu den führenden Herstellern von Geldspielgeräten und ist der größte Spielhallenbetreiber in Deutschland.

Dem HSV dürfte das Sponsoring durch Admiralbet jährlich einen Betrag im hohen sechsstelligen Bereich einbringen. Es gibt kaum einen Player im Profifußball, der nicht einen solchen „offiziellen Sportwetten-Partner“ im Portfolio hätte. Tipico sponsert die Bundesliga und den FC Bayern, Interwetten den DFB-Pokal und die Nationalmannschaft der Männer, Bwin unter anderem Borussia Dortmund, den FC St. Pauli und die Frauen-Bundesliga. Selbst die ARD-„Sportschau“ lässt sich von einem Wettanbieter unterstützen.

HSV-Fans sehen Glücksspiel-Sponsor kritisch

Prominente Ex-Fußballer wie Lothar Matthäus oder Moderatoren wie Laura Wontorra öffnen den privaten Anbietern als Werbefiguren die Tür ins Geschäft. Und die Erlöse sprudeln. Nach Angaben des Deutschen Sportwettenverbands (DSWV) setzten im vergangenen Jahr in Deutschland allein die legalen Anbieter 8,2 Milliarden Euro Euro um – zu Beginn der Erhebung 2014 hatten die Wetteinsätze noch insgesamt 4,5 Milliarden Euro betragen.

Doch in Fankreisen wird die Nähe der Vereine zur Glücksspielbranche zunehmend kritisch gesehen, wie auch die Kommentare in den sozialen Netzwerken des HSV erkennen lassen. „Tatsächlich recht ungeil, Profit aus der Sucht von anderen zu schlagen. Bitte andere Sponsoren suchen“, schreibt Twitter-User „Sebastian der Speer“. Und „MC Hammer“ hofft, „dass dies der letzte Vertragsabschluss mit einem Unternehmen aus der Glücksspielbranche ist und ab 2024 das Geld anderweitig generiert werden kann“.

FC St. Pauli verzichtet auf Wettsponsor

In der Ablehnung scheinen sich die HSV-Fans ausnahmsweise mit den Anhängern des Lokalrivalen einig zu sein. Als der FC St. Pauli 2021 den Vertrag mit seinem Sponsor Bwin verlängerte, fielen die Kommentare ähnlich vernichtend aus. „Wer sich von Spielsüchtigen finanzieren lässt, hat seine Werte aufgegeben“, meinte Michael Hußmann. Und Peter Jansen empfahl: „Schämt euch!“

Doch noch in diesem Frühjahr verteidigte der FC St. Pauli seinen Sponsor. Bwin stehe „auf der behördlichen Whitelist“ und sei „den rechtlichen Auflagen und Sicherheitsstandards in Deutschland verpflichtet“, ließ der Kiezclub auf Abendblatt-Anfrage wissen.

Die Bwin-Muttergesellschaft Entain habe sich zudem zum Ziel gesetzt, „anhand wissenschaftlicher Methoden bessere Schutzmechanismen für seine Kundschaft zu implementieren und somit einen wichtigen Beitrag für verantwortungsbewusste Sportwetten zu leisten. Diesen Weg unterstützen wir als FC St. Pauli“.

St. Paulis Präsident Oke Göttlich.
St. Paulis Präsident Oke Göttlich. © WITTERS | Tim Groothuis

Inzwischen ist man von alldem offenbar nicht mehr überzeugt. Als erster aktueller Vertreter der Bundesligen verbannt St. Pauli Sportwetten zur neuen Saison ausdrücklich aus dem Sponsoren-Portfolio, „weil wir überzeugt sind, dass sich dieser konsequente Weg mittel- und langfristig auszahlen wird, weil die Glaubwürdigkeit unseres Vereins und unserer Marke auch für eine größere Strahlkraft für unsere Partner sorgt“, wie Präsident Oke Göttlich sagte.

Nach eigenen Angaben verzichtet der Club pro Saison damit auf einen mittleren sechsstelligen Betrag. Für das „leicht verdiente Geld“ (Göttlich) kann man sich schon mal das Gehalt eines gestandenen Zweitligaprofis leisten.

HSV-Supporters setzen Zeichen gegen Sportwetten-Werbung

Doch der Druck wächst – auch beim Lokalrivalen. Beim Heimspiel des HSV gegen Paderborn Anfang Mai wurde die Ablehnung auch im Volksparkstadion sichtbar. HSV-Supporters entrollten an der Tribüne eine Zaunfahne des Bündnisses gegen Sportwetten-Werbung (BgSwW).

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von X, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Die Initiative war im vergangenen Jahr von der Fanorganisation Unsere Kurve ins Leben gerufen worden. Sie wirft den Vereinen vor, die Wettanbieter durch das Sponsoring „in eine inhaltliche Nähe“ zum Sport zu rücken. „Die ausufernde Werbung für Sportwetten in Fußballstadien, im TV oder auf diversen Social-Media-Kanälen dient der Umsatzsteigerung einzelner Privatunternehmen und geht zulasten der Gesellschaft“, sagt Markus Sotirianos, einer der Initiatoren.

Markus Sotirianos gehört zu den Initiatoren des Bündnisses gegen Sportwetten-Werbung.
Markus Sotirianos gehört zu den Initiatoren des Bündnisses gegen Sportwetten-Werbung. © imago/Jan Huebner | Ulrich

Nicht einmal die Hälfte aller Personen, die an Sportwetten teilnehmen, habe ein vollkommen unproblematisches Spielverhalten, schätzt das Bündnis. Die Darstellung von Sportwetten als normales und risikoloses Hobby dränge die Suchtgefahren in den Hintergrund.

Tatsächlich ist das Bemühen, sich als Teil der Fankultur zu positionieren, auch den Worten von Florian Hermann von Novo Interactive zu entnehmen. Den HSV und Admiralbet einten „Werte wie Teamgeist, Siegeswille und Fairplay. Die Fans und die Leidenschaft für Fußball stehen bei uns im Mittelpunkt“, wurde er anlässlich der Vertragsverlängerung zitiert. Und Boldt schwärmte von „gemeinsamen Projekten, die beide Geschäftsfelder vereinen“.

Bremer Innensenator fordert Werbeverbot für Sportwetten

Dabei laufe die Wettbranche den Grundwerten des Sports wie Fairness und Teamgedanken zuwider, wie das BgSwW beklagt: „Ihr Geschäftsmodell beruht darauf, Menschen zum Wetten zu verleiten und daraus Geld zu machen.“

Unter den geschätzt 1,3 Millionen Glücksspielsüchtigen in Deutschland wachse die Gruppe derer rasch an, die an Online-Sportwetten hängen, sagt der Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen. Das Suchtpotenzial sei hoch, weil die Spiele jederzeit verfügbar seien, bargeldlos bezahlt werde und es kaum soziale Kontrolle gebe.

Gewettet werden kann im Sport immer und überall – und auf fast alles: erste Tor, den Halbzeitstand, die Gesamtzahl der Treffer. Und auch die Werbung ist omnipräsent: Anders als bei anderen Glücksspielen gibt es keine zeitlichen Einschränkungen.

Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hält an seiner Forderung fest, Werbung für Sportwetten in Deutschland zu verbieten.
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) hält an seiner Forderung fest, Werbung für Sportwetten in Deutschland zu verbieten. © dpa | Sina Schuldt

Um vor allem Jugendliche vor den Gefahren zu schützen fordert Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) ein Werbeverbot für Sportwetten. Der erst 2021 geschlossene Glücksspielstaatsvertrag der Länder, der das Geschäft legalisieren soll, schränke Werbung nur ein, werde aber oft verletzt.

Durchsetzen konnte sich Mäurer in der Innenministerkonferenz damit bislang nicht. Womöglich auch, weil die Länder 5,3 Prozent jedes Wetteinsatzes als Steuer einbehalten.

Der Sportwettenverband hält ein Verbot sogar für kontraproduktiv. „Illegales Glücksspiel ist im Internet immer nur einen Mausklick entfernt. Nur mit entsprechender Werbung ist es den Kunden möglich, legale Angebote sicher zu erkennen und von illegalen Schwarzmarkt-Anbietern zu unterscheiden“, sagt DSWV-Präsident Mathias Dahms.

Premier League schränkt Trikotwerbung für Wettanbieter ein

Im Sinne des Jugend- und Spielerschutzes sei eine „staatliche Lizenzierung und geordnete Evaluierung der Glücksspielregulierung“ der bessere Weg. Eine solche Evaluierung soll Ende 2026 vorliegen. Einstweilen sei es wichtig, dass sich die Spielenden „in einem geschützten Markt“ aufhielten – wofür wiederum die Werbung sorge.

Die englische Premier League scheint diese Argumentation nicht zu überzeugen. Die Sportliga mit der weltweit höchsten Zahl an Fernsehzuschauern hat unlängst beschlossen, von der Saison 2026/27 an keine Werbung von Wettanbietern auf der Vorderseite von Trikots mehr zu erlauben. Aktuell wären immerhin acht Clubs davon betroffen.

Der Londoner Premier-League-Club West Ham United (hier Ben Johnson) braucht spätestens 2026 einen neuen Trikotsponsor.
Der Londoner Premier-League-Club West Ham United (hier Ben Johnson) braucht spätestens 2026 einen neuen Trikotsponsor. © imago/Sportimage | Paul Terry

Laut DSWV ändert das Verbot allerdings wenig: „Dies bedeutet weder, dass Sponsoring-Partnerschaften zwischen Wettanbietern und den Clubs beendet oder reduziert werden, noch, dass das Trikotsponsoring damit gänzlich entfällt.“

Zudem habe der regulierte Sportwettenmarkt in England den Schwarzmarkt anders als in Deutschland erfolgreich verdrängt und bedürfe deshalb „der durch Werbung geförderten Kanalisierung“ nicht mehr. Und das, obwohl die deutsche Glücksspielregulierung weitaus restriktiver“ sei.

Besucher eines Wettbüros verfolgen Fußballübertragungen und Wettquoten: In Fankreisen regt sich zunehmend Widerstand gegen das Sponsoring durch Sportwettanbieter.
Besucher eines Wettbüros verfolgen Fußballübertragungen und Wettquoten: In Fankreisen regt sich zunehmend Widerstand gegen das Sponsoring durch Sportwettanbieter. © picture alliance / Pressefoto ULMER

Tatsächlich wird im Mutterland des Fußballs Glücksspiel intensiv beworben, seit es 2005 als Freizeitbeschäftigung anerkannt wurde. Gleichzeitig wuchs der Einfluss der Branche auf das Kerngeschäft. So waren einzelne Pokalspiele schon exklusiv bei Wettanbietern zu sehen – vorausgesetzt, man hatte zuvor ein Wettkonto eröffnet.

Fußballwetten sind in England inzwischen selbst zu einer Art Volkssport geworden. Allerdings nahm auch die Zahl der Abhängigen zu. Rund 0,5 Prozent der erwachsenen Briten gelten als Problemspieler – und Zehntausende Jugendliche. Die britische Regierung stellte erst im April Pläne vor, um Süchtige besser zu schützen.

DFL: Werbung für legale Sportwetten beugt Schwarzmarkt vor

Mit dem Teilverbot kam die Premier League letztlich wohl nur einer entsprechenden gesetzlichen Regelung zuvor. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) wollte sich auf Anfrage nicht explizit zu dem englischen Vorstoß äußern. Sportwettenwerbung sei allerdings durchaus „ein Instrument, um Spieltrieb in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken“, so ein Sprecher.

Auch sonst ähneln sich die Argumente von Liga- und Sportwettenverband. Die sogenannte Kanalisierung des Glücksspiels mithilfe der Werbung habe „eine Schlüsselfunktion für die funktionierende Regulierung von Sportwetten, weil sie dem Entstehen von Grau- und Schwarzmärkten entgegenwirkt“, schreibt die DFL. Im Übrigen setze man sich seit Jahren für die Prävention von Spielmanipulation und Spielsucht im deutschen Profifußball ein.

17 der 18 Bundesligaclubs werben für privaten Wettanbieter

Eine Einschränkung von Trikotwerbung wie in England würde hierzulande allerdings auch nichts verändern. Zwar haben 17 der 18 aktuellen Bundesligisten einen privaten Wettanbieter als Sponsor. Einzige Ausnahme ist der SC Freiburg – der für die staatliche Lotterie Baden-Württemberg wirbt. Auf der Brust ist aber keiner dieser Sponsoren präsent.

Auf manchen Amateurplätzen ergibt sich ein ganz anderes Bild: Wer kein Problem damit hat, mit dem Schriftzug einer Sportwettenmarke aufzulaufen, kann beim Kauf eines neuen Trikotsatzes von hohen Rabatten profitieren.

Englischer Drittligist unterstützt Kampagne gegen Sportwetten-Werbung

Dass Vereine auch ohne das Geld der Sportwettanbieter existieren könnten, zeigt das Beispiel der Bolton Wanderers: Der Traditionsclub aus der dritten englischen Liga hat sich „The Big Step“ angeschlossen, einer Kampagne gegen Sponsoring und Werbung von Wettanbietern im Sport. Die Wanderers wollen nicht mehr mit Sportwettanbietern kooperieren und unterstützen stattdessen nun selbst Hilfsorganisationen im Kampf gegen Wettsucht.

In anderen Ländern hat der Staat bereits durchgegriffen. In Spanien ist Sportwettenwerbung auf Trikots und in der TV-Primetime nicht erlaubt. In Italien gelten seit 2018 Werbeverbote in TV und Radio.

Das Bündnis gegen Sportwetten-Werbung hofft, dass die Fans auch in Deutschland den Druck erhöhen. Die Faninitiative hat beim HSV Supporters Club bereits einen Informationsabend zum Thema veranstaltet. „Dort wird das Engagement des HSV in diesem Feld auch immer kritischer gesehen“, sagt Sotirianos.

Es gehe ihm nicht darum, Sportwetten generell zu verbieten, sondern um „das verantwortungsbewusste Austarieren von notwendigem Schutz und Sichtbarkeit insbesondere in Bezug auf die Vermarktung derartiger Produkte mit hohem Suchtpotenzial“. Fans sollten selbst abwägen, welche Sponsoren die Werte ihres Vereins vertreten – und entsprechend Druck aufbauen.

Sotirianos wähnt den Großteil der Anhänger hinter sich: „Überall, wo wir mit Fans ins Gespräch kommen, wird uns bestätigt, dass die massive Sportwetten-Werbung extrem nervt und es gesellschaftlich eigentlich nicht zu verantworten sei, es so laufen zu lassen wie bisher.“

Sportwetten: Suchtbeauftragter fordert Werbeverbot für EM 2024

In der Politik scheint bereits ein Umdenken begonnen zu haben. Burkhard Blienert, der Suchtbeauftragte der Bundesregierung, forderte für die Heim-EM 2024 einen Werbeverzicht. „Diese Veranstaltung soll ein Fußballfest sein und nicht durch Werbung für ein riskantes Verhalten begleitet werden. Wir können als Bundesrepublik Deutschland ein starkes Zeichen setzen, dass wir die Risiken durch Sportwetten ernst nehmen und werbefrei in die Spiele gehen“, sagte Blienert der dpa.

Doch die Branche gibt sich selbstsicher. Sportwettenverbands-Chef Dahms schließt ein Werbeverbot bei der EM aus. „Dazu müsste der Glücksspielstaatsvertrag geändert werden. Das ist in der Kürze der Zeit meines Erachtens unmöglich und ist unter den 16 Bundesländern auch nicht mehrheitsfähig.“ Wetten?