Madrid. Vor dem Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Chelsea wird bei Real Madrid nur über Federico Valverdes Ausraster geredet.

Er sei immer eher der stille Typ gewesen, erklärte Federico Valverde vorigen Sommer: „Ich habe nie mit irgendwem ein Problem gehabt“. Damals wollten ihm das trotz seines robusten Auftretens auf dem Platz alle noch gern glauben, der uruguayische Nationalspieler von Real Madrid musste sich ja nur in einer dieser hochgejazzten Polemiken verteidigen, die den Fußball manchmal so umgeben; er hatte (absichtlich?) auf einem Teamfoto mit Uruguays Staatspräsident gefehlt. Doch nun liegen die Dinge etwas anders. Die Lämmchen-Rolle wird Valverde niemand mehr abkaufen, denn diesmal ging er ganz handfest zur Sache, im wahrsten Sinne des Wortes.

Nach der Heimniederlage am Samstag gegen Villarreal, die Real bei nun 13 Punkten Rückstand auf den FC Barcelona die letzte vage Meisterschaftschance kostete, lauerte er dem gegnerischen Profi Álex Baena in den Katakomben des Estadio Santiago Bernabéu auf ­– und verpasste ihm einen Faustschlag ins Gesicht. Ohne Vorwarnung, mit der Routine eines Auftragstäters. Auch wenn es in ihm offenbar brodelte.

Baena soll Valverde und dessen Familie massiv beleidigt haben

Wie aus seinem Umfeld lanciert wurde, soll der erstaunliche Akt eine Vorgeschichte aus dem Pokalachtelfinale beider Teams im Januar haben. Laut dieser Darstellungen soll Baena, 21, den drei Jahre älteren Valverde nach einem Zusammenstoß im gemeinsamen Arbeitsbereich Mittelfeld mit einer geschmacklosen Bemerkung über Komplikationen in der Schwangerschaft von dessen Frau provoziert haben („Heul doch, dass dein Sohn nicht geboren wird“). Baena bestreitet das energisch; aus seinen Kreisen verlautet, er habe allenfalls über die ständigen Beschwerden der Real-Profis („Heulsusen, mal schauen, ob ihr zu weinen aufhört“) gelästert. Der Spieler hat Anzeige gegen Valverde erstattet und berichtet von Morddrohungen gegen seine Familie in den sozialen Netzwerken: „Es gibt Lügen, die schmerzen mehr als Schläge.“ Dass auch diese wehtun mussten, zeigten derweil Bilder von seiner geschwollenen linken Backe.

Bei Real versucht man unterdessen, das Thema Selbstjustiz vor dem heutigen Champions-League-Viertelfinale gegen Chelsea möglichst klein zu halten. „Valverde wird von Beginn an auflaufen“, erklärte Trainer Carlo Ancelotti über den dynamischen Mittelfeldmann, der sich dank seiner Vielseitigkeit und einer gewaltigen Physis so ideal mit den Feingeistern Luka Modric und Toni Kroos ergänzt, dass er vorige Saison zu einem Schlüsselspieler bei Reals dramatischem Titelritt avancierte. Auch damals ging es im Viertelfinale gegen Chelsea, das allerdings noch von Thomas Tuchel trainiert wurde und nicht vom neuen Interimscoach Frank Lampard. Über die Chelsea-Legende – einst sein Spieler während zwei Jahren in London („er kennt solche Partien aus dem Effeff“) – sprach Ancelotti gestern deutlich lieber als über Valverde. Dieser habe „gut trainiert“ und „außergewöhnliche menschliche Qualitäten“. Ansonsten: Kein Kommentar.

Valverde könnte ein Stadionverbot drohen

Bald wird Ancelotti wohl erst mal auf Valverde verzichten müssen. Wegen der Strafanzeige wird sich von Amts wegen die staatliche Antigewaltkommission für den spanischen Sport mit dem Vorfall beschäftigen. Der Gesetzeskatalog sieht als Mindeststrafe für solche Fälle ein Stadionverbot von einem Monat bis zu einem halben Jahr vor. Die Tat an sich gilt als unbestritten und wurde von der in den Katakomben anwesenden Polizei aufgenommen. Valverde selbst soll intern schon eingeräumt haben, dass er mit einer Sperre rechnet, zumal es für seine Behauptung über Baenas Provokation bislang weder Zeugen noch andere Beweise gibt; und selbst diese würden allenfalls seine Motive erklären, aber kaum das Faustrecht rechtfertigen.

Für den spanischen Fußball bedeutet es die nächste Affäre in einer Saison der schier unendlichen Skandale. Die Enthüllung jahrelanger Zahlungen des FC Barcelona an einen hohen Funktionär des Schiedsrichterwesens hat das ohnehin gereizte Klima um die Unparteiischen endgültig vergiftet, dazu kommen permanente Streits zwischen Liga, Spitzenklubs und Verband sowie wenige Monate vor Beginn der WM weiter der Auswahlboykott von 15 Nationalspielerinnen. Gegen den fallenden Trend im einst dominanten europäischen Fußball-Land stehen fast nur noch die großen Real-Nächte in der Champions League. Heute soll es wieder so eine geben, mit Federico Valverde, dessen Wildwest-Attitüde umso mehr irritiert, als er glücklicherweise auf Positives blicken kann: Das noch ungeborene Kind soll inzwischen ganz gesund sein.