Manchester. Vor dem Champions League-Spiel zwischen Manchester City und dem FC Bayern stehen auch die Trainer im Fokus. Ein Vergleich.

Thomas Tuchel hat einen listigen Satz eher beiläufig ausgesprochen, und das sogar schon einige Tage vor dem Viertelfinale der Champions League bei Pep Guardiolas Manchester City an diesem Dienstag (21 Uhr/Prime). Es ging um die Frage nach der Form des FC Bayern, der im ersten Spiel unter seinem neuen Trainer zwar 4:2 gegen Dortmund gewonnen hatte, im zweiten Spiel aber durch ein 1:2 gegen Freiburg im Viertelfinale aus dem DFB-Pokal ausgeschieden war. Der Abschied vom erhofften Triple vor einer Woche war auch für Tuchel sehr schmerzhaft.

Chelsea-Trainer Thomas Tuchel bejubelt den Sieg seiner Mannschaft im Champions League Finale 2021 gegen Manchester City und Coach Pep Guardiola.
Chelsea-Trainer Thomas Tuchel bejubelt den Sieg seiner Mannschaft im Champions League Finale 2021 gegen Manchester City und Coach Pep Guardiola. © dpa

Doch noch vor dem anschließenden 1:0-Sieg in der Liga in Freiburg am Samstag erkannte er auch einen Vorteil in der aktuellen Gemengelage. Vielleicht, weil ihn die Situation an seinen bisher größten Triumph über sein langjähriges Vorbild Guardiola in den insgesamt zehn Duellen erinnert. 2021 gewann Tuchel mit dem FC Chelsea als Außenseiter die Champions League, durch ein 1:0 gegen Manchester City. Also sagte Tuchel nun in der Vorausschau auf das erneute Treffen mit Guardiolas Citizens, diesmal mit dem FC Bayern: „Es macht nichts, wenn wir als Underdog nach Manchester fahren.“ Das gilt seit Montag noch ein bisschen mehr, weil der einzige Mittelstürmer im Kader die Reise in den Nordwesten Englands nicht mit antrat. Eric Maxim Choupo-Moting plagt sich weiter mit Kniebeschwerden herum.

Taktikbesprechungen im Restaurant

Um zu verstehen, warum dieses Duell auch für die beiden Trainer Guardiola, 52, und Tuchel, 49, so besonders ist, kommt man nicht umhin, an ihre gemeinsamen Bar- und Restaurantabende zu erinnern. Der ehemalige Technische Direktor des FC Bayern, Michael Reschke, hatte 2015 das erste Treffen zwischen dem damaligen Bayern-Trainer und schon weltweit geschätzten Guardiola und dem aufstrebenden Tuchel im Münchener Schumann’s arrangiert. Später trafen sie sich auch mal im Brenner.

Doch vor allem ihre erste Zusammenkunft wurde zur Legende, mit allen Überhöhungen und Verklärungen. Taktiken sollen sie mit Salz- und Pfefferstreuern nachgestellt haben und je nach Erzählung auch mit Espressotassen sowie Wein-, Sekt- und sogar Champagnergläsern. So angeregt sollen sie sich dabei ausgetauscht haben, dass die Kellner lieber nicht störten. Reschke verglich Guardiola und Tuchel später mal mit Cicero und Sokrates oder mit Platon und Aristoteles. Oder etwas schlichter mit Schach-Großmeistern.

Dass sich die beiden Trainer sehr schätzen lernten, hatte auch mit ihrer jeweiligen Besessenheit und Detailverliebtheit zu tun, mit der sie Fußball lehren. Dadurch erkannten sie sich im jeweils anderen wieder, ebenso durch ihre Selbstdisziplin. Als Guardiola den FC Bayern 2016 nach drei Jahren gen Manchester verließ, soll er den Münchenern Tuchel als Nachfolger empfohlen haben. „Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als ich ihn 2016 nach den besten Trainern der Zukunft fragte. Er sagte sofort: ‚Tuchel‘“, erzählte Guardiolas Biograf Martí Perarnau gerade dem Münchner Merkur.

Thomas Tuchel auf Guardiolas Spuren

Tuchel hatte nach seiner ersten Profi-Trainerstation Mainz erst einmal ein Sabbatical eingelegt (wie Guardiola) und einige Monate in New York verbracht (ebenfalls wie Guardiola). Über Dortmund, Paris Saint-Germain und Chelsea ist Tuchel nun tatsächlich beim FC Bayern angekommen. Und schon jetzt, nach gerade einmal drei Spielen mit ihm als Trainer, kann man sich bereits an Guardiolas Zeit in München erinnert fühlen. Anders als zuvor bei Julian Nagelsmann ist das Spiel der Bayern nun wieder mehr auf Ballbesitz, Ordnung und Kontrolle ausgelegt.

Thomas Tuchel beim Abschlusstraining des FC Bayern vor dem Champions League Viertelfinale gegen Manchester City.
Thomas Tuchel beim Abschlusstraining des FC Bayern vor dem Champions League Viertelfinale gegen Manchester City. © dpa

Noch ist Tuchels Mannschaft allerdings weit vom Ideal entfernt. Das hat viel damit zu tun, dass in den englischen Wochen kaum Zeit zum Trainieren bleibt. Auch deshalb steht nun ein fast schon unfaires Duell an. Guardiola lehrt seine Idee bei Manchester City bereits im siebten Jahr, Tuchel ist gerade einmal seit zweieinhalb Wochen im Amt. Das hat zur Folge, dass sich beim FC Bayern derzeit drei Ideen vom Fußball mischen: Die von Nagelsmann mit der von Tuchel, der stark beeinflusst ist von Guardiola. Dass die Mannschaft eher verunsichert wirkt, ist kein Wunder.

Guardiola gegen Tuchel - Idealist gegen Pragmatiker

Andererseits hat es Tuchel zuletzt geschafft, den FC Chelsea nach seinem Dienstantritt innerhalb von vier Monaten zum Champions-League-Titel zu coachen. Gelungen ist Tuchel das mit einem Pragmatismus, durch den er sich von seinem einstigen Idol emanzipiert hat. Während der Idealist Guardiola dazu neigt, in großen Spielen und gegen große Gegner seine Ideen zu überdrehen und sich quasi selbst auszucoachen, orientiert sich Tuchel vor allem an den Fähigkeiten seiner jeweiligen Mannschaft.

Auch dafür gilt das Finale der Champions League 2021 als Beispiel. Für sein bisher einziges Finale in der Königsklasse mit City hatte Guardiola eine Aufstellung gewählt, mit der er seine eigene Mannschaft überlistete. Der große Favorit hatte sich teils selbst gestürzt, den Rest erledigten Tuchels pragmatische Kontertaktik und ironischerweise Torschütze Kai Havertz als jene falsche Neun, die Guardiola im Weltfußball einst beim FC Barcelona etabliert hatte. Nun, vor seinem ersten Spiel gegen den FC Bayern seit seinem Abschied 2016, verfügt Guardiola in Erling Haaland (44 Pflichtspieltore in dieser Saison) über eine sehr echte Neun. Zudem zieht Guardiola erneut als Favorit in den Vergleich mit Tuchel. Das dürfte dem neuen Münchener Trainer aber durchaus recht sein.