Essen. Das IOC empfiehlt die Wiederzulassung russischer und belarussischer Sportler als neutrale Athleten in internationalen Wettbewerben.

Thomas Bach hatte viel vorzulesen am Dienstag, ein Blatt nach dem anderen legte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees beiseite. Fast schien es, als scheue er sich, zum Punkt zu kommen. Oder als wollte er mit der Ausführlichkeit des Vortrags unterstreichen, wie viele Gedanken man sich gemacht und wie viele Gespräche man geführt hatte. Schließlich aber sprach der IOC-Präsident die erwartete und bereits im Vorfeld von verschiedenen Seiten kritisierte Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees aus, russische und belarussische Sportlerinnen und Sportler als neutrale Athleten wieder am internationalen Wettkampfgeschehen teilnehmen zu lassen.

Die Auflagen für eine Zulassung, die das IOC den Spitzensportverbänden gleich mit vorschlägt, sind in der Theorie denkbar streng: Wenn überhaupt sollen nur Einzelsportler starten dürfen, Teams bleiben ausgeschlossen. Ebenso Athleten, die den Krieg gegen die Ukraine aktiv unterstützen oder die dem Militär oder dem Sicherheitsapparat eines der beiden Länder angehören. Außerdem müssen die neutralen Athleten alle Anti-Doping-Anforderungen ihrer jeweiligen Spitzensportverbände erfüllen.

Gleichzeitig sollen nach dem Willen des Exekutivkomitees des IOC die Sanktionen gegen „diejenigen, die für den Krieg verantwortlich sind, den russischen und den belarussischen Staat und die Regierungen, bestehen bleiben“. Dazu zählten, dass in Russland und Belarus keine internationalen Sportveranstaltungen ausgetragen werden sollen. Dass keine Flaggen, Hymnen, Farben oder andere Identifikations-Symbole auftauchen dürfen – und das auf dem gesamten Veranstaltungsgelände, also auch nicht auf den Zuschauerrängen oder bei Pressekonferenzen. Und dass keine Regierungsoffiziellen der beiden Länder zugelassen werden.

Glaubhafte Umsetzung gefordert

Der Deutsche Olympische Sportbund bleibt bei seiner Haltung, dass russische und belarussische Athleten nicht in die internationale Sportgemeinschaft zurückkehren sollten und forderte am Dienstag in einer ersten Stellungnahme, dass das IOC seine strikten Voraussetzungen nun glaubhaft umsetzen und bei Verstößen Sanktionen verhängen müsse. Die unabhängige Sportlervertretung Athleten Deutschland hatte ihre ablehnende Haltung gegenüber den Plänen des IOC auch noch mal unterstrichen. In einer Mitteilung hieß es: „Wir vermissen international eine differenzierte Abwägung der Rechte und Schutzbedürfnisse von ukrainischen AthletInnen auf der einen und russischen AthletInnen auf der anderen Seite.“

Thomas Bach begründete die Abkehr des IOC von der kurz nach Kriegsbeginn ausgesprochenen Empfehlung, russische und belarussische Athleten aus dem Weltsport auszuschließen, unter anderem mit der Haltung zweier UN-Sonderberichterstatterinnen, die einen Ausschluss von Athleten auf Grund ihrer Nationalität als einen Verstoß gegen die Menschenrechte werten.

Patricia Wiater, an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Inhaberin des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völkerrecht und Menschenrechte, kommt in einem Rechtsgutachten für den DOSB zu einem anderen Schluss. „Ungleichbehandlungen sind selbst dann, wenn sie direkt an ein an sich unzulässiges Unterscheidungsmerkmal wie die Nationalität anknüpfen, einer Rechtfertigung zugänglich“, schreibt sie. Und die Wahrung der Menschenrechte der ukrainischen Athleten sei eine legitimer Zweck des Ausschlusses.

Ebenso wie „friedenspolitische Gründe, insoweit der Ausschluss bezweckt, einer kriegspropagandistischen Instrumentalisierung von Sportereignissen durch Russland entgegenzutreten und dadurch einen Beitrag zur Deeskalation des Angriffskriegs zu leisten“. Die Argumente der deutschen Rechts-Professorin überzeugten das IOC aber offenbar weniger als der Wunsch einer Mehrheit der Fachverbände, russischen und belarussischen Athleten einen Weg zurück ins Wettkampfgeschehen zu ebnen.

Überzeugt habe das Exekutivkomitee auch, dass in Sportarten wie Handball, Tennis oder Eishockey eine Teilnahme russischer und belarussische Athleten bereits gut klappe, sagte Bach: „Warum soll das nicht auch im Schwimmen gehen? Wo ist der Unterschied?“

Faeser: „Schlag ins Gesicht“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wertete die Entscheidung als einen „Schlag ins Gesicht der ukrainischen Sportlerinnen und Sportler“. Thomas Bach unterstrich die Bemühungen des IOC, ukrainische Athleten zu unterstützten und verwies auf einen Solidaritäts-Fonds mit 7,5 Millionen US-Dollar.

Eine Entscheidung darüber, ob russische und belarussische Athleten bei den kommenden Olympischen Spielen in Paris (Sommer, 2024) und Mailand (Winter, 2026) starten dürfen, fällte das IOC ausdrücklich noch nicht, darüber wolle man „zu gegebener Zeit“ entscheiden, sagte Bach.