Hamburg. Hamburg soll über 2024 hinaus Leitstandort bleiben. Aktuell müssen jedoch erst einmal wichtige Themenbereiche angegangen werden.

Wer Bernd Schlesinger nach seinem Arbeitsmotto fragt, der bekommt einen mit viel Verve vorgetragenen Leitsatz zu hören. „Ich sehe meine Aufgabe darin, allen Aktiven, also Sportlerinnen und Sportlern sowie den Trainerteams gleichermaßen, die bestmöglichen Rahmenbedingungen zu geben“, sagt der 63-Jährige.

Umso mehr schmerzt es den Leiter des Bundesstützpunktes Beachvolleyball in Dulsberg, dass er in diesen Wochen sein Motto nicht vollumfänglich mit Leben erfüllen kann. Die Lage am wichtigsten Standort der Strandsparte im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) ist aktuell mit einigen Problemen belastet.

Beachvolleyball: Trainermangel ein großes Problem

Am schwersten wiegt derzeit der Fakt, dass das Trainerteam stark dezimiert ist. Nach den Abgängen des Norwegers Martin Engvik (44), der auf eigenen Wunsch die Zusammenarbeit mit dem Nationalteam Laura Ludwig (37)/Louisa Lippmann (28) beendete, weil man sich über den gemeinsamen Weg zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris nicht einig wurde, und des Italieners Terenzio Feroleto (37), dem vom Verband wegen Unstimmigkeiten in der Teambetreuung gekündigt wurde, sind zwei Stellen vakant.

Zwar bestätigte DVV-Vorständin Julia Frauendorf dem Abendblatt, dass diese „neu besetzt werden und bereits ausgeschrieben sind“, Lösungen sind bislang jedoch noch nicht präsentiert worden.

Bernd Schlesinger hat eine klare Meinung zu den Problemen am Beachvolleyball-Standort Hamburg. „Die Mehrarbeit führt zu Überlastung und dazu, dass aktuell bei drei von acht Teams die Trainersituation ungeklärt ist.“
Bernd Schlesinger hat eine klare Meinung zu den Problemen am Beachvolleyball-Standort Hamburg. „Die Mehrarbeit führt zu Überlastung und dazu, dass aktuell bei drei von acht Teams die Trainersituation ungeklärt ist.“ © Witters | Tim Groothuis

„Wir haben eine Kandidatin in der engen Auswahl, da könnte sich bald etwas tun. Aber die Mehrarbeit, die die verbliebenen Coaches seit Monaten leisten, führt zu Überlastung und dazu, dass aktuell bei drei von acht Teams die Trainersituation ungeklärt ist“, sagt Bernd Schlesinger, der den Stützpunkt seit dessen Inbetriebnahme 2007 leitet. Besonders bitter ist dies bei den Perspektivteams Anna-Lena Grüne (21)/Sarah Schulz (23) sowie Paul Henning (25)/Sven Winter (24). Letzteren traut die DVV-Spitze zu, 2024 neben den als Topduo gesetzten Nils Ehlers (29)/Clemens Wickler (27) die deutschen Farben in Paris zu vertreten.

Grüne/Schulz gelten als aussichtsreiche Kombination für den Olympiazyklus bis Los Angeles 2028. Für Paris stehen zunächst die WM-Dritten Svenja Müller (22)/Cinja Tillmann (31), Isabel Schneider (31)/Julia Sude (35), Karla Borger (34)/Sandra Ittlinger (28) sowie Ludwig/Lippmann im Fokus.

Auch das Top-Duo Ludwig/Lippmann ist aktuell ohne Klarheit bei der Trainerfrage

Bei Olympia sind bei Frauen und Männern je zwei Teams pro Nation startberechtigt. Ludwig/Lippmann sind aktuell das dritte in Hamburg trainierende Team ohne Klarheit auf der Trainerposition. Nach Engviks Demission hatte Ludwigs Ehemann Imornefe Bowes (46) die Arbeit übernommen und teilt sich diese aktuell mit Helke Claasen (45). Ob das jedoch so bleibt oder Claasen in der Betreuung anderer Teams dringender gebraucht wird, ist unklar. „Wir werden es in den kommenden Wochen finalisieren“, kündigt Julia Frauendorf an.

16 Bundeskader-Athletinnen und -athleten sind aktuell dem Hamburger Stützpunkt zugeordnet. Neben Müller/Tillmann, Ludwig/Lippmann und Grüne/Schulz sind dies bei den Frauen noch Lea Kunst (21)/Leonie Körtzinger (25), bei den Männern zählen neben Ehlers/Wickler und Henning/Winter noch Lukas Pfretzschner (23)/Robin Sowa (23) sowie Simon Pfretzschner (21)/Philipp Huster (20) zum Aufgebot.

In Thomas Kaczmarek (37), der Ehlers/Wickler trainiert und zu einem kleinen Teil auch seine Partnerin Tillmann und Svenja Müller betreut, und Alexander Prietzel (35), der für die Pfretzschner-Brüder und deren Spielpartner zuständig ist, haben zwei Coaches eine 100-Prozent-Stelle. Gleiches gilt für Nachwuchstrainer Tobias Rex, der Kunst/Körtzinger anleitet. Der Neuseeländer Kirk Pitman (41) kümmert sich mit halber Stelle um Müller/Tillmann, ebenfalls eine halbe Stelle hat Helke Claasen. Einen Athletiktrainer gibt es nicht mehr.

Insbesondere der Umgang des DVV mit den Perspektiv- und Nachwuchsteams sorgt nicht nur in Hamburg, sondern auch an anderen Stützpunkten für große Sorgen. So gab es in Berlin Anfang des Jahres einen von Eltern der Toptalente verfassten offenen Brief an die DVV-Spitze, in dem die Entlassung des Trainers Kay Matysik hart kritisiert wurde. Ähnlicher Unmut regt sich auch in Hamburg, auf eine Anfrage des Abendblatts für ein Gespräch mit den Perspektivteams bat Schlesinger indes darum, die Athletinnen und Athleten aus der Verbandspolitik herauszuhalten.

Beachvolleyball: Schwere Vorwürfe gegen DVV-Präsident

Vor allem mangelhafte Kommunikation und fehlende Empathie im Umgang mit den Aktiven wird DVV-Präsident René Hecht und Vorständin Frauendorf regelmäßig vorgeworfen. Das aus Vermarktungssicht wichtigste Nationalteam Ludwig/Lippmann wurde jüngst mit einer 15-Minuten-Audienz abgespeist, was neutral ausgedrückt zu Irritationen führte. Aber auch ein Konzept für die leistungssportliche Entwicklung über 2024 hinaus ist aktuell nicht erkennbar. Die Anfrage eines Hamburger Perspektivteams für finanzielle Unterstützung eines Trainingslagers wurde mit dem Hinweis abgeschmettert, der DVV habe dafür kein Geld. Kein Wunder, dass sich da manche Teams fragen, wozu sie ihren Aufwand noch betreiben.

Problematisch stellt sich auch die Saisonplanung dar. Weil nach der Neuordnung der Welttour zur Saison 2022 der Zugang zu den Turnieren der höchsten Kategorie Elite-16 deutlich erschwert wurde, brauchen Teams wie Ludwig/Lippmann, die nach Ludwigs Babypause und Lippmanns Wechsel aus der Halle in den Sand keine Weltranglistenpunkte aufweisen, Wildcards für die Teilnahme. Zudem drängen die Nationalteams vermehrt auf die nationale Tour.

Bundestrainer soll Sportdirektorposten mit übernehmen

Diese jedoch wurde kürzlich vom so umtriebigen wie umstrittenen Ex-Profi Alexander Walkenhorst (34), der 2022 mit seiner Firma Spontent vom DVV die gesamten Rechte an der German Beach Tour für sechs Jahre übertragen bekam, kurzerhand derart umgestaltet, dass die Hauptfelder nur noch acht statt 16 Plätze umfassen. Bedeutet: Noch weniger Spielmöglichkeiten für die Nachwuchsteams, die nun auf eigene Kosten auf unterklassigen Turnieren in aller Welt um Punkte kämpfen müssen.

Um solche Dinge müsste sich der Verband in Person eines Sportdirektors kümmern. Dieser jedoch, Niclas Hildebrand (42), war im vergangenen Juli entlassen worden, die Stelle ist seitdem vakant, was sich nun deutlich bemerkbar macht. „Sportfachliche Entscheidungen werden unter Einbezug der Bundestrainer, der Athletenvertreterin und dem Hamburger Stützpunktleiter getroffen“, hieß es auf Abendblatt-Anfrage. Athletenvertreterin Melanie Gernert (35) trat allerdings kürzlich von ihrem Ehrenamt zurück, entnervt von den anhaltenden internen Differenzen.

Hildebrands Stelle soll nicht wieder besetzt werden, stattdessen könnte ein Chefbundestrainer dessen Aufgaben übernehmen. Dafür scheint Thomas Kaczmarek, der inoffiziell als Sprecher der Bundestrainer agiert, aussichtsreichster Kandidat. „Wie auch immer man diese Position benennt: Es ist sinnvoll und wichtig, sie zu besetzen, um die Aufgaben zu bündeln“, sagt Bernd Schlesinger.

Warum der Verband freiwillig auf eine vom Bundesinnenministerium finanzierte Sportdirektorenstelle verzichtet – als einziger olympischer Fachverband in Deutschland hat er mit Hildebrand und dem für die Hallenvariante zuständigen Christian Dünnes (38) zwei dieser Posten genehmigt bekommen – ist unklar. Zunächst jedoch muss der DVV fürchten, Hildebrand weiterbeschäftigen oder eine hohe Abfindung zahlen zu müssen.

Ehemaliger Sportdirektor Hildebrand klagt gegen seine Kündigung

Der Hamburger klagt gegen seine Kündigung, Mitte März soll ein Urteil gesprochen werden. Dünnes hingegen könnte in naher Zukunft selbst hinwerfen. Gerüchte, er habe von den Querelen im Verband genug, halten sich hartnäckig. Präsident Hecht muss sich an diesem Wochenende in einem Gespräch mit Vertretern der Bundesligen erklären.

Die Stadt, die Beachvolleyball seit Jahren auf mehreren Ebenen finanziell umfangreich fördert, glaubt weiterhin an das Bekenntnis der DVV-Führung, dass Hamburg über 2024 hinaus Leitstützpunkt bleiben soll. „Hamburg hat seit Jahren einen guten, direkten Draht zum Verband, und Hamburg fördert den DVV seit Jahren als verlässlicher Partner. Wir gehen fest davon aus, dass die Zusammenarbeit weiter zur höchsten Qualität und größtmöglicher Leistungsentwicklung beim Personal führt. Das Herz des Beachvolleyballs schlägt in Hamburg, und das soll so bleiben“, sagt Sportstaatsrat Christoph Holstein.

Eins jedoch ist klar: Bis Bernd Schlesinger sein Arbeitsmotto wieder ohne Einschränkungen umsetzen kann, dürfte es noch eine ganze Weile dauern.