Melbourne. Titelverteidiger Rafael Nadal ist bei den Australian Open ausgeschieden. Dem Spanier machte auch eine Verletzung zu schaffen.

Die Australian Open-Mission des Matadors hatte gerade ihr trauriges Ende gefunden, da betrat Rafael Nadal noch einmal für ein paar Sekunden das Rampenlicht. Schmerzverzerrt humpelte der Mallorquiner auf den Centre Court, die Tennistaschen drückten seine Schultern herunter. Nadal wandte sich zu allen Seiten der Rod-Laver-Arena, er winkte den Fans mit gequältem Lächeln zu. Dann marschierte er zum Ausgang, ein einziges Bild des Jammers, der Enttäuschung. Es war, wieder einmal, eine Szene, die zu Spekulationen einlud: Waren das etwa die letzten Momente für Nadal überhaupt bei den Australian Open? Würde der erneut angeschlagene, von seinem Körper besiegte Großkämpfer wiederkehren, im Jahr 2024 oder gar darüber hinaus?

Seine 4:6, 4:6, 5:7-Niederlage gegen den Amerikaner Mackenzie McDonald war jedenfalls das letzte Kapitel in einer schier unendlichen Saga von Schmerzen, Leiden, körperlichen Gebrechen. Zwölf Monate nach seinem wunderlichen Comeback-Coup bei den Offenen Australischen Meisterschaften, gekrönt durch einen Finalsieg nach 0:2-Satzrückstand gegen den Russen Daniil Medwedew, umgaben den spanischen Stehaufmann aufs Neue ernsthafte Zweifel. „Ich mag meine Arbeit. Das, was ich tue. Deswegen mache ich weiter“, sagte Nadal eher pflichtschuldig am Abend seines frustrierenden Knockouts. Doch zugleich gab er auch schonungslos offen zu, wie sehr ihn seine immer neuen Verletzungs-Rückschläge herunterdrücken, gerade in der Spätphase seiner Karriere: „Zu sagen, ich wäre jetzt psychisch nicht am Boden, wäre gelogen. Es ist gerade sehr hart für mich.“

Nadals Entdecker und langjähriger Trainer, sein Onkel Toni, hatte Nadal vor ein paar Jahren einmal als „Weltmeister der Schmerzen“ bezeichnet, er meinte eigentlich Weltmeister der Schmerzverdrängung und Schmerztoleranz. Das kräftezehrende Spiel des „Kannibalen“ (L´ Equipe) hat ja umfassend fatale Spuren hinterlassen, über die Jahre seines Herumgondelns im Wanderzirkus hat sich der inzwischen 36-jährige Championspieler überall Verletzungen eingehandelt, ob an den Rippen, den Händen, am Knie, an der Hüfte oder an beiden Füßen.

In Wimbledon stoppte Nadal eine Bauchmuskelverletzung

Fast drei Jahre musste Nadal zusammengenommen schon pausieren, bei seiner letzten, erfolgreichen French Open-Trophäenjagd wurde er im Mai und Juni 2022 täglich mit schmerzstillenden Spritzen gegen eine degenerative Fußerkrankung behandelt. Als er wenig später schon zu den Ausscheidungsspielen in Wimbledon erschien, stoppte ihn schließlich eine Bauchmuskelverletzung. Wer im Internet nach den Begriffen „Nadal“, „Schmerzen“ und „Verletzungen“ googelt, erhält Millionen Einträge. Es gibt sogar Webseiten, die Listen mit den „schlimmsten Nadal-Verletzungen“ akribisch anbieten.

Kaum ein Arbeitstag, kaum ein Auftritt in der langen Chronik von Nadals Verletzungsdramen war allerdings so zermürbend wie jener an diesem 18. Januar 2023. Als Nadal gegen Ende des zweiten Satzes bei einem Sprint an der Grundlinie der Schmerz in die Hüfte schoss, begann der peinvolle Schlussakt seiner Australian Open-Tour. Auf der Tribüne brach Nadals Frau Xisca in Tränen aus, als ihr Ehemann sich nur noch unter heftigen Leiden über den Court schleppte, sich aber auch weigerte, die aussichtslos gewordene Herausforderung zu beenden. „Aufgeben war keine Option für mich. Als Titelverteidiger hörst du nicht einfach auf“, sagte Nadal später, „das ist meine Philosophie.“ Überlegt habe er schon, einen Schlussstrich zu ziehen, „aber ich wollte die Sache unbedingt beenden“, so Nadal, „auch aus Respekt vor dem Gegner.“

Nadal spielte zuletzt schon nur eine Nebenrolle

Im dritten Satz wirkte die Partie nur noch wie eine Groteske. Nadal lief schwierigen Bällen kaum noch hinterher, wild drosch er auf die Kugel ein, Alles-oder-Nichts-Tennis eines Mannes, der nichts mehr erwarten durfte. Als er schließlich den sogenannten Walk of Fame entlang schritt, den Tunnelgang zum Centre Court und von ihm weg, kam er auch an seinem eigenen Bildnis vorbei, beschriftet mit den Siegen 2009 und 2022. Nun war es ein Walk of Pain, ein Gang des Schmerzes, für den malträtierten Gladiator, ein Abgang voller Fragezeichen. Zumal Melbourne sich unwillkommen in einer Serie problematischer Auftritte einreihte – seit dem Verletzungsrückzug in Wimbledon war Nadal nie mehr wirklich auf die Beine gekommen. Bei den beiden letzten größeren Tennisterminen, der ATP-WM und dem United Cup, hatte er zusammen nur einen Sieg gefeiert, spielte eine ärgerliche Nebenrolle.

Weiter, immer weiter. Es war Nadals Devise über die meiste Zeit seiner Karriere, einer Karriere mit sagenhaften 22 Grand Slam-Titeln, aber auch jenen kleineren und größeren Episoden der bitteren Rückschläge. „Mir ist bewusst, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem es richtig und auch normal ist, mit dem Tennis aufzuhören“, hatte Nadal vor dieser Saison gesagt, da war er auch gerade erstmals Vater eines Sohnes geworden. Er sagte es womöglich auch unter dem Eindruck des Rückzugs des von einer Verletzungsmisere erschütterten Roger Federer, dem er unter Tränen persönlich beim Laver Cup in London im September Lebwohl gesagt hatte.

Gebeten um eine steile Prognose für das Tennisjahr 2023, hatte Alexander Zverev in Melbourne gesagt, Rafael Nadal werde nach den French Open seinen Rücktritt erklären. Das hatte in Nadals Umgebung, beim Matador selbst und in Fankreisen des Sandplatz-Königs, gelinde gesagt, für Verwunderung und etwas Kopfschütteln gesorgt. Wer weiß allerdings nun, ob Zverev nicht doch recht behält mit seiner Prognose, nach dem traurigen Abschied von Nadal aus Melbourne.