Hamburg. Deutsche Damen stehen bei EM in Hamburg im Endspiel, Herren müssen noch kämpfen. Die Spitze ist insgesamt breiter geworden.

Außergewöhnliches passierte am Freitagmittag. Nathalie Kubalski, Torhüterin der deutschen Hockeydamen vom Düsseldorfer HC, musste in der zweiten Spielminute des vorletzten Gruppenspiels bei der Hallen-EM in der Sporthalle Hamburg einen Ball aus ihrem Netz fischen, den die Niederländerin Laura van Heugten dort versenkt hatte.

Es war das erste Gegentor nach spielübergreifend 82 Minuten, was in der rasanten Variante unterm Dach eine Ewigkeit ist. Am Ende erkämpfte sich die Auswahl von Bundestrainer Valentin Altenburg einen 4:2-Erfolg über den Erzrivalen, der den vorzeitigen Einzug ins Finale am Sonnabend (15.30 Uhr/Sport 1) bedeutete. Der die Vorrunde abschließende 8:2-Sieg gegen Tschechien hatte vor allem statistischen Wert, den Gegner für das Endspiel ermittelten nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe die Niederlande und die Ukraine.

Hockey: Deutschland dominiert bei den Damen

Die Spitze im Hallenhockey sei breiter geworden – diese These vertreten Fachleute seit vielen Jahren. Vorbei die Zeiten, in denen deutsche Nationalteams die Titel im Vorbeidribbeln einsackten – bei den Herren hieß der Europameister in der Halle von 1974 bis 2006 Deutschland, bei den Damen schaffte es zwischen 1975 und 2008 lediglich einmal England, die deutsche Dominanz zu brechen. Wer allerdings in diesen Tagen auf die Tabelle des Damenfeldes schaut, der sieht: Deutschland dominiert. Fünf Spiele, fünf Siege mit 40:6 Toren, nur die Niederlande konnte auf Augenhöhe mithalten. Stimmt die These also gar nicht?

Doch, sagen Walter Kapounek und Casper Guldbrandsen. Der Österreicher Kapounek ist beim Europaverband EHF Vizepräsident mit Zuständigkeit für den Wettkampfbetrieb, der Däne Guldbrandsen Vorsitzender des Hallenhockey-Komitees der EHF. „Viele Nationen haben den Wert des Hallenhockeys für sich erkannt“, sagt Kapounek, „es entwickelt sich jedoch dahin, dass es eine klare Trennung der Feld- und Hallenkader gibt und die meisten Teams aus Spezialisten bestehen.“

Herrenfeld von großer Spannung geprägt

Zu beobachten ist dies im Herrenfeld dieser EM, das tatsächlich von großer Spannung geprägt ist. Die deutschen Herren mühten sich am Freitag gegen Außenseiter Schweiz nach einem 1:4-Rückstand zur ersten Viertelpause zu einem 13:8-Erfolg und brauchen aus den abschließenden Gruppenpartien am Sonnabend gegen Österreich (11.30 Uhr) und Tschechien (18.15 Uhr) noch mindestens einen Sieg, um das Finale am Sonntag (14 Uhr) zu erreichen.

Die Konkurrenz aus den Niederlanden, Österreich und mit Abstrichen Belgien spielt auf demselben Niveau wie die Mannschaft von U-21-Bundestrainer Rein van Eijk, der den mit dem Feld-A-Kader in der Vorbereitung auf die WM Mitte Januar in Indien befindlichen Bundestrainer André Henning vertritt.

Viele Feld-A-Kader-Spielerinnen spielen die Hallen-EM

Die Stärke der deutschen Damen in diesem Jahr scheint die Ausnahme zu sein, die die Regel bestätigt. Das liegt daran, dass diesmal viele Feld-A-Kader-Spielerinnen auch die Hallen-EM spielen, was wegen der terminlichen Überlastung normalerweise nicht möglich ist. Diesen Qualitätsunterschied können reine Hallenteams kaum ausgleichen. Gleichwohl zeigt ein Blick auf die Statistik, dass von den sechs nach 2008 ausgespielten Hallen-EM-Titeln bei den Damen vier nicht an Deutschland gingen. Also ist auch im weiblichen Bereich normalerweise die Spitze breiter als in diesem Jahr.

Casper Guldbrandsen hat das zu seinem Leidwesen an den eigenen Nationalteams feststellen müssen. „Früher war Dänemark im Hallenhockey auch bei den EM-Turnieren der A-Division dabei, aber die Konkurrenz ist deutlich gewachsen“, sagt er. Das, was in Deutschland schon immer dazu geführt hat, der Hallenvariante große Bedeutung beizumessen, hätten nun auch viele andere Nationen verstanden.

"Stärke auf der Bank macht sich nicht mehr so bemerkbar"

„Hallenhockey ist besonders für die Jugend sehr wichtig für die technische und taktische Ausbildung. Es ermöglicht Ländern, die für das Feldhockey, das mit elf Spielern gespielt wird, keine qualitativ ausreichend starken Kader zusammenkriegen, auf höchstem Niveau mitzuspielen. Und es lässt sich sehr gut verkaufen, weil die Zuschauer ganz nah am Geschehen sind und es sehr viel Action gibt“, sagt Walter Kapounek, der mit Österreichs Herren 2018 den WM- und EM-Sieg unterm Hallendach feiern konnte.

Markus Weise, auf dem Feld 2004 mit den deutschen Damen sowie 2008 und 2012 mit den Herren Olympiasieger, hat einen weiteren Grund dafür ausgemacht, dass es bei den Herren kaum noch echte Kantersiege gibt. „Athletisch sind alle Teams mittlerweile auf fast identischem Stand. Und durch die Veränderung der Spielzeit von zweimal 20 auf viermal zehn Minuten können die besten fünf Feldspieler jeder Nation länger durchspielen. Dadurch macht sich beispielsweise unsere Stärke auf der Bank nicht mehr so bemerkbar, wie es früher der Fall war“, sagt der 59-Jährige, der in Hamburg Bundesstützpunktleiter ist und im Deutschen Hockey-Bund (DHB) die Trainer berät.

Leandro Negre sah Hallen-WM vor dem Aus

Vor sieben Jahren, am Rande der Hallen-WM in Leipzig, hatte der damals amtierende Präsident des Weltverbands FIH, der Argentinier Leandro Negre, im Abendblatt eine düstere Zukunft für das Hallenhockey prophezeit. Die Hallen-WM sah er vor dem Aus, da weltweit die Fördermittel für die Verbände an der olympischen Feldvariante hängen und deshalb der komplette Fokus darauf gelegt werden müsse.

Außerdem wollte er mit der komprimierten Feld-Spielform „Hockey 5“ – vier Feldspieler plus Torwart – neue Zielgruppen erschließen, um kleineren Nationen den Wettbewerb mit den Großen zu erleichtern, und eine olympische Alternative für den Fall aufbauen, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) Feldhockey wegen der Kadergrößen angesichts limitierter Teilnehmerzahlen streichen könnte. In Deutschland wurde sogar die Hallen-Bundesligasaison 2013/14 unter „Hockey 5“-Regeln ausgetragen, was krachend scheiterte.

"Hallenhockey ist weiterhin weltweit beliebt

Davon, sagen Kapounek und Guldbrandsen, sei heute keine Rede mehr. „Im Gegenteil, Hallenhockey ist weiterhin weltweit beliebt und kann sehr gut neben Hockey 5 als eigenständige Variante existieren“, sagt Guldbrandsen. Dass ein starker Verband wie der DHB im kommenden Jahr auf die Hallen-WM der Damen und Herren in Pretoria (Südafrika/5. bis 11. Februar) verzichtet, weil am 4./5. Februar die Endrunde um die nationale Meisterschaft ausgespielt wird, sei zwar „sehr schade und sicherlich nicht gut für das Turnier, aber es ist auch kein Zeichen dafür, dass der Wert des Hallenhockeys abnimmt“.

Vielmehr eröffne die Abwesenheit der noch immer weitaus erfolgreichsten Hallenhockey-Nation anderen die Chance auf Titelehren. Umso motivierter dürften die deutschen Teams an diesem Wochenende sein zu zeigen, dass zumindest in Europa niemand stärker ist als sie.