Hamburg. Die ukrainischen Hockeydamen starten von diesem Mittwoch an bei der Hallen-Europameisterschaft in Hamburg.

Gesichter wie Bücher sind es, die einem entgegenblicken. Stumm die meisten, weil immer nur eine spricht und die anderen lauschen, aber doch allesamt voller Geschichten. Müde und gleichzeitig wach. Traurig und gleichzeitig hoffnungsvoll. Und am Ende des Gesprächs kann man nicht umhin, obwohl sich Journalisten nie mit einer Sache – und sei sie noch so gut – gemein machen sollten, dass man ihnen den Titel wünscht. Auch wenn er nur ein kleines Pflaster wäre auf die Wunden, die der Krieg in der Ukraine gerissen hat. Aber die Goldmedaille ist ihre Mission, und sie zu erfüllen würde ihnen viel bedeuten.

Ukraine will bei Hallen-EM in Hamburg den Titel holen

Von diesem Mittwoch an spielen die ukrainischen Hockeydamen bei der Hallen-EM in der Sporthalle Hamburg. Fünf Vorrundenspiele gegen Tschechien, die Türkei, Deutschland, Österreich und die Niederlande müssen sie bestreiten, bis sie am Sonnabend um 15.35 Uhr im Finale stehen wollen. „Natürlich glauben wir daran, dass wir das schaffen“, sagt Führungsspielerin Jewgenia Kernoz (30), „wir sind eine Einheit, in der jedes Rädchen ins andere greift. Wer so zusammenhält wie wir, der kann alles erreichen.“

Um über das zu sprechen, was die vergangenen Monate seit dem russischen Überfall auf ihr Land aus ihnen gemacht haben, hat Teammanagerin Maryna Maksymenko ins Hotel Zum Bornbruch geladen. Dort, in der ländlichen Idylle der Gemeinde Wohltorf südöstlich von Hamburg, bereitet sich die Mannschaft seit knapp drei Wochen auf den wichtigsten Einsatz des Jahres vor. Möglich wurde das Trainingslager, weil die Hamburger Hockeyfamilie einmal mehr ihren Zusammenhalt demonstrierte.

Der TTK Sachsenwald stellt in fußläufiger Entfernung vom Hotel seine Halle für das Training zur Verfügung, die Mitglieder des Clubs ermöglichen mit Geld- und Sachspenden die Verpflegung, die Bundesligisten Uhlenhorster HC, Harvestehuder THC und Club an der Alster und andere Teams organisierten Testspiele. „Wir sind unendlich dankbar für diese Unterstützung, allen voran dem TTK“, sagt Maksymenko.

Heimatgespräche finden vor dem Training oder Wettkämpfen statt

Die Zeit in Wohltorf hat die Mannschaft allerdings auch dringend gebraucht. Die Spielerinnen stammen alle aus der Region um Sumy, einer vor dem Krieg rund 350.000 Einwohner zählenden Stadt im Nordosten der Ukraine, nur 50 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Dort trainierten sie gemeinsam. Als die Russen angriffen, zerstreute sich das Team. Einige flohen nach England, Italien, Deutschland, andere blieben. An gemeinsames Sporttreiben war nicht zu denken. „Umso mehr genießen wir jetzt, dass wir die Gelegenheit dazu haben“, sagt Julia Schewtschenko, mit 22 eine der Jüngeren im Team.

In Sumy wurde das Training derjenigen, die dort geblieben waren, regelmäßig von Luftalarm unterbrochen. Das Licht in der Sporthalle funktionierte nicht, was für Torhüterin Tetiana Stepanchenko (37) eine hohe Hürde darstellte, da sie wegen eines Augenleidens bei Dämmerlicht den Ball kaum sieht. „Für uns ist es wunderbar, die Chance bekommen zu haben, uns in einer friedlichen Umgebung auf die EM vorzubereiten“, sagt Jewgenia Kernoz. Selbstverständlich kann niemand im Team die Situation in der Heimat ausblenden. Der Co-Trainer und Physiotherapeut des Teams musste nach drei Tagen in Hamburg zurück an die Front, für das Turnier erhält er erneut Sonderurlaub. Einige Spielerinnen werden nach dem Ende der EM nach Sumy zurückkehren.

Umso mehr genießen sie es, in Hamburg nicht ständig mit dem Leid des Krieges konfrontiert zu sein. Es gibt feste Zeiten, zu denen mit den Angehörigen kommuniziert wird, meist vor dem Training oder Wettkämpfen. „Dann können wir uns beruhigt um unseren Sport kümmern, wenn wir wissen, dass zu Hause alle am Leben sind“, sagt Jewgenia Kernoz.

Hotel nahm die besonderen Hockey-Gäste aus der Ukraine gerne auf

Ina Lutz nickt, als sie diese Aussagen hört. Mit ihrem Ehemann Matthias Lutz führt sie das Hotel Zum Bornbruch, das den Charme der 80er-Jahre ausstrahlt. 15 Zimmer hat es, zu dieser Jahreszeit sind diese normalerweise mit Geschäftsreisenden belegt. Aber in gewisser Weise sind die ukrainischen Hockeydamen ja auch Geschäftsreisende, und Ina Lutz, deren Mutter aus der Ukraine stammt und die deshalb eine besondere Beziehung zu ihren aktuellen Gästen hat, ist glücklich, helfen zu können.

Sie dolmetscht, sie kocht mit dem Team das Nationalgericht Borschtsch – ein Eintopf mit Roter Bete und Weißkohl – und sie kümmert sich um die vielen Spenden, die täglich abgegeben werden. „Es kommen Menschen aus dem Ort, aber auch von weiter her, und bringen das, was die Mädels brauchen: Essen, Geld, aber auch Sportbekleidung oder Haushaltswaren, die es aktuell in der Ukraine nicht gibt. Es ist überwältigend zu sehen, wie groß die Hilfsbereitschaft ist“, sagt sie und zeigt auf Taschen, die sich in der Rezeption stapeln.

Viele Kontakte haben sie geknüpft in den vergangenen Wochen. „Uns ist bewusst, dass ganz viele auf uns schauen. Wir haben uns diese Aufmerksamkeit, die der Krieg uns gibt, nicht gewünscht. Aber es ist jetzt nun einmal unsere Realität, und wir werden alles dafür tun, um unsere Aufgabe zu erledigen“, sagt Maksymenko.

Ukraine sieht sich gut gerüstet für die Hallen-EM

Bislang gelinge es allen gut, die Emotionen zu kontrollieren. „Aber wenn zum ersten Mal unsere Hymne gespielt wird, werden sicherlich einige von ihren Gefühlen überrollt werden“, sagt sie. Das weiß auch Svitlana Makajewa. Dennoch ist die Cheftrainerin überzeugt davon, dass ihre Auswahl konkurrenzfähig sein wird. Beim Vorbereitungsturnier der Hallen-Bundesligisten am vorletzten Novemberwochenende, an dem sie teilnehmen durften, belegte die Ukraine Rang vier, seitdem haben sie viel gemeinsam trainiert und die Abstimmung optimiert.

Um ihre Spielerinnen zu motivieren, erinnert Svitlana Makajewa an 2010. Damals gewann die Ukraine völlig überraschend in Duisburg den EM-Titel, es war neben WM-Bronze 2011 die einzige internationale Hockeymedaille. Mit Torhüterin Stepanchenko, Kapitänin Jewgenia Moroz (34) und Torjägerin Maryna Khilko (37) stehen noch drei Spielerinnen von damals im aktuellen Aufgebot. „Damals haben wir erlebt, dass das Unmögliche möglich ist. Warum also sollten wir es nicht noch einmal schaffen?“, sagt die Trainerin, die auch 2010 schon dabei war.

Es ist nur Sport, natürlich. Aber es wäre ein Titel, der ihnen so viel mehr geben würde als ein paar Medaillen.