Maskat. Thomas Müller, einstiger Platzhirsch, fehlt weiterhin angeschlagen. Und auf seiner Position hat sich Jamal Musiala etabliert.

Die Automatismen greifen noch: „Muller, Muller!“, ruft ein Mann hinter dem Absperrband. Und Thomas Müller dreht sich um, grinst und winkt. Dann schnappt er sich seine Laufschuhe und verschwindet – noch bevor der Rest der Mannschaft das Training aufnimmt. Thomas Müller trainiert noch immer nicht mit der Mannschaft, auch nicht im Kurztrainingslager in der omanischen Hauptstadt Maskat. Die Hüftprobleme lassen es noch nicht zu. Seit Anfang Oktober hat der Angreifer nur drei von zwölf möglichen Pflichtspielen bestritten.

Bundestrainer Hansi Flick hat ihn trotzdem berufen in den Kader für die Weltmeisterschaft in Katar – anders als etwa den ebenfalls verletzten Marco Reus. Begründet hat er das einerseits mit der klaren Perspektive der Rückkehr: Am Samstag, wenn in Katar die Vorbereitung auf das erste Gruppenspiel gegen Japan beginnt, soll auch Müller wieder dabei sein. Der 33-Jährige habe „natürlich eine lange Pause gehabt“, sagt Flick. „Aber er ist dennoch gut vorbereitet, er hat die ganze Zeit trainiert in München und unsere Abstimmung mit Holger Broich ist sehr gut.“

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Mit dem Athletiktrainer des FC Bayern hat auch Flick in seiner Zeit beim Rekordmeister zusammengearbeitet, er hält ihn für einen der besten seines Fachs. Und deswegen glaubt er sogar, dass dieser Müller fit wie selten zu einem Turnier anreisen wird: Der Spielrhythmus fehlt dem Offensivspieler zwar, aber dafür hängt ihm auch keine lange, ermüdende Saison in seinen Storchenbeinen.

Es hängt nicht mehr Wohl und Wehe am Einsatz Müllers

Ohnehin kann es sich Flick leisten, mit einer gewissen Portion Gelassenheit auf die Personalie zu blicken, denn längst hängen Wohl und Wehe der Fußballnation nicht mehr an dem Mann, der mit zehn WM-Toren auf Platz acht der ewigen Rangliste liegt, gleichauf mit Helmut Rahn und Gary Lineker. „Müller spielt immer“, das hatte einst sein Entdecker Louis van Gaal bei den Bayern verkündet. Und auch Flick sah es so: Als er vom Co- zum Cheftrainer des FC Bayern wurde, war eine seiner ersten Maßnahmen, Müller wieder einzusetzen als Lenker des Offensivspiels und Führungsfigur auf dem Platz. Und der machte das so gut, dass auch der damalige Bundestrainer Joachim Löw gar nicht mehr anders konnte, als den eigentlich aussortierten Angreifer vor der Europameisterschaft 2021 zurückzuholen und dann auch in jedem Spiel einzusetzen. Und als vor dem abschließenden Gruppenspiel die Wade zwickte und ein Ausfall drohte, war die Aufregung groß im deutschen Lager.

Und nun? Nun sagt Hansi Flick solche Sätze, wenn er nach Müllers Rolle gefragt wird: „Auf den Positionen vorne haben wir sehr hohe Qualität, da kommt es drauf an, was die Spieler anbieten“, meint er. „Wenn sie ihre Topqualitäten zeigen, wird es für uns Trainer sehr schwierig, die richtigen Spieler auswählen.“ Das klingt ganz anders als noch im Juni, als der Bundestrainer schwärmte, einen solchen Spieler könne jede Mannschaft gut gebrauchen. Nun scheint das Motto: Müller spielt nimmer.

Jamal Musiala begeistert seit Monaten

Zuletzt lief es ja auch oft nicht so richtig gut im Nationaltrikot. Klar, Müller war irgendwie immer prägend für das Spiel, aber irgendwie hakte es auch immer im Zusammenspiel mit den Kollegen. In Erinnerung ist aus der jüngeren Vergangenheit vor allem, wie er im EM-Achtelfinale gegen England die hundertprozentige Chance aufs 1:1 vergab.

Und dann hat sich in seiner Abwesenheit auch noch ein anderer in München auf der Spielmacherposition derart unverzichtbar gemacht, dass auch Flick nicht an ihm vorbeikommen wird: Jamal Musiala. Das 19-jährige Übertalent kommt bislang auf zwölf Tore und zehn Vorlagen in 22 Pflichtspielen, er begeistert mit seinen schlangengleichen Bewegungen, mit klugem Spiel, mit Technik und Tempo. Musiala kann alles, dribbeln, passen, schießen – und er harmonierte zuletzt blendend mit den Münchener Flügelspielern Serge Gnabry und Leroy Sané, die ja auch in der Nationalmannschaft tragende Rollen im Angriff spielen.

Flick sieht Müller nicht im Sturmzentrum

Musiala spielt immer, so lautet nun das – noch nicht ausgesprochene – Motto, und das wirft natürlich prompt die Frage auf: Wohin mit Müller? Er könnte auf dem Flügel spielen, aber da sind nun andere, schnellere Spieler unterwegs. Er könnte im Sturmzentrum aushelfen, wo nach Timo Werners Ausfall eine Lücke klafft – aber auch da sieht ihn der Bundestrainer eher nicht.

Da kommt es Flick vielleicht gar nicht so ungelegen, dass sich das komplizierte Thema erst einmal gut wegmoderieren lässt. Wenn Müller im ersten Spiel gegen Japan am kommenden Mittwoch auf der Bank sitzt, lässt sich das noch gut begründen mit fehlender Spielpraxis und einem behutsamen Aufbau. Je länger das Turnier aber dauert, desto schwieriger wird es, diese Begründung aufrecht zu erhalten – und dann wird es spannend sein, zu sehen, wie der Bundestrainer und vor allem der bisherige Platzhirsch Müller mit der Situation umgehen.

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