Hamburg. Der WM-Titel im Einer täuscht nicht über ernüchternde Bilanz des Deutschen Ruderverbands hinweg – es braucht wieder Triumphe.

Es war eine Demonstration der Stärke. Mit mehr als einer halben Bootslänge Vorsprung auf den Zweiten China überquerte der Deutschland-Achter nach einem souverän geführten Finalrennen bei der WM in Racice (Tschechien) die Ziellinie. Gejubelt wurde im Paradeboot des Deutschen Ruderverbands (DRV) allerdings nicht, und das hatte einen einleuchtenden Grund.

Es war das B-Finale, das die deutschen Männer gewannen und sich damit Platz sieben in der Endabrechnung sicherten. Mit ihrer Zeit von 5:33,33 Minuten wären sie im A-Finale, das der Olympiadritte Großbritannien in 5:24,41 Minuten vor den Niederlanden (5:25,52) und Australien (5:27,72) gewann, hinter den besten sechs gelandet.

Ruder-WM: Erschütternde Gesamtbilanz

Das Abschneiden des Achters, der zum ersten Mal seit 23 Jahren ein A-Finale bei einer WM verpasst hatte, war symptomatisch für die Leistungen, die der DRV bei den Titelkämpfen in Tschechien zu verzeichnen hatte. Dass Oliver Zeidler (26/Ingolstadt) am Sonntagnachmittag seine schwache Leistung bei der Heim-EM Mitte August in München, als er in Führung liegend 200 Meter vor dem Ziel komplett eingebrochen und nur Vierter geworden war, mit einem herausragenden Start-Ziel-Sieg in 6:48,67 Minuten vergessen machte und seinen 2019 in Linz gewonnenen Titel vor dem Niederländer Melvin Twellaar (6:50,12) und dem Briten Graeme Thomas (6:51,44) erfolgreich verteidigte, war eine schöne Schlusspointe.

Die erschütternde Gesamtbilanz mit nur zwei A-Finalteilnahmen in den 14 olympischen Klassen – das gab es seit Einführung der WM im Jahr 1962 nie – vermochte Zeidlers Energieleistung nicht zu überdecken.

Ruder-Wm: Probleme an vielen Stellen

Allerdings war diese schon vor dem WM-Start abzusehen gewesen. Der Achter, in dem auch die Hamburger Torben Johannesen (28) und Benedict Eggeling (23/beide RC Favorite Hammonia) saßen, war im Vergleich zu den Olympischen Spielen 2021 in Tokio, als die Silbermedaille gewonnen wurde, auf acht von neun Positionen verändert worden, lediglich Johannesen war schon in Japan dabei gewesen. „Das B-Finale war das beste unserer drei Rennen hier, aber noch nicht das, was man braucht, um ganz oben mitzufahren. Wir müssen uns im Klaren sein, dass die Aufgabe, die wir haben, eine riesige ist“, sagte Schlagmann Johannesen.

Nach den schwachen Vorleistungen der Saison war der Frauen-Riemenbereich, zusätzlich schwer von mehreren Corona-Ausbrüchen gebeutelt, gar nicht erst gemeldet worden. Im gesamten Bundeskader gärt es an vielen Stellen. Unzufriedenheit mit den Trainern, Verdruss über die Zentralisierung, dazu das Gefühl, bei den Verbandsoberen auf taube Ohren zu stoßen – insbesondere rund um die verkorkste Heim-EM brachen sich diverse Probleme in der Öffentlichkeit Bahn.

Bielig: "Wir sind im Neuaufbau"

Umso bemühter waren die Verantwortlichen am Sonntag, die Wogen zu glätten und die positiven Aspekte herauszustreichen. Chefbundestrainerin Brigitte Bielig lobte im Gespräch mit dem Abendblatt den Doppelzweier mit Frauke Hundeling (27/Hannover) und Pia Greiten (25/Osnabrück), der im A-Finale abgeschlagen Letzter wurde, dafür, es immerhin ins A-Finale geschafft zu haben.

Auch der Vierer ohne Steuermann mit den Hamburgern Marc Kammann (25/Hamburger und Germania RC) und Malte Großmann (27/RC Favorite Hammonia) und Alexandra Föster (20/Meschede) im Einer, die ihre B-Finals gewannen, hätten Ansätze gezeigt, auf denen sich aufbauen ließe. „Wir sind im Neuaufbau und müssen den Jungen auch Zeit geben, sich zu entwickeln“, sagte Bielig.

Bielig: "Wir werden hart arbeiten müssen"

Viel Zeit, um das angeschlagene DRV-Schiff wieder auf Kurs zu bringen, bleibt indes nicht. Bei der nächsten WM vom
3. bis 10. September 2023 in Serbiens Hauptstadt Belgrad geht es um die Plätze für die Olympischen Spiele 2024 in Paris. Um bis dahin wieder auf Augenhöhe mit der Weltelite zu kommen, setzen Bielig und Sportdirektor Mario Woldt auf eine Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche.

„Wir werden in den Wintertrainingslagern hart arbeiten müssen, um die Versäumnisse aufzuholen. Aber wir werden jedem Athleten und jeder Athletin einen Strukturplan bis 2024 vorlegen und individuelle Zielvereinbarungen schließen, damit alle wissen, woran sie sind“, sagte Bielig, die damit eine zentrale Forderung der Aktiven anerkennt. Woldt erklärte, dass auch im Bereich des Trainerkaders Änderungen angestrebt werden. „Wir werden auch dort Rückschlüsse ziehen, noch ist aber nichts spruchreif“, sagte er.

Dass am Dortmunder Stützpunkt der Männer-Riemenmannschaft Uwe Bender die Gesamtverantwortung an Sabine Tschäge weiterreichen und „nur“ noch für den Achter verantwortlich zeichnen soll, gilt als ausgemacht. „Wir nehmen die Kritik der Aktiven ernst und wollen so viel wie möglich mit allen kommunizieren“, sagte der Sportdirektor dem Abendblatt.

Rudern: Es braucht wieder Triumphe

Auch der mentale Bereich müsse gestärkt werden. „Wir werden das Angebot der Olympiastützpunkte für psychologische Unterstützung noch breiter fächern“, sagte Brigitte Bielig. Dass die DRV-Spitze entschieden hat, den nach der EM installierten internen Expertenrat nach harter Kritik – den Athleten war aufgestoßen, dass im Fokus ihrer Kritik stehende Personen in diesem Rat sitzen und sich quasi selbst kontrollieren sollten – aufzulösen und durch eine externe Agentur zu ersetzen, halten Bielig und Boldt für richtig und wichtig.

„Wir brauchen einen unabhängigen Blick von außen, damit auch mal kommuniziert wird, was im DRV alles gut läuft“, sagte die Cheftrainerin. Vor allem aber brauchen sie im deutschen Rudern schnellstmöglich wieder echte Triumphfahrten wie die von Oliver Zeidler statt Siege in B-Finals, um die Stimmung nachhaltig zu drehen.