Hamburg. Noch nie war der Stürmer so lange verletzt wie in diesem Sommer. Dass es ihn nicht runtergezogen hat, lag auch an seiner Geschichte.

Bakery Jatta strahlt. Er lächelt nicht, er lacht nicht, er grinst nicht. Er strahlt. „Ich bin einfach glücklich“, sagt der 24-Jährige, als er sich nach der zweistündigen Einheit am Mittwochvormittag bei knapp 30 Grad neben dem Trainingsplatz erschöpft auf eine Bank fallen lässt. Jatta haut sich mit der flachen Hand dreimal auf den linken Oberschenkel, der ihn in den vergangenen Wochen so sehr gequält hat. „Den Muskeln geht es wieder richtig gut“, sagt er – und zuckt fast entschuldigend mit den Schultern. „Vielleicht habe ich ein gutes Heilfleisch.“

HSV News: Jatta ist wieder ein Kandidat für die Startelf

Es ist wohl die beste Erklärung, denn medizinisch ist es kaum erklärbar, dass der Gambier schon wieder auf dem Platz steht, gegen Darmstadt (1:2) eine Halbzeit spielte und in Nürnberg am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr/Sky und Sport1) sogar ein Kandidat für die Startelf ist. „Keine Ahnung, aber das Wichtigste ist doch, dass es mir gut geht“, sagt Jatta, dessen Oberschenkel es in den vergangenen Monaten gar nicht gut ging.

Die Diagnose, die Jatta nach einer MRT-Untersuchung am Tag nach dem verlorenen Relegationsrückspiel gegen Hertha BSC zu hören bekam, war heftig. Er habe einen schweren Muskelbündelriss erlitten, sagte der Mannschaftsarzt. Die voraussichtliche Pause: mindestens bis September. „Als die Diagnose kam, war das natürlich schade“, sagt Jatta, als er nun im August auf der Bank sitzt und strahlt. „So etwas passiert nun mal im Leistungssport. Bislang hatte ich ja auch immer Glück. Ich hatte vorher nie eine so schwere Verletzung“, sagt er – und wird schon fast philosophisch: „Jetzt kann ich traurig sein, dass es mich diesmal erwischt hat. Oder ich kann glücklich sein, dass ich bislang verschont blieb. Ich bin glücklich.“

Jatta ist der Welt einfach nur dankbar

Wahrscheinlich weiß kaum jemand besser, was Glück heutzutage wirklich noch bedeutet. Wer durch die Wüste gegangen ist, das Mittelmeer überquert hat und sich jahrelangen Behauptungen aussetzt, den kann eine Muskelverletzung im Oberschenkel einfach nicht mehr schocken. „Ich war nie in einem Loch. Es ergibt ja auch keinen Sinn, sich runterziehen zu lassen und die Welt zu verdammen“, sagt Jatta, der der Welt einfach nur dankbar ist.

Seine Urlaubspläne musste Jatta nach der Diagnose natürlich verwerfen. Der Fußballer absolvierte zunächst die Reha im Athleticum des UKE und dann mit Reha-Trainer Sebastian Capel am Stadion. Doch auch dem fröhlichsten Gemüt fällt in so einer langen Zwangspause irgendwann mal die Decke auf den Kopf. Jatta nahm seinen Mut zusammen – und fragte bei Trainer Tim Walter und den Teamärzten an, ob er einen Teil seiner Reha nicht auch in seiner Heimat in Gambia absolvieren dürfte. Und obwohl der Verein keine medizinischen Kontakte nach Gambia hatte, stimmten alle Verantwortlichen direkt zu. Denn neben dem Muskel ist auch der Kopf mitentscheidend für eine schnelle Genesung. „Ich bin sehr froh, dass der Trainer sofort zugestimmt hat. Ich weiß das sehr zu schätzen“, sagt Jatta, der für zehn Tage in die Heimat reisen durfte.

„Mir hat sehr geholfen, dass ich in der Reha-Zeit in meine Heimat durfte. Das hat nicht nur meinem Oberschenkel gutgetan, sondern auch meinem Kopf. Ich habe meine Freunde aus Kindertagen wiedergetroffen und konnte mich einfach mal ablenken“, sagt der Afrikaner, der auch noch immer im Fokus der gambischen Nationalmannschaft steht. „Außerdem hatte ich einen Physiotherapeuten, der mich dort immer behandelt hat. Für mich war es genau das Richtige. Der Besuch in Gambia hat mir viel Energie gegeben.“

Jatta zwischen Geduld und Energie

Vielleicht sogar zu viel, orakelt manch einer beim HSV. Denn seitdem Jatta wieder in Hamburg ist, ist er kaum zu bremsen. Bei Kraft- und Koordinationsübungen, die die HSV-Mediziner vor Jattas erstem Mannschaftstraining ansetzten, kam heraus, dass der Flügelflitzer schon jetzt wieder auf dem Niveau von vor seiner Verletzung ist.

Und trotzdem mahnen die Mediziner, dass Jatta nach der langen Pause, die doch viel kürzer als gedacht war, noch nicht wieder zu 100 Prozent fit sein kann. „Ich weiß, dass ich mich gedulden muss. Der Doc und Sebastian (Capel, der Rehatrainer, die Red.) haben mir gesagt, dass ich es langsam angehen soll. Aber bei mir ist es wie auf dem Feld: Ich kann nur schnell.“ Jatta lacht. „Natürlich will ich am liebsten direkt wieder 90 Minuten spielen, obwohl ich eigentlich weiß, dass es für mich besser ist, wenn ich vorerst ein paar Minuten weniger spiele.“

Wie viele Minuten genau es am Sonnabend in Nürnberg werden, wollte Trainer Walter noch nicht verraten. Aber: „Ich denke schon, dass Baka schon wieder Kraft für eine Stunde hat“, sagte der Coach. „Länger wäre nicht sinnvoll.“

Damit ist Jatta erstmals nach seiner Verletzung wieder eine ernsthafte Option für einen Einsatz in der Startelf. Ein perfektes Timing, nachdem Ransford Königsdörffer nach seiner Roten Karte aus dem Spiel gegen Darmstadt auch gegen den „Club“ fehlt. Der DFB hat am Mittwoch aber dem Einspruch des HSV zugestimmt und die Sperre von ursprünglich drei Spielen auf zwei Partien reduziert. Damit hat Walter jetzt die Qual der Wahl zwischen Jatta und Neuzugang Jean-Luc Dompé. Kurios: Ausgerechnet die beiden Hauptkonkurrenten sind seit dem Transfer des Franzosen ein Herz und eine Seele. Jatta hatte den 27-Jährigen nach dessen Ankunft direkt unter seine Fittiche genommen, um ihm das Eingewöhnen zu erleichtern.

Ersetzt Jatta den gesperrten Königsdörffer?

Um zu verstehen, dass Jatta und der HSV eine besondere Beziehung haben, brauchte Jatta Dompé aber gar nicht viel zu erzählen. Es reichte, am vergangenen Freitagabend die Ohren zu spitzen, als Jatta erstmals nach seiner Verletzung in Minute 77 für Miro Muheim eingewechselt wurde – und rund 40.000 Hamburger seinen Namen grölten. „Ich habe mich sehr, sehr, sehr über die Unterstützung der Fans gefreut“, sagt Jatta fünf Tage später. Mit dreimal „sehr“. „Ein richtig geiles Gefühl.“

Jatta ist also wieder da – und je länger man mit der Frohnatur spricht, desto mehr hat man den Eindruck, als ob er eigentlich nie weg war. Ein Muskelbündelriss wirft den Gambier genauso wenig aus der Bahn wie wartende „Bild“-Reporter vor der eigenen Haustür, die live im Internet seine Identität anzweifeln.

HSV News: Jatta hat neue Wohnung bezogen

Jatta hat seine Konsequenz gezogen. Aus dem Zentrum nahe der Alster ist er kürzlich in den Westen nahe der Elbe gezogen. Ihm gefalle seine neue Wohngegend, sagt Jatta, der am freien Mittwochnachmittag aber auf einen Spaziergang am Elbstrand verzichtete. „Heute Nachmittag ist es einfach zu heiß“, sagt der Mann aus dem gambischen Gunjur, wo es am Mittwochnachmittag 32 Grad warm war. „Ich relaxe einfach zu Hause.“

Als das Gespräch zu Ende ist, gibt Jatta noch seelenruhig den wartenden Fans Autogramme. „Baka, wie geht’s?“, will direkt der erste wissen. „Sehr gut. Ich bin glücklich“, sagt Jatta. Und strahlt.