London. Die deutschen Fußballfrauen wollen am Sonntag in Wembley gegen England den EM-Sieg holen. Alexandra Popp überrascht mit einem Schnauzbart.

Fast täglich finden rund 87.000 Ticketinhaber für das Finale der Frauen-EM zwischen England und Deutschland (Sonntag, 18 Uhr/ARD) neue Nachrichten in ihrem elektronischen Postfach vor. Auf der einen Seite wird auf die vielfältigen Mitmachaktivitäten verwiesen, die es zuvor auf einer Fan-Party im Wembley-Park gibt. Auf der anderen Seite fehlen die warnenden Hinweise nicht, dass auf dem Areal kein Alkohol ausgeschenkt wird, nur Kartenbesitzer reinkommen und die Sicherheitskontrollen streng sein werden. Der Veranstalter verspricht den Besuchern, darunter auch 3000 Deutsche, dass jeder „ein sicheres und unvergessliches Erlebnis hat“. Alles andere würde überhaupt nicht zu dem fröhlichen Turnier in England passen, das trotz verdoppelter Zuschauerzahlen seinen familiären Charakter bewahrt hat.

Was die Dachorganisation Uefa und Englands Fußball-Verband FA überhaupt nicht brauchen: verstörende Bilder randalierender Fans, die sich so sehr an der Aussicht berauschen, endlich nach 1966 wieder einen Pokal gewinnen zu können, dass alle Hemmungen fallen. Auch jetzt bespielt das Mutterland des Fußballs penetrant den Bezug zur Männer-WM 1966, obgleich Ellen White mit Geoff Hurst noch weniger zu tun hat als Alexandra Popp mit Horst Hrubesch – diese beiden telefonieren immerhin regelmäßig.

Alexandra Popp sorgt mit Schnauzbart für gute Laune

Hurst, Schütze des legendären Wembleytores, hat über die Parallelen zwischen der früheren Generation um Kapitän Bobby Moore und Bobby Charlton sowie dem heute von Kapitänin Leah Williamson und Millie Bright angeführten Ensemble gesprochen. „Was an diesem Team gut ist: Sie kämpfen alle füreinander – und da sehe ich eine Gemeinsamkeit zu unserer Zeit.“ So wie der 80-Jährige den ganz großen Bogen schlägt – ähnlich mächtig wie jener über der Kultstätte Wembley –, sehen es aber viele. Ohne Pathos geht es auf der Insel nicht. Und wenn bei der BBC jetzt 15 Millionen einschalten wollen, die Trikots der Lionesses ausverkauft sind, müssen wohl historische Dimensionen her.

Alexandra Popp erschien mit Schnauzbart zur Pressekonferenz - nachdem ein Satiremagazin sie als Verstärkung für die Männermannschaft ins Gespräch gebracht hatte.
Alexandra Popp erschien mit Schnauzbart zur Pressekonferenz - nachdem ein Satiremagazin sie als Verstärkung für die Männermannschaft ins Gespräch gebracht hatte. © dpa

Dies kann einer weit weg von London verfrachteten deutschen Delegation nur recht sein. Ein Gutes hat der umstrittene Umzug nach Watford in die Grafschaft Hertfordshire: Der Tapetenwechsel in eine kitschige Adelskulisse setzt noch mal neue Reize. Und gute Laune herrschte schon am Freitag, als Kapitänin Alexandra Popp mit aufgeklebtem Schnauzbart und umgedrehter Baseball-Kappe zur Pressekonferenz erschien – ein Satire-Magazin und Internet-Portal hatten sie so gezeigt und empfohlen, „Alexander Bopp“ solle auch zur Männer-WM fahren. Die sechsmalige EM-Torschützin nahm den Ball spaßeshalber auf, sagte mit künstlichem Schnäuzer, niemand müsse aber befürchten, dass sie jetzt auch bei der WM in Katar mitstürmen werde. Da habe sie schließlich Champions League, beschied die 31-Jährige. War auch das geklärt.

Deutsche Mannschaft wird in Frankfurt empfangen

Gefeiert wird am Montag so oder so: Der Empfang am Frankfurter Römer kommt unabhängig davon zustande, ob Deutschland im neunten EM-Finale auch das neunte Mal gewinnt. Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg (54) speist ihre Zuversicht, diese Bilanz beibehalten zu können, abseits der prächtigen Auftritte ihrer Mannschaft im Laufe des EM-Turniers auch aus dem 9. November 2019. Da war ihr Team zu einem prestigeträchtigen Freundschaftsspiel in Wembley eingeladen – erst Merle Frohms (27) mit einem gehaltenen Elfmeter und dann Klara Bühl (21), die am Sonntag wegen einer Corona-Erkrankung fehlt, mit einem späten Siegtor gaben den Party-Crasher für 77.768 Augenzeugen. „Daran erinnere ich mich gern“, sagt Torhüterin Frohms.

Die deutschen Fußballerinnen haben nichts zu verlieren. Es sei denn, sie würden von England überrollt werden wie Norwegen (0:8) in der Vorrunde oder Schweden (0:4) im Halbfinale. Aber dagegen wird schon Torjägerin Alexandra Popp vorgehen: „Wir wollen Wembley zum Schweigen bringen.“ Ihre ebenso mit Weltklasseleistungen aufwartende Lena Oberdorf (20) findet es höchst motivierend, „wenn das ganze Stadion gegen dich ist, dich am besten noch ausbuht“.

Nur Almuth Schult, Sara Däbritz und Svenja Huth haben schon eine EM gewonnen

Aus dem aktuellen Kader haben 2013 allein Almuth Schult, Sara Däbritz und Svenja Huth eine EM gewonnen. Entscheidend wird sein, dass die DFB-Frauen als die neuen Lieblinge der Nation wieder mit riesiger Defensivlust ans Werke gehen. Bitter wäre es nur, sollte die angeschlagene Marina Hegering (32) ausfallen – sie würde durch Sara Doorsoun (30) ersetzt.

Es braucht eine gewisse Robustheit, um dem vor Kraft strotzenden Stil der seit 19 Länderspielen ungeschlagenen Engländerinnen zu trotzen. Das DFB-Team hat aber nicht nur 21 von 27 Länderspielen gewonnen: Der den stärksten Block der Nationalmannschaft bildende VfL Wolfsburg warf in der Champions League erst den englischen Meister FC Chelsea in der Gruppenphase raus, dann im Viertelfinale den Vizemeister Arsenal WFC. Die spielerischen Vorteile der deutschen Nationalspielerinnen waren unter dem Strich offenkundig. Unbezähmbar sind die englischen Löwinnen also nicht. Mag auch noch so laut in Wembley gebrüllt werden.