Hamburg. Die HSV-Sprinter Owen Ansah, Lucas Ansah-Peprah und ihr Trainer Sebastian Bayer sprechen über die WM in Eugene und ihre Ziele.

464 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Hamburg und Mannheim, bis nach Santa Barbara in Kalifornien (USA) sind es sogar 9101 Kilometer und neun Stunden Zeitverschiebung. Doch die Technik macht’s möglich: Vor ihrem Start bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Eugene (Oregon) traf sich das Abendblatt zum Videomeeting mit den deutschen Topsprintern Owen Ansah (21) und Lucas Ansah-Peprah (22), die beide für den HSV starten, sowie deren Trainer Sebastian Bayer (36).

Hamburger Abendblatt: Herr Ansah, Sie haben die Tage vor Ihrem Start über 200 m (Di, ab 2.05 Uhr MESZ) im Pre-Camp im kalifornischen Santa Barbara verbracht. Wie läuft ein Pre-Camp ab?

Owen Ansah: Es ging vor allem darum, sich in der Zeitzone zu akklimatisieren, ein bisschen zu trainieren. Die Arbeit war ja größtenteils getan.

Sie dürfen zum ersten Mal bei einer WM starten, im Einzel über 200 Meter. Was wäre für Sie eine erfolgreiche Teilnahme?

Owen Ansah: Normalerweise laufe ich ja nur für mich, jetzt trete ich für Deutschland an, das wird eine neue Erfahrung für mich sein.

Sebastian Bayer: Für Owen wird es wichtig sein, sein Ding durchzuziehen, auch wenn er den Adler auf der Brust trägt. Zu 99 Prozent funktioniert es nicht, wenn man versucht, etwas anders oder besser zu machen, als man es eigentlich kann.

Owen Ansah: Na klar! Ich weiß, dass es meine Stärke ist, cool an die Sache heranzugehen. Es wäre schön, wenn ich über 200 Meter den Vorlauf überstehe. Ich werde versuchen, dafür alles abzurufen. Aber die Konkurrenz weltweit ist sehr stark. Sollte ich nicht eine Runde weiter kommen, wäre das keine Katastrophe, da ich vorhabe, noch an weiteren Weltmeisterschaften teilnehmen zu können. Für die Staffel erhoffe ich mir mehr.

Für die 4x100 Meter sind auch Sie nominiert, Herr Ansah-Peprah, und reisen etwas später zu diesem Wettkampf an.

Lucas Ansah-Peprah: Ja, und wie Owen schon sagt, haben wir mit der Staffel ambitionierte Ziele. Wir wollen versuchen, den deutschen Rekord, den wir Anfang Juni in Regensburg mit 37,99 Sekunden aufgestellt haben, bei der WM noch einmal zu unterbieten.

Über zehn Jahre hatte der bisherige Rekord des Teams um den mittlerweile zurückgetretenen deutschen Einzel-Rekordhalter Julian Reus Bestand, bevor Sie ihn mit Kevin Kranz (Wetzlar) und Joshua Hartmann (Köln) knacken konnten. Wächst da eine besondere Generation an deutschen Top-Sprintern heran?

Sebastian Bayer: Unser Sprint-Bundestrainer Ronald Stein hat jedenfalls nach dem 100-Meter-Finale bei den deutschen Meisterschaften gesagt, dass er noch nie ein so schnelles Finale gesehen hat. Und Stein ist seit 25 Jahren im Geschäft.

Erklären Sie bitte diesen Leistungsschub.

Sebastian Bayer: Die jungen Athleten in den Jahrgängen 1998 bis 2000 haben sich in den vergangenen zwei Jahren extrem entwickelt, was auch daran liegt, dass sie sich gegenseitig pushen und unterstützen. Und auch im Trainerteam arbeiten wir gut zusammen. Wir haben ein sehr junges Team mit vier Trainern unter 40 Jahren. Wir versuchen für einen vernünftigen, konstruktiven Austausch zu sorgen, das beflügelt das komplette System.

Die Zahlen belegen das. Owen, Sie feierten erst den nationalen Titel über 100 Meter in 10,09 Sekunden. Anfang Juli holten Sie, Lucas, sich dann, leider nach der Nominierungsphase für die WM, den Titel „Hamburgs schnellster Sprinter“ mit 10,04 Sekunden bei einem Rennen in der Schweiz zurück. Spukt da der deutsche Rekord von Julian Reus von 2016 in 10,01 Sekunden im Kopf oder sogar das Knacken der magischen Grenze? Unter zehn Sekunden ist noch kein deutscher Sprinter offiziell gelaufen.

Owen Ansah:Ist doch logisch: Wenn du so nah an diese Marken gelaufen bist, hast du das irgendwie vor jedem Lauf im Kopf und versuchst, alles zu geben, was in dir steckt. Allerdings sind wir Sprinter von vielen Faktoren abhängig, die wir nicht beeinflussen oder trainieren können.

Sebastian Bayer: Ganz genau, zum Beispiel von den Windbedingungen. Oder aber von der Anzahl der Rennen, die die Jungs an einem Wochenende laufen müssen. Bei den deutschen Meisterschaften zum Beispiel konnte Owen bei fünf Rennen und insgesamt 700 Metern Maximalsprint nicht noch schneller laufen.

Dann positiv gefragt: Bei ordentlichen, guten Bedingungen ...

Sebastian Bayer: ... bin ich sehr überzeugt von den Jungs, dass sie die Schallmauern, die zehn Sekunden über 100 Meter und den deutschen Rekord über 200 Meter (20,20 Sek., die Red.), in sich tragen. Wir alle müssen ein bisschen Geduld haben. Ich bin mir jedoch sicher: Bis 2024 wird der deutsche Rekord nicht mehr da stehen, wo er jetzt steht.

Lucas Ansah-Peprah: Wir machen uns keinen Druck, geben einfach alles, bei der WM und dann im August bei der EM in München. Sollte es 2022 nicht klappen, wäre das kein Beinbruch. Wir trainieren einfach so hart wie möglich weiter.

In früheren Interviews sprachen Sie von einem „gesunden Konkurrenzkampf“ untereinander. Wie schwierig ist es, beim Kampf um Hundertstel eine gute Beziehung untereinander zu bewahren?

Lucas Ansah-Peprah: Daran wird sich nichts ändern. Wir haben uns gegenseitig versprochen: Wir lassen nichts auf uns kommen, werden uns immer gegenseitig gratulieren. Hauptsache, der Erfolg bleibt in der Trainingsgruppe.

Was hat sich seit Ihrem Wechsel des Trainingsstandortes von Hamburg nach Mannheim verändert?

Owen Ansah: In Hamburg lief es ja schon sehr gut, wir konnten zeigen, was wir draufhaben. In Mannheim ist es jetzt noch ein Stück professioneller geworden mit einem Athletiktrainer, dem Physioteam und Basti, der uns als Trainer unterstützt, wo er kann.

Trotzdem starten Sie weiter für den HSV.

Lucas Ansah-Peprah: Es gab durchaus einige Vereine, die Interesse an uns hatten. Aber unser Favorit war immer nur der HSV, weil wir dort aufgewachsen sind, auch sportlich. Während Owen ja in Hamburg geboren ist, kam ich von Stuttgart nach Hamburg und habe dort die Liebe zur Leichtathletik entdeckt. Meine Freunde sind alle in Hamburg. Wir wollten mit unserer Heimat verbunden bleiben.

Sebastian Bayer: Ich war ja auch lange als Weitspringer für den HSV aktiv und sage immer: Man muss wissen, wo die Wurzeln sind, wo man herkommt, wo man sich entwickelt hat. Klar gibt es andere Vereine, die einem Angebote unterbreiten. Sie könnten jedes Jahr söldnermäßig von Club A zu Club B wandern. Aber das schätze ich an Lucas und Owen, die gesagt haben: Nein, wir wollen langfristig beim HSV bleiben und mit unseren Leistungen dem Verein etwas zurückgeben.

Zum Team Hamburg gehören beide nicht.

Sebastian Bayer: Und damit habe ich Bauchschmerzen. Das ist für das Team Hamburg schlecht, für den HSV und auch die Sportler nicht gut, man könnte mehr Gewinn für alle Partien daraus ziehen. Es geht doch um den Standort, und Hamburg will eine Sportstadt sein. Ich akzeptiere die Statuten, aber vielleicht sollte man auch mal Fünfe gerade sein lassen, obwohl sie jetzt in Mannheim trainieren.

Derzeit laufen Sie beide über die 100 und die 200 Meter. Wann kommt der Zeitpunkt, sich zu spezialisieren?

Owen Ansah: Ich komme ja eher von den 200, glaube aber nicht, dass wir uns in nächster Zeit festlegen müssen. Beides macht extrem Spaß.

Lucas Ansah-Peprah: Ein 100-Meter-Sprinter muss auch die 200 gut können, sagt unser Trainer immer. Den Satz versuche ich mir einzuprägen.

Sebastian Bayer: Ich schicke Owen vielleicht zwei-, dreimal mehr in die Kurve, ansonsten sind das aber nur Nuancen. Die 400 Meter wären dagegen im Vergleich etwas völlig anderes.

Beneiden Sie eigentlich manchmal die Mannschaftssportler, die bei Turnieren fünfmal 90 Minuten auf dem Platz stehen dürfen, Sie aber nur zwei-, dreimal zehn oder 20 Sekunden?

Owen Ansah: Nein. Schnell alles geben, was ich kann, das reicht auch.

Lucas Ansah-Peprah: Dem kann ich mich nur anschließen. Die Vorstellung, 90 Minuten lang acht, neun Kilometer zu laufen…, ich weiß nicht, ob ich das schaffen würde. Und mit meiner Technik wäre ich für eine Fußball-Mannschaft eher eine Belastung. (lacht)

Was reizt Sie denn an der Geschwindigkeit?

Lucas Ansah-Peprah: Unter acht Teilnehmenden in einem Lauf vorne dabei zu sein, ist einfach ein geiles Gefühl. Die Laufbewegung, das Erlebnis, schnell zu sein, ist wie ein Rausch, den man immer wieder neu erfahren möchte.

Vor allem, wenn sich die Erfolge einstellen, können wir uns vorstellen. Hat sich die Wahrnehmung Ihnen gegenüber verändert?

Owen Ansah: Auf dem Platz kommen schon mal Leute und gratulieren zu einer Leistung. Ansonsten brauche ich noch kein Cappy, wenn ich privat unterwegs bin.

Lucas Ansah-Peprah: Also, vermummt musste ich auch noch nicht durch die Straßen von Mannheim laufen.

Owen Ansah: Wer weiß, vielleicht kommt das noch. (lacht) Aber eines ändert sich sicher nicht. Wir werden immer noch gefragt, ob wir Geschwister sind. Manche behaupten das sogar einfach.

Lucas Ansah-Peprah: Wir werden es noch sehr, sehr oft wiederholen müssen, dass wir nicht verwandt sind.

Trainieren wollten Sie auch den Kopf, hatten Sie angekündigt. Wie steht es um Ihre Studienpläne?

Lucas Ansah-Peprah: Für mich ist klar, dass ich soziale Arbeit zum Wintersemester anfangen möchte.

Owen Ansah: Bei mir ist das noch offen. Ich werde das erst nach der Saison entscheiden.