Berlin. Owen Ansah vom Hamburger Sportverein ist der schnellste Mann Deutschlands. Gina Lückenkemper siegt in 10,99 Sekunden.

Den Mund hatte er schon weit aufgerissen, als er über die Ziellinie stürmte. Dann kam der Schrei, kam die Umarmung mit dem Drittplatzierten Lucas Ansah-Peprah. Die beiden Starter des Hamburger SV herzten sich, und Owen Ansah hörte gar nicht mehr auf zu lächeln. Deutscher Meister wurde er in 10,09 Sekunden über die 100 Meter, zum zweiten Mal nach dem Titel über 200 Meter im Vorjahr.

„Wunderschön“, nannte Owen Ansah diesen Moment im Berliner Olympiastadion wenig später. Jenen Sieg vor Julian Wagner (10,12/Erfurt) und seinem HSV-Teamkollegen Lucas Ansah-Peprah (10,17). „Ich habe darauf vertraut, was ich kann. Und ich hoffe, dass es so weitergeht.“ Damit meinte er nicht die nun anstehende WM im nordamerikanischen Eugene/Oregon (ab 15. Juli). Denn die WM-Norm verpasste der Hamburger um vier Hundertstelsekunden. Dass die deutschen Männer in Eugene nur mit der Sprintstaffel vertreten sein werden, ist sehr wahrscheinlich. Zum Vergleich: Der Olympiazweite Fred Kerley legte jüngst bei den US-Meisterschaften eine 9,77 auf der WM-Bahn in Eugene hin.

HSV läuft allen davon: Auch Gina Lückenkemper kann jubeln

Nein, der 21-Jährige sprach am Sonnabendabend über das 200-Meter-Finale am Sonntagabend. Beim Abschluss der nationalen Meisterschaften ging er als
Titelverteidiger an den Start. Doch nach drei Fehlstarts und der Disqualifikation von Lucas Ansah-Peprah musste auch Ansah zunächst eine Enttäuschung hinnehmen. In persönlicher Bestzeit (20:41 Sekunden) kam er als Zweiter ins Ziel – doch Sieger Joshua Hartmann aus Köln wurde nachträglich disqualifiziert. Ansah jubelte verspätet über die Titelverteidigung.

Auch Gina Lückenkemper jubelte; als sie über die Ziellinie geschossen kam, blickte sie ungläubig auf die Anzeigetafel. Jubelschreie, Freudentränen – die 25-Jährige durchlief das volle emotionale Programm. „Gina ist zurück“, hatte sie vor wenigen Tagen noch verkündet, als sie die 100 Meter in Wetzlar in 11,04 Sekunden gemeistert hatte. Und nun: „Gina ist definitiv zurück“, rief sie am Sonnabendabend lachend ins Stadionmikrofon. 10,99 Sekunden war sie auf der Bahn des Berliner Olympiastadions gerannt. Unter elf Sekunden – so schnell war sie zuletzt 2018, als sie an gleicher Stelle bei der EM zu Silber in 10,98 Sekunden raste. „Ich liebe dieses Stadion. Es ist mein absolutes Lieblingsstadion“, rief sie euphorisch. Wieder hatte sie es hier auf der blauen Bahn gespürt, dieses „Gefühl des Fliegens. Dann weiß man, dass es schnell wird.“

Lückenkemper erneut Deutsche Meisterin

Es wurde schnell, Lückenkemper ist wieder Deutsche Meisterin. „Ich finde ja: Ich bin nie weg gewesen. Ich habe einfach nur Verletzungspech gehabt“, blickte sie auf die vergangenen Monate zurück. Jene Tage, in denen die Pandemie die Reisen zu ihrem Trainingsstützpunkt in Florida zu Trainer Lance Brauman unmöglich machte, in denen sie alleine im Garten trainierte, auch immer wieder von Verletzungen ausgebremst wurde. Die Monate, in denen die Frohnatur ihre Leichtigkeit verloren hatte. Denn hinzu kamen ja noch massive Beleidigungen und Anfeindungen in den Sozialen Medien. „Am schlimmsten war, dass in der Gesellschaft auf jemanden, der am Boden liegt, eher drauf getreten wird, als dass eine helfende Hand kommt“, sagte sie am Samstagabend im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF.

Die dunklen Tage sind also vergessen, im sonnendurchfluteten Olympiastadion ging der Blick Richtung Zukunft. Die WM im nordamerikanischen Eugene (ab 15. Juli) und die EM in München (ab 15. August) stehen an, die Normen hat die für den SCC Berlin startende Soesterin geknackt. Doch wie weit würde sie eine 10,99 auf internationalem Niveau tragen?

Anders als bei der nur spärlich besuchten DM hätte diese Zeit beispielsweise bei den US-Meisterschaften nicht einmal für die Top Sechs gereicht, Melissa Jefferson siegte dort in 10,69 Sekunden. Jamaikas Weltmeisterin Shelly-Ann Fraser-Pryce hat in diesem Jahr schon 10,67 Sekunden hingelegt, selbst die Schweizer Meisterin Mujinga Kambundji rannte 10,89 Sekunden. Selbst wenn es gut liefe, wäre bei der WM wohl spätestens im Halbfinale Schluss. Weltweit liegt Lückenkemper derzeit auf Rang 31. Immerhin, und das lässt auf München hoffen: In Europa ist die Deutsche derzeit die Nummer drei.

Auch Diskuswerferin Kristin Pudenz erzielt eine persönliche Bestleistung

Doch es gab sie, die Hoffnungsschimmer auf deutsche Medaillen bei der WM. Der Düsseldorfer Bo Kanda Lita Baehre stand noch an der Stabhochsprunganlage, als die Konkurrenz längst die Stäbe wieder verstaute. Der 23-Jährige vom TSV Bayer Leverkusen ließ nach gemeisterten 5,85 Metern erst 5,90 Meter auflegen und wagte sich dann sogar an die 5,95 Meter. Doch da verließ ihn das Glück. Deutscher Meister, Bestleistung um zehn Zentimeter gesteigert, auf den derzeit dritten Platz der Weltbesten geklettert – Lita Baehre war zufrieden. Und maximal motiviert: „Das war ein Zwischenstopp. Ich will noch ein bisschen Progression, dass es noch mehr nach oben geht. Ich freue mich auf alles, was noch kommt“, sagte er mit Blick auf WM und EM.

Zum Kreis der internationalen deutschen Medaillenanwärterinnen zählt auch Diskuswerferin Kristin Pudenz. Die Olympiazweite aus Potsdam schleuderte die Scheibe auf 67,10 Meter – eine persönliche Bestleistung auf dem Weg zum vierten DM-Titel. Bei den Tokio-Spielen hatte Pudenz 2021 mit 66,78 Metern ihre bis dahin beste Weite geschafft. „Das habe ich direkt gemerkt. Ich hoffe, dass es noch ein bisschen weiter geht“, sagte Pudenz über ihren besten Wurf.