Wenn Dowana Khalifa erzählt, wie und wann sie das erste Mal zum Fußballtraining gegangen ist, dann klingt das beim ersten Zuhören wie eine ganz normale So-habe-ich-mit-Fußball-angefangen-Geschichte. Sie habe ein Trainingsspiel der katarischen Frauen-Nationalmannschaft gesehen und wusste in dem Moment, dass auch sie unbedingt Fußballerin werden möchte, sagt Khalifa. Die junge Frau sitzt auf dem Rasen im Qatar Women’s Sport Committee in Doha. Es ist heiß. 32 Grad zeigt das Thermometer an. Khalifa macht eine Trainingspause, klemmt den Ball zwischen ihren Beinen ein und spricht über die schönste Nebensache der Welt, die für sie eine Hauptsache ist: Fußball.

Der Unterschied zu den sonstigen Geschichten, wann und wo einen das Virus Fußball gepackt hat: Khalifa war bereits 17 Jahre alt, als sie das erste Mal beim Frauenfußball zuschaute. Und das hatte einen ganz simplen Grund. Vor 2009 war organisierter Frauenfußball in Katar verboten, das erste offizielle Länderspiel gab es 2010 gegen Bahrain. „Als ich ein Kind war, gab es noch keine Frauenteams“, sagt Khalifa. Heute, 13 Jahre später, ist sie Nationalspielerin und gilt als eine der besten ihres Landes. Gerade erst haben sie und ihre Mitspielerinnen ein Spiel mit 5:0 gegen Afghanistan gewonnen.

Katar will unter den Golfstaaten führende Nation für Frauenrechte werden

Frauenfußball in Katar ist eine Blaupause für Frauenrechte in Katar: Es gibt sie, es geht in die richtige Richtung – aber 150 Tage vor der Männer-WM (21. November bis 18. Dezember) in diesem Winter ist auch bei den Frauen noch extrem viel zu tun. Unter den Golfstaaten will Katar auch eine führende Nation für Frauenrechte werden, im globalen Ranking liegt der umstrittene WM-Gastgeber allerdings bei der Geschlechtergerechtigkeit nur auf Platz 142. Das Emirat hat 2009 nach 30 Jahren zwar endlich die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterzeichnet, die völkerrechtlich bindend ist und jegliche Form der Diskriminierung von Frauen verbietet. Auch sieht die katarische Gesetzgebung vor, dass die männliche Vormundschaft nach 18 Jahren beendet ist. Zumindest in der Theorie. In der Praxis brauchen Frauen in Katar nach einem Bericht von Human Rights Watch aber weiterhin in nahezu allen Bereichen des Lebens einen männlichen Vormund. „Frauen in Katar werden noch immer so behandelt, als wären sie keine Erwachsenen“, sagt Wenzel Michalski von Human Rights Watch Deutschland in seinem Berliner Büro – und macht ein ernstes Gesicht.

Dowana Khalifa kennt die Kritik aus dem Ausland. Und sie ärgert und freut sich zugleich darüber. „Wenn man in ein anderes Land geht, muss man die Traditionen respektieren“, sagt die Fußballerin, die einerseits stolz auf ihren Glauben und ihre Tradition ist, andererseits aber ihre eigenen Träume und Ziele auch als Frau verwirklichen will. Zum Training in die As­pire Academy, wo auch Bayern München jedes Jahr überwintert, ist sie mit einem Hi­dschab gekommen. Bis auf das Gesicht verdeckt der Schleier nahezu alles. Doch sie trage den Hidschab auf der Straße gerne, genauso wie sie jetzt auf dem Fußballplatz Sportklamotten und Fußballschuhe trage. Wieso? Weshalb? Warum? Schulterzucken. Auf komplexe Fragen gibt es eben nur selten einfache Antworten.

Katars Nationalspielerin Dowana Khalifa (30) beim Ortstermin im Qatar Women’s Sport Committee der Aspire Academy, wo auch Bayern München schon oft überwintert hat.
Katars Nationalspielerin Dowana Khalifa (30) beim Ortstermin im Qatar Women’s Sport Committee der Aspire Academy, wo auch Bayern München schon oft überwintert hat. © Kai Schiller | Kai Schiller

WM-Song heißt übersetzt „besser zusammen“

Das weiß auch Aisha. Die 32-Jährige sitzt in einem Tonstudio nur wenige Kilometer von der Aspire Academy entfernt am Mischpult. Auch sie hat einen schwarzen Hidschab an, auch sie trage den Ganzkörperschleier mit Stolz, sagt sie. „Ich freue mich, dass auch ich ein Teil dieses Wechsels in Katar für Frauen bin“, sagt die Sängerin, deren Zahnspange beim Lächeln zu sehen ist.

Aisha ist eine der prominentesten und beliebtesten Künstlerinnen Katars. Sie trat bereits bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf, war bei der Eröffnung der Doha Festival City anwesend und durfte bei der WM-Auslosung, die am 1. April weltweit live übertragen wurde, auftreten und den neuen, offiziellen Fifa-Song singen. Der Name des WM-Soundtracks: „Hayya Hayya – Better Together“ – auf Deutsch: besser zusammen.

Die katarische Sängerin Aisha bei der Show zur WM-Auslosung.
Die katarische Sängerin Aisha bei der Show zur WM-Auslosung. © AFP/Getty Images | Getty Images

Menschenrechtsexperten haben Sorge, dass es ein „laues Lüftchen“ werden könnte

Ein grundsätzlich besseres Zusammenleben zwischen Frauen und Männern will auch die verheiratete Sängerin, deren Vorbild Adele ist. Auch sie selbst habe ihre eigene Familie erst davon überzeugen müssen, als Künstlerin ihr Geld zu verdienen. Nun würde diese aber hinter ihr stehen. „Jetzt lieben sie, was ich tue“, sagt Ai­sha und zeigt erneut ihr Zahnspangenlächeln. „Ich hoffe, andere Frauen mit meiner Anwesenheit zu inspirieren, ihre Träume zu verfolgen. Die WM in Katar könnte ein ,Wind of Change‘ werden.“

Menschenrechtsexperten haben allerdings die Sorge, dass es eher ein laues Lüftchen werden könnte. „Nach außen hin wirkt das alles vielleicht relativ modern, weil es Frauen gibt, die Auto fahren, und Frauen in Berufen“, sagt Human-Rights-Sprecher Michalski an seinem großen Besprechungstisch. „Aber wenn man an der Oberfläche kratzt, dann merkt man schnell, dass Frauen noch so behandelt werden, als wären sie nicht mündig.“

Laut Human Rights Watch wird männliche Vormundschaft weiter praktiziert

Vor einem Jahr veröffentlichte Human Rights Watch einen 94-seitigen Bericht über Frauen in Katar, in dem die noch immer im Alltag praktizierte männliche Vormundschaft aufgezeigt wurde. So heißt es in dem Bericht, dass katarische Frauen auch nach ihrem 18. Lebensjahr die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds brauchen, um in vielen öffentlichen Jobs zu arbeiten, zu heiraten und mit staatlichen Stipendien im Ausland zu studieren.

Katars Nationalspielerin Dowana Khalifa hat den Bericht nicht gelesen. Aber: Sie hat im Ausland studiert. Englisch. Im kalifornischen Santa Monica. 2018 hat sie ihren Uni-Abschluss gemacht und sich seitdem auf ihre Fußballerinnenkarriere bei Al-Gharafa konzentriert. Ob sie als Fußballerin auch Geld verdient? Khalifa lächelt ein wenig schüchtern, kickt gegen den Ball, sagt dann: „Ich weiß nicht, ob uns erlaubt ist, darüber zu reden.“

Bildung auch für katarische Frauen

Das weiß bei vielen Fragen auch diejenige nicht, die es in Katar eigentlich wissen sollte. Gleich mehrfach unterbricht Ameera Ali Al-Hedfa, die Direktorin für Internationale Kooperationen beim National Human Rights Committee (NHRC), das Interview. Es geht – wie meistens im Jahr vor der WM – um Menschenrechte im Allgemeinen, aber auch Frauenrechte im Speziellen. Und auch die katarische Frau trägt ein langes schwarzes Übergewand, ihre dunklen Haare sind nur zu erahnen. Auch sie darf als Musterbeispiel für eine starke Frau im Emirat dienen. Al-Hedfa hat mehrere DIN-A4-Zettel mit vielen Stichpunkten in der Hand, einige Sätze hat sie unterstrichen. Trotzdem spricht die Menschenrechtsexpertin nur sehr oberflächlich über die Frauenrechte in ihrem Land. „Wir versuchen, Frauen zu unterstützen, die ungerecht behandelt werden“, sagt sie – und verweist auf den NHRC-Jahresbericht. „Frauen haben auf der ganzen Welt Herausforderungen zu meistern“, sagt die Direktorin. Noch so eine gut klingende Binse. In Katar versuche man aber, Stereotype aufzubrechen, und beginne schon bei der Erziehung. Bildung, bekräftigt Al-Hedfa, sei für Katarer umsonst. Auch für katarische Frauen.

Im fernen Deutschland traut Human-Rights-Sprecher Wenzel Michalski den gut klingenden Worten über die Entwicklung von Frauenrechten in Katar nicht wirklich – genauso wenig wie dem National Human Rights Committee an sich. „Sie behaupten, dass sie unabhängig seien. Aber wir haben den Eindruck, dass sie nicht unabhängig sind“, sagt Michalski.

Wer etwas über Frauenrechte in Katar wissen will, der braucht sich eigentlich nur die Entwicklung des Frauenfußballs anzuschauen. So hat Katar 2009 Frauenfußball nicht deswegen zugelassen, weil die Zeit endlich reif dafür war, sondern weil man sich aufgrund der neuen Fifa-Regularien dazu gezwungen sah. Diese sahen seit 2009 vor, dass Mitgliedsverbände 15 Prozent oder mehr der vom Weltverband erhaltenen Unterstützungsgelder aus dem Financial Assistance Programme (FAP) für Frauenfußball ausgeben sollen, mindestens aber 37.500 US-Dollar. Das erste Jahresbudget für Frauen-Fußball in Katar 2009: 37.500 US-Dollar. Auch Nationalspielerin Dowana Khalifa will nicht verhehlen, dass es bei der Förderung des Frauenfußballs in dem strenggläubigen Land, in dem der Wahhabismus die Gesellschaft prägt, noch ziemlich viel Luft nach oben gibt. „Ich hätte gerne in mehr Turnieren außerhalb Dohas gespielt“, sagt sie im akzentfreien Englisch. „Fußball spielen und dabei die Welt sehen. Das ist das Einzige, was ich vermisst habe.“

Dowana Khalifa darf Fußball spielen – aber Männer dürfen nicht zuschauen

In Doha dürfe sie zwar Fußball spielen, männliche Zuschauer seien bei Frauenspielen allerdings nicht zugelassen. „Dabei hat man das Gefühl, dass auch immer mehr Menschen hier in Katar Frauenfußball gucken wollen. Aber noch ist das nicht erlaubt. Spiele mit Frauen sind noch nichts für die Öffentlichkeit“, sagt die Fußballerin, die auf dem Platz als defensive Mittelfeldspielerin für das Grobe zuständig ist. „Ich wünsche mir sehr, dass es einen Wechsel im Bewusstsein gibt und wir auch in Doha vor vielen Zuschauern spielen dürfen. Auch vor männlichen.“ Sie sei bereits 30 Jahre alt, allzu viel Zeit auf dem grünen Rasen habe sie nicht mehr. Deswegen soll es ihrer Meinung nach auch nicht mehr zu lange dauern, bis auch männliche Fans als Zuschauer zugelassen werden. „Vielleicht ja schon in zwei Jahren, vielleicht sogar schon nach der WM.“

Die Weltmeisterschaft also. Die Erwartungen an das Männer-Fußballturnier, das in 150 Tagen am 21. November angepfiffen wird, sind immens. Die Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigranten sollen verbessert, Schwule und Lesben sollen nicht ausgegrenzt und Frauenrechte müssen weiter gestärkt werden. Natürlich. Die Welt soll sich zudem in der Wüste wohlfühlen, die Frage, ob die Fans echtes Bier trinken dürfen, muss auch noch geklärt werden, und ganz nebenbei soll ja auch noch Fußball gespielt werden. „Ich bin sehr aufgeregt, dass die WM bei uns in Katar stattfindet“, sagt Dowana Khalifa, die sogar hofft, ein Ticket für eines der Turnierspiele zu ergattern. „Inschallah“, sagt die Fußballerin, bevor sie mit dem Training weitermachen muss. So Gott will.