Hamburg. Furchtbares Ende eines überragenden Turniers: Svenja Müller und Cinja Tillmann profitierten am Sonntag vom Aus für Joana Heidrich.

Es war ein furchtbares Ende eines überragenden Turniers für Svenja Müller und Cinja Tillmann. Beim Stand von 16:21, 7:10 aus Sicht des Hamburger Duos im Spiel um Platz drei bei der Beachvolleyball-WM in Italiens Hauptstadt Rom hallten gellende Schmerzensschreie über den Center-Court.

Die Schweizerin Joana Heidrich (30), die mit ihrer Partnerin Anouk Vergé-Depré (30) auf Bronzekurs lag, saß geschockt im Sand und hielt sich den rechten Arm. Es dauerte eine Viertelstunde, bis die Bronzegewinnerin der Olympischen Spiele 2021 transportfähig war. Als erste Diagnose wurde später eine Schulterluxation herausgegeben.

Beachvolleyball-WM: Freude über Bronze gedämpft

Die Freude über Bronze bei ihrer ersten gemeinsamen WM war beim neuen deutschen Topduo verständlicherweise mehr als gedämpft. „Das sind ganz schön gemischte Gefühle, unsere Gedanken sind bei Joana und Anouk“, sagte Cinja Tillmann, die auf dem Feld gemeinsam mit ihrer Teampartnerin Sichtschutz gegeben hatte, während die Sanitäter Heidrich versorgten. „Das ist einfach nur schrecklich, du stehst daneben und bist so hilflos“, sagte Svenja Müller. Im Halbfinale waren die Deutschen am Sonnabend den Kanadierinnen Sophie Bukovec/Brandie Wilkerson mit 1:2 (15:21, 21:15, 12:15) unterlegen, die am Sonntagabend im Endspiel gegen Duda/Ana Patricia (Brasilien) mit 0:2 (17:21, 19:21) unterlagen.

Nachdem der Schock einigermaßen verarbeitet war, zog Kirk Pitman sein WM-Fazit. „Ich bin unheimlich stolz auf den Weg, den die beiden in den vergangenen Monaten gegangen sind“, sagte der Cheftrainer des Duos, dem ein nicht unerheblicher Anteil an der Leistungsexplosion zugeschrieben werden muss, die sich schon mit dem Gewinn des Elite-16-Turniers in Ostrava (Tschechien) Ende Mai angedeutet hatte. Die Siegermentalität, die der 40 Jahre alte Neuseeländer in Anlehnung an die Maori, die Ureinwohner seines Heimatlandes, seinen Teams einzutrichtern versucht, scheinen seine neuen Schützlinge schneller verinnerlicht zu haben, als er es erwartet hatte.

„Ich habe einige Erfahrung als Spieler und Trainer sammeln dürfen und bin deshalb nicht grundsätzlich überrascht darüber, wie stark Cinja und Svenja spielen können“, sagte er, „die Geschwindigkeit allerdings, mit der sie diese Schritte gegangen sind, überrascht mich schon etwas.“ Die Kombination aus einer erfahrenen und cleveren Abwehrspielerin wie Tillmann und einer talentierten, erfolgshungrigen Blockerin wie Müller halte er für „eine extrem gute Kombination. Ich glaube, dass ihre Art zu kommunizieren ihre größte Stärke ist“, sagte er.

Laura Ludwig: „Svenja ist ein Talent ohne Ende"

Auch Laura Ludwig ist überzeugt davon, in Müller/Tillmann das deutsche Duo der Zukunft gesehen zu haben. Die letzte deutsche Weltmeisterin, die 2017 in Wien an der Seite von Kira Walkenhorst (31) im Trikot des HSV den Titel geholt hatte und aktuell nach der Geburt ihres zweiten Sohnes in der Babypause ist, war angesichts der Hitze in Rom „glücklich, die WM als Fan am Fernseher verfolgen zu können, schön mit Popcorn“.

Ob sie bei der nächsten Auflage der Welttitelkämpfe 2023 voraussichtlich in Mexiko selbst wieder durch den Sand wirbelt – womöglich an der Seite der an den Hamburger Bundesstützpunkt gewechselten besten Hallenspielerin Louisa Lippmann (27) – ließ die 36-Jährige offen. Klar sei ihr aber, dass mit Svenja Müller und Cinja Tillmann dann ebenso wie 2024 bei den Olympischen Sommerspielen in Paris zu rechnen sein wird. „Svenja ist ein Talent ohne Ende, vor allem ist sie sehr ehrgeizig. Und was Cinja mit ihrer Erfahrung alles rausgeholt hat, war atemberaubend“, sagte sie. Überrascht sei sie von der Konstanz, die das Team in den vergangenen Wochen gezeigt hat. „Dass sie nach dem Triumph in Ostrava ihr Level so lange so hoch gehalten haben, hätte ich so nicht erwartet. Das Zusammenspiel der beiden scheint wirklich top zu sein.“

Neues Topteam soll Paris 2024 auf Leistungszenit ankommen

Niclas Hildebrand ist sehr gespannt darauf, wie das neue Topteam mit der gewachsenen Anspruchshaltung umzugehen versteht. „Nach oben zu kommen ist schwer, oben zu bleiben aber eine ganz andere Nummer. Der mentale Aspekt wird entscheidend, wenn es an die nächsten Schritte geht“, sagte er, „sie müssen nun nachweisen, dass sie in der Weltspitze bleiben und ihr Niveau noch steigern können.“ Das jedoch traut der Sportdirektor der Beachsparte im Deutschen Volleyball-Verband (DVV) dem Duo uneingeschränkt zu. „Sie haben noch einige Reserven, die sie gemeinsam mit ihrem Trainerteam nun mobilisieren werden, damit sie in Paris 2024 auf ihrem Leistungszenit ankommen“, sagte er.

Die Olympischen Spiele, die in ihrer Bedeutung alles überstrahlen, sind indes noch zwei Jahre entfernt – zum Glück, wie man mit Blick auf die anderen deutschen Teams konstatieren muss. Bei den Frauen gibt es mit dem Stuttgarter Duo Karla Borger (33)/Julia Sude (34), die im Achtelfinale ebenfalls mit 1:2 an Bukovec/Wilkerson gescheitert waren, immerhin ein weiteres Team in der erweiterten Weltspitze. Sandra Ittlinger (27)/Isabel Schneider (30) vom FC St. Pauli sowie Chantal Laboureur (32/Stuttgart)/Sarah Schulz (22/Düsseldorf) waren im Sechzehntelfinale ausgeschieden. „Aber mit der Maximalzahl von vier Teams gestartet zu sein und zwei unter die Top Ten gebracht zu haben ist ein gutes Ergebnis“, so Hildebrand.

Beachvolleyball: Männersparte bereitet Verband Sorgen

Deutlich mehr Sorgen bereitet dem Verband die Männersparte, wo mit Nils Ehlers (28) und Clemens Wickler (27) vom Eimsbütteler TV nur ein Team am Start war – und mit dem Aus in der ersten K.-o.-Runde enttäuschte. „Sie konnten spielerisch nicht abrufen, was sie drauf haben, waren zu verkrampft und sind an ihrer eigenen Erwartungshaltung gescheitert. Aber es ist gut, dass die WM so früh im Jahr stattgefunden hat. Nun wissen alle genau, wo sie stehen. Und es gibt einiges zu tun“, sagte er.

Das gilt, wie Cheftrainer Pitman ankündigte, auch für Svenja Müller und Cinja Tillmann, die allerdings in dieser Woche zunächst nur regenerativ arbeiten werden. Der nächste Wettkampf ist das Elite-16-Turnier in Gstaad (Schweiz/6. bis 10. Juli), die weiteren Saisonhöhepunkte warten mit dem Elite-16-Event am Hamburger Rothenbaum (10. bis 14. August) und der Heim-EM in München (15. bis 21. August). Trainer Pitman ist überzeugt: „Wenn sie mit der Einstellung der vergangenen Wochen weiterarbeiten, dann werden sie es genießen können, dass von jetzt an alle auf sie schauen.“