Hamburg. Der Schwede spricht vor den Porsche European Open über seine Ziele und warum seine Karriere auch als Ryder-Cup-Kapitän weitergeht.

Henrik Stenson sah so aus, wie jemand eben aussieht, der am Vortag einen stundenlangen Flug aus den USA (nach den PGA Championships in Oklahoma) hinter sich gebracht hat. Sagen wir: ein bisschen zeitzonenverkatert. Zu allem Überfluss war auch noch das Gepäck in Frankfurt hängenblieben. Während des Gesprächs über Zoom, das der Majorsieger von 2016 (British Open) aus seiner Heimat Schweden mit dem Abendblatt führte, war von Müdigkeit jedoch nichts zu spüren. Und wie ein „Iceman“, so sein Spitzname, weil er während seines Golfspiels meist keine Miene verzieht, verhielt sich der 46-Jährige schon mal gar nicht.

Von Donnerstag an schlägt Stenson auf dem Nordkurs des Golfclubs Green Eagle in Winsen bei den Porsche European Open ab. 2021, bei seiner Premiere, lief es nicht nach Plan für den internationalen Golfstar. Sein prominent besetzter Flight mit Martin Kaymer und Abraham Ancer verpasste die Qualifikation für die Schlussrunde am dritten Tag komplett.

Golf: Stensen freut sich auf Fans

„Wir sollten eigentlich eine der besseren Gruppen sein“, erinnert sich Stenson noch gut, „aber meine Leistung war enttäuschend. In diesem Jahr sind Martin und ich wieder dabei, um die Erwartungen zu erfüllen. Ich freue mich auf diese zweite Chance.“

Wie herausfordernd der Platz ist – mit 7057 Metern vom Champions-Tee der längste auf der DP World Tour (frühere European Tour) –, hat er ebenfalls nicht vergessen: „Vor allem einige der Par-fünf-Bahnen sind ziemliche Monster.“ Nach den Restriktionen im vergangenen Jahr, als wegen Corona nur 2000 Zuschauer täglich auf der Anlage zugelassen waren und das Turnier auf drei Wettkampftage reduziert werden musste, freut sich Stenson besonders auf die Unterstützung der Fans: „Wir haben sie vermisst. Es ist nicht das Gleiche, wenn du ein Turnier ohne Zuschauer spielst.“

Stensons wichtige Rolle als Ryder-Cup-Kapitän

Seit zehn Jahren lebt der in Göteborg geborene Stenson mit Ehefrau Emma und den drei Kindern Lisa (14), Karl (12) und Alice (7) in Orlando und spielt meistens auf der US-amerikanischen PGA-Tour. Traditionell kehrt Stenson aber, wenn es wärmer wird, stets zurück nach Europa. In diesem Jahr allerdings ist alles spezieller, nachdem Stenson im März zum Ryder-Cup-Kapitän ernannt wurde.

„Vielleicht trägt erst mein Sohn mein Golfbag, und dann trage ich einmal seine Tasche als Caddie.“ Der Schwede Henrik Stenson (46) über seinen zwölf Jahre alten Sohn Karl, ein sehr talentierter Golfspieler.
„Vielleicht trägt erst mein Sohn mein Golfbag, und dann trage ich einmal seine Tasche als Caddie.“ Der Schwede Henrik Stenson (46) über seinen zwölf Jahre alten Sohn Karl, ein sehr talentierter Golfspieler. © WITTERS | FrankPeters

Im September 2023 treffen die besten Golfer Europas und der USA in Rom beim bedeutendsten Golfmannschaftsturnier der Welt aufeinander – ein Mega-Event, das die Golffans alle zwei Jahre elektrisiert. Und Stenson spielt nun eine Hauptrolle. Als Kapitän kann er die Aufstellung und Strategie seines zwölfköpfigen Teams maßgeblich mitbestimmen. „Eine große Ehre, aber auch eine ebenso große Verantwortung“ sei die Nominierung durch das Gremium, dem auch die drei vorangegangenen europäischen Ryder-Cup-Kapitäne (Pádraig Harrington, Thomas Bjørn und Darren Clarke) angehörten.

Stenson als organisierter Kapitän

„Ich nehme dieses Amt nicht auf die leichte Schulter, bin eher der Typ Planer, organisiere die Dinge so früh wie möglich.“ Gesagt, getan. Vor seinem Start in Winsen fliegt Stenson an diesem Wochenende mit seinem Beraterteam nach Italien, um vor Ort einige Gespräche zu führen. „Als Spieler habe ich fünfmal am Ryder Cup teilgenommen. 2021 konnte ich Padraig Harrington beim letzten Duell in Whistling Straits (Wisconsin, USA, d. Red.) als Vizekapitän unterstützen. Wichtig in meiner Rolle wird es sein, die Spieler zusammenzuführen und dafür zu sorgen, dass wir als Mannschaft auftreten. Sonst wird es nicht funktionieren.“

Für Stenson sind die Porsche European Open deshalb auch die willkommene Gelegenheit, Kontakt zu einigen jüngeren Golfprofis aufzunehmen wie zu den dänischen Zwillingen Nicolai und Rasmus Højgaard (21), die bereits drei Siege auf der DP World Tour gefeiert haben.

Seine Bilanz: 21 Siege in 24 Jahren

Wer als Ryder-Cup-Kapitän nominiert wird, hatte in der Vergangenheit häufiger seine besten Tage als Profi hinter sich. Doch Stensons Motivation als Spieler ist ungebrochen: „Mit 46 Jahren bin ich ja noch ein jüngerer Kapitän. Ich habe zwar einige eher schlechte Jahre hinnehmen müssen (derzeit ist er auf den 234. Platz der Weltrangliste gerutscht, d. Red.). Dennoch spüre ich noch den Hunger in mir und weiß, dass ich wieder auf einem sehr hohen Level mitspielen kann.“ Natürlich sei er sich bewusst, dass die Rolle als Ryder-Cup-Kapitän zeitintensiv sei: „Ich möchte einen guten Job machen und werde alles daransetzen, den Pokal nach Europa zurückzuholen. Gleichwohl bin ich weiter ein professioneller Spieler mit großen Zielen. Ich werde versuchen, beides zu kombinieren.“

21 Turniersiege konnte Stenson während seiner 24 Jahre langen Golfkarriere feiern und sich 2016 in einen elitären Kreis der Majorsieger spielen, als er „The Open Championship“ im schottischen Royal Troon Golf Club gewinnen konnte. „Klar, mit den Open ist damals ein Kindheitstraum in Erfüllung gegangen, das bedeutete mir sehr viel.“ Als kleiner Junge faszinierten ihn die Golfübertragungen im Fernsehen, vor allem erinnert er sich an die British Open 1991 im Royal Birkdale GC in Southport (England), da war er 15.

„Wir spielen viele Turniere in einem Kalenderjahr, aber eben nur vier Majors. Hier einmal zu gewinnen, vor allem das Major, das mich als Europäer am meisten bewegt, das ist der Gradmesser für die Karriere“, erinnert er sich mit strahlenden Augen. 40 Jahre alt war er damals schon, deshalb habe sich sein Leben nach dem Triumph nicht so massiv verändert, wie es wohl im Alter von 22 passiert wäre.

Im Juli feiern die „Open“ in St. Andrews ihren 150. Geburtstag – und natürlich wird Stenson, der eigentlich Linkshänder ist, aber Golf als Rechtshänder spielt, an den Start gehen und danach streben, noch einmal ein Topresultat zu erzielen. Eine andere Vision gibt es aber darüber hinaus noch in seinem Leben. „Gemäß den Regeln darf ich, bis ich 60 bin, mitmachen. Vielleicht schaffe ich es ja noch, dass mein Sohn Karl in einigen Jahren meine Golftasche trägt. Und danach drehen wir den Spieß um, und ich bin Caddie für ihn.“

Wer den zwölf Jahre alten Karl im Dezember 2021 bei einem Vater-Sohn-Turnier in Orlando spielen sah, konnte erkennen, dass diese Hoffnung nicht unrealistisch erscheint, auch wenn Stensons Aussage im Interview eher scherzhaft gemeint war. „Karl liebt Golf, spielt Tag und Nacht. Das erinnert mich an meine Jugend.“