Hamburg. Bei den iQFoil-Europameisterschaften am Gardasee geht Erdil vom Norddeutschen Regatta Verein (NRV) als beste Deutsche an den Start.

Lena Erdil verbringt fast ihr komplettes Leben auf dem Wasser, ist zweifache Weltmeisterin, Topspeed-Rekordlerin – und bezeichnet sich doch als größtenteils ahnungslos darin, wie sie ihre Sportart auszuüben hat. „Ich bin noch extrem am Herumexperimentieren“, sagt die Windsurferin vom Norddeutschen Regatta Verein (NRV) vor dem Start der iQFoil-EM auf dem Gardasee in Italien an diesem Dienstag.

Von Nervosität ist im Gespräch mit der 33-Jährigen dennoch keine Spur. Zwar ist sie erst vor zwei Jahren in die 2024 in Paris erstmals olympische Klasse gewechselt, doch wer auf Erfahrungen von mehr als zwei Dekaden Wind, Wetter und Wellen zurückblickt, lässt sich nicht so schnell durchschütteln. Ob sie die beste Deutsche sei, die in Italien antrete? „Ja“, sagt Erdil und lächelt herzlich. Überhaupt: Die im türkischen Izmir geborene, zeitweise in Hamburg und derzeit postalisch in Kiel lebende, aber nie wirklich sesshaft gewordene Wassersportlerin strotzt nur so vor Selbstbewusstsein und Lebensfreude.

Windsurfen: 105 Teilnehmerinnen am Gardasee

„Ich finde mich nach eineinhalb Jahren im Foilen immer noch selbst und erlebe eine ganz steile Lernkurve. Das zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere noch mal zu erleben, macht mir viel Spaß“, sagt Erdil. Die Unterschiede zu ihrer vorherigen Disziplin, dem Slalom, könnten größer kaum sein. Anstatt maximal vier Minuten in eine Richtung Slalom zu surfen, dauert ein Foil-Rennen bis zu einer Viertelstunde, der Kurs muss in die eine wie in die andere Richtung absolviert werden. „Taktisch ist das eine gewaltige Herausforderung. Zwar lege ich vor jedem Rennen meinen Kurs fest, nachdem ich die Windverhältnisse analysiert habe, auf dem Wasser muss der Plan aber mitunter binnen Zehntelsekunden verworfen werden, je nachdem, wie sich die Verhältnisse ändern und meine Gegnerinnen reagieren.“

Das Interessante am Foilen sei ja, dass man auch bei wenig Wind schnell ins Fliegen komme, sagt Erdil. Auf dem Gardasee wird der Flugraum bei 105 Teilnehmerinnen allerdings eingeschränkt sein. Der so simple wie komplizierte Plan Erdils: einfach vorneweg surfen. Die Top zehn sollen es nach Platz 14 bei der Europameisterschaft 2020 und Rang 13 bei der Weltmeisterschaft im gleichen Jahr schon werden. Die Entscheidung darüber fällt erst am finalen Renntag, an dem in den Top zehn fast alle Punkte aus den vorherigen Rennen wieder auf null gesetzt werden. Wer als Erster über die Ziellinie fährt, hat gewonnen.

„Eigentlich ein unfairer Modus“, findet Erdil. „Er ist aber darauf ausgelegt, den Sport spannender und verständlicher zu machen, und davon profitieren wir letztlich hoffentlich alle.“ Dass Windsurfen kein Sport ist, um Reichtümer anzuhäufen, ist nicht neu. Das sei aber ohnehin nicht das Motiv. „Das Surfen gibt mir die Chance, 365 Tage im Jahr auf der ganzen Welt zu Hause zu sein, es hat mich enorm anpassungsfähig gemacht“, sagt die Olympiahoffnung. 2023 bei der Weltmeisterschaft in Den Haag besteht die erste Chance, Deutschland einen Startplatz für Paris zu sichern. Ihren eigenen müsse sie dann in den deutschen Ausscheidungen ersurfen. „Aber das sieht ganz gut aus“, so die Deutsch-Türkin.

Es gibt jedoch auch die seltenen Momente, in denen Lena Aylin Erdil nachdenklich wirkt. Nicht wegen eines schlechten Rennens, das hakt sie mit all ihrer Routine ab. „Extrem schockierend“, sei es stattdessen, wie viel Müll inzwischen in ihren Surfrevieren im Wasser treibe. „Ich sehe das jeden Tag aus erster Hand und muss meine Reichweite einfach nutzen, um etwas gegen die Umweltverschmutzung auszurichten.“ Daher foilte Erdil im März einmal um Lanzarote für das Versprechen des Unternehmens CleanHub, für jeden Kilometer 2,5 Kilogramm Plastikmüll aus dem Meer zu fischen. Denn, so viel steht fest, in puncto Klimawandel sei die Zeit der Experimente vorbei.