Hamburg. Der Hamburger Boxer führt sein Familienunternehmen aus der Corona-Krise. Ganz nebenbei arbeitet er an der Rückkehr in den Ring.

Um die eigene Partnerin dazu zu bringen, ihren begehbaren Kleiderschrank zu räumen, bedarf es gewichtiger Argumente – oder einer schweren Ehekrise. Letztere ist, wenn man das funktionierende Familienunternehmen Frank kennt, auszuschließen. Man muss also dieses Funkeln in Angelo Franks Augen sehen, während er in der eineinhalb Quadratmeter großen Abseite des Wohnwagens steht, den er mit Ehefrau Nathalie und den Kindern Louis (10), Jordan (7) und Kelly (2) bewohnt, um sein gewichtiges Argument zu verstehen. Es ist die Leidenschaft für das Boxen, seinen Sport, die den 33-Jährigen zu einem Wanderer zwischen zwei Welten macht.

Boxen: Corona-Krise traf Familenunternehmen Frank hart

Pokale, Medaillen, Fotos und Zeitungsausschnitte aus 19 Jahren Boxen hat der Superweltergewichtler (Klasse bis 69,3 kg) in seiner „Schatzkammer“ fein säuberlich ausgestellt. „Das Boxen bleibt meine Herzensangelegenheit. Ich habe schon jetzt Angst davor, wenn ich zu alt für den Sport bin“, sagt er, während er liebevoll über eine vom Kulttrainer signierte Ulli-Wegner-Biografie streicht. Und weil seine Frau um seine Leidenschaft weiß, unterstützt sie ihn vorbehaltlos in seinem Vorhaben, im Herbst dieses Jahres nach dann drei Jahren Abstinenz sein Comeback im Ring zu geben – und räumt seinen Devotionalien sogar Vorrang vor ihrer Garderobe ein.

2022 soll das Jahr der Rückkehr werden für den Mann, der seit seiner Kindheit zwei Leben in eins presst. Sein Hauptberuf, das ist der Zirkus Europa, mit dem er seit seiner Geburt in Hamburg 1989 durch Deutschland tourt und aktuell noch bis zu diesem Sonntag in Hamburg auf der Moorweide am Dammtor-Bahnhof gastiert. „Es ist unser Leben, wir kennen nichts anderes“, sagt er. Doch während der Corona-Krise geriet dieses Leben komplett aus den Fugen.

Zweieinhalb Jahre konnte der Zirkus sein Zelt nicht öffnen. „Aus der Winterpause 2019, in die wir damals im Oktober gestartet waren, sind wir jetzt erst wieder zurückgekommen“, sagt er. Vor der Premiere auf der Moorweide am 1. April sei er aufgeregter gewesen als vor jedem Kampf. „Es war, als müsste man von null starten. Zum Glück hat bislang alles gut geklappt, der Zuspruch ist super, wir waren schon mehrmals ausverkauft. Aber das brauchen wir auch“, sagt er.

Um den Zirkus zu retten, mussten sie Schulden machen

Zwischenzeitlich habe das Familienunternehmen, zu dem inklusive Angelos Eltern, seinem Bruder Sandro (30) und seiner Schwester Célina (22) sowie deren Anhang 15 Personen zählen, um den Fortbestand bangen müssen. „Wir mussten Schulden machen, um zu überleben“, sagt er. Noch härter sei die mentale Belastung gewesen, zur Untätigkeit verdammt zu sein. „Wir haben viel am Material und mit unseren Tieren gearbeitet. Aber wenn du nicht weißt, wie lang die Unsicherheit anhält und wie du das alles finanzieren sollst, ist das extrem hart“, sagt Angelo Frank, dem überdies das Ventil Profiboxen fehlte, weil auch dort der Betrieb zeitweise zum Erliegen kam.

Dazu kam der Mordversuch im vergangenen Jahr, der ihm zusetzte. Umso mehr blüht er nun auf, zumal er im Zirkus eine neue Verantwortung trägt. Viele Jahre tollte er als Tierdompteur durch die Manege, jetzt ist er als Juniordirektor hinter den Kulissen für den Gesamtablauf zuständig, er plant das Programm, verantwortet die Medienarbeit. „Mein Vater ist weiter der Chef, aber es macht mir Spaß, mehr Verantwortung zu übernehmen. Und auch wenn es manchmal noch kribbelt, finde ich es schön, aus dem Hintergrund zu beobachten, wie sehr sich alle freuen, wieder auftreten zu können.“

Insgesamt 20 Artisten aus sieben Ländern hat Angelo Frank verpflichten können, sie alle leben in Wohnwagen auf der Moorweide und werden in die Familie integriert. „Wir haben auch ein ukrainisches Paar, das vor dem Krieg geflüchtet ist. Das hautnah mitzuerleben ist sehr bedrückend, aber auch intensiv“, sagt seine Ehefrau, die als Moderatorin durchs Programm führt. Um die Ukrainer, die einen schnellen Kleiderwechsel, vorführen, in die gut zweistündige Show zu integrieren, verzichtete Sandro junior auf seine Handstandnummer. „Es ist unser Erfolgsgeheimnis, dass wir eine Gemeinschaft sind, in der alle füreinander da sind“, sagt Angelo Frank.

Im Spätherbst will Frank in den Ring zurückkehren

Er selbst ist froh, bei keinem Boxpromoter unter Vertrag zu stehen und deshalb Kämpfe absolvieren zu müssen, für die er aktuell nicht bereit wäre. Nach dem Gastspiel auf der Moorweide geht es vom 6. bis 22. Mai nach Hamburg-Bergstedt, die weiteren Stationen über den Sommer stehen noch nicht fest. Sein zum Gym umgebauter Zirkuswagen, in dem er während der Hochphase seiner Profikarriere trainierte, steht im Winterquartier in Bergen. Er selbst hält sich mit Läufen um die Alster oder Einheiten bei seinem Kumpel Jens Appel im Krafthaus Schenefeld fit. „Konditionell bin ich nicht in Wettkampfform, aber das muss ich ja auch noch nicht“, sagt er.

Einen Aufbaukampf über acht Runden – bislang stehen 15 Siege und zwei Niederlagen in seiner Bilanz – plant er im Spätherbst. Im Frühjahr 2023 will er noch einmal um einen Titel kämpfen, wie im März 2018, als er seinem Kumpel Sebastian Formella im Duell um die WBO-EM durch technischen K. o. unterlag. Einen Platz für den Trophäengürtel würde er in seiner Schatzkammer finden. Ebenso wie für das Foto seines Abschiedskampfes, der im Zirkuszelt stattfinden soll. „Wann das sein wird, weiß ich noch nicht“, sagt er. Angelo Frank will noch ein wenig das Privileg seines Doppellebens genießen