Hamburg. Der Damen-Teamchef spricht über harte Arbeit im Tennis, seinen Blick auf die junge Generation und das Duell mit Kasachstan zu Ostern.

Die Ausgangslage ist klar. Der Sieger der Qualifikationspartie, in der sich die Tennisdamen Kasachstans und Deutschlands am Karfreitag (9 Uhr MEZ) und Ostersonnabend (10 Uhr MEZ) in der kasachischen Hauptstadt Nur-Sultan gegenüberstehen (Livestream auf Tennischannel.app), erreicht die Finalwoche vom 8. bis 13. November.

Der Verlierer kämpft in der Relegation am 11./12. November gegen den Abstieg aus der Weltgruppe des Billie Jean King Cups (ehemals Fedcup). Rainer Schüttler (45), seit 2020 Teamchef der deutschen Damen, freut sich auf die Herausforderung. „Solche Spiele sind der Grund dafür, warum wir diesen Sport machen“, sagt der Korbacher, der 2004 bis auf Rang fünf der Weltrangliste vorstieß, im Gespräch mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Herr Schüttler, Tennisprofis sind Einzelsport gewohnt. Was können Sie Ihrem Team vor dem anstehenden Entscheidungsspiel aus eigener Erfahrung aus dem Daviscup mit auf den Weg geben, um als Team zusammenzuwachsen?

Rainer Schüttler: Tatsächlich ist es das Wichtigste, innerhalb der wenigen Tage, die wir haben, zu einer Einheit zu werden. Nur wer bereit ist, für die anderen das Herz auf dem Platz zu lassen, wird den maximalen Erfolg haben. Dieses Gefühl kann den zusätzlichen Push geben, und daran versuchen wir zu arbeiten.

Wie tun Sie das? Was kann man in Nur-Sultan machen, um das Teambuilding voranzutreiben?

Schüttler: Das ist nicht vom Ort abhängig. Wir tun unterschiedliche Dinge. In Prag bei den Finals 2021 haben wir gemeinsam Karaoke gesungen, in Brasilien haben wir intensiv Gesellschaftsspiele gespielt. Wichtig ist, dass man die Zeit gemeinsam verbringt, dass keine sich aufs Zimmer zurückzieht. Aus Gemeinsamkeit entsteht eine Einheit, und diese Stimmung haben wir hier.

Bevor Sie die deutschen Damen übernahmen, waren Sie ein gutes Jahr Cheftrainer von Angelique Kerber, davor haben Sie Männer trainiert. Worin liegt in Ihrer Wahrnehmung der größte Unterschied im Umgang miteinander?

Schüttler: Bei den Herren kannte ich die Ansprache aus meiner aktiven Zeit. Da ist es so, dass du drei Gedanken im Kopf hast und klar heraussagst, was du denkst. Damen haben eine komplexere Denkweise. Das musste ich erst lernen, das war sehr interessant. Umso glücklicher war ich, dass Angie es trotz unserer Trennung gut fand, dass ich den Job übernehme. Dann kann nicht alles falsch gewesen sein.

Angelique Kerber ist als Topspielerin dabei, Andrea Petkovic musste kurzfristig verletzt absagen. Ist das der Anfang vom Ende der goldenen Generation, zu der auch die 2020 zurückgetretene Julia Görges zählte?

Schüttler: Ich würde das noch nicht endgültig so sagen. Für Petko hätte es angesichts ihrer Verletzung keinen Sinn ergeben, hier anzutreten, auch wenn es schön wäre, sie dabei zu haben. Aber wenn sie wieder fit ist, kann sie uns mit ihrer Erfahrung sicher noch helfen. Ich hatte auch über Tatjana Maria nachgedacht, die am vergangenen Sonntag das Sandplatzturnier in Bogotá gewonnen hat. Wir haben also noch einige über 30-Jährige, auf die wir weiterhin setzen werden.

Obwohl Deutschland mit Kerber, Petkovic und Görges stets zu den Titelkandidaten gezählt wurde, hat es nur zu einer Finalteilnahme 2014 gereicht. Warum war nicht mehr drin?

Schüttler: Ich war damals nicht nah am Team, deshalb ist das für mich sehr schwierig zu beurteilen. Fakt ist, das weiß ich aus meiner aktiven Karriere, dass für einen Titel wirklich alles zusammenpassen muss. Und das hat es eben nicht. Trotzdem haben die Mädels über viele Jahre Topleistungen gezeigt.

Der letzte Triumph im Fedcup ist 30 Jahre her, damals gewannen Steffi Graf und Anke Huber die Einzel. Wann wird Deutschland wieder ein Siegerteam stellen können?

Schüttler: Puh, das ist schwierig zu sagen. Es kann sehr lang dauern, aber auch schon in ein paar Jahren so weit sein. Barbara Rittner als Chefbundestrainerin, ich und das gesamte Trainerteam, wir geben unsere Erfahrungen und unser Wissen gern weiter. Aber alle müssen konsequent gute Arbeit leisten, um den maximalen Erfolg zu erreichen. Talent haben viele, aber in der Weltspitze kommt es darauf an, wer bereit ist, die Extrameile zu gehen.

Als Spieler hatten Sie den Ruf, ein Arbeitstier zu sein, einer, der im Vergleich zu anderen Weltklasseleuten fehlendes Talent mit Mentalität wettgemacht hat. Wie bringen Sie diese Einstellung Ihrem Team nahe?

Schüttler: Ich versuche jeden Tag, meine Mentalität weiterzugeben. Ich habe mir immer Ziele gesetzt, die erreichbar waren, denn mit positiven Erlebnissen kann man die Spirale immer weiter nach oben schrauben. Wir achten sehr darauf, mit hoher Intensität zu trainieren, denn es ist wichtig, sich über die körperlichen Grenzen hinaus zu pushen. Aber ich bin nur einige Wochen im Jahr mit dem Team zusammen, deshalb kommt es sehr auf gute Betreuung durch die Heimtrainer und auf die Eigeninitiative der Spielerinnen an.

Barbara Rittner hat schon mehrfach bemängelt, dass dieser Antrieb, sich zu quälen wie die Generation Kerber/Petkovic, den Jüngeren fehlt. Sehen Sie das auch so, und wie treibt man ihnen das aus?

Schüttler: Ich glaube, dass ich mit 18 auch noch nicht bereit war, so hart zu arbeiten, wie ich es in der Hochphase meiner Karriere getan habe. Mein Gefühl ist, dass bei den Damen in den vergangenen Jahren vieles deutlich professioneller geworden und die Breite an der Spitze sehr gewachsen ist. Man muss den Spielerinnen Zeit geben. Wer mit 20 noch nicht in den Top 50 steht, kann das mit 25 noch schaffen.

Nicht zu leugnen ist die Lücke, die hinter Kerber und Petkovic klafft. Mit Kerber und Laura Siegemund bestreiten trotz der Absage Petkovics und der Nichtnominierung Marias zwei Ü-30-Spielerinnen wohl die Einzel. Wie schließen Sie diese Lücke?

Schüttler: Indem wir geduldig sind und hart arbeiten. Mit Anna-Lena Friedsam habe ich eine Spielerin im Aufgebot, die mit 28 noch einige Jahre auf hohem Niveau spielen kann. Jule Niemeier als vierte Spielerin im Kader zählt mit ihren 22 Jahren zur neuen Generation, von der wir einiges erwarten. Ich denke, dass Deutschland immer wieder Spitzenspielerinnen hervorbringen wird. Aber es gibt keine Abkürzung zum Erfolg, man muss dafür hart arbeiten.

Wem aus dem Nachwuchs trauen Sie das am ehesten zu? Auch Hamburg hat mit Noma Noha Akugue und Eva Lys zwei Toptalente. Wie stehen deren Chancen?

Schüttler: Ich glaube, dass Nastasja Schunk eine sehr gute Rolle spielen wird, sie hat mit ihrem Einzug ins Juniorinnenfinale von Wimbledon im vergangenen Jahr ihr Potenzial nachgewiesen. Julia Middendorf, die auch erst 19 ist, traue ich viel zu. Und auch Hamburger Einfluss werden wir wieder im Team haben. Eva habe ich kürzlich bei einem Lehrgang kennengelernt, sie spielt super, mit viel Druck, und entwickelt sich Schritt für Schritt. Noma hat einen unglaublich schnellen Arm und extrem viel Talent, kann aber körperlich noch nicht ganz mithalten und war deshalb öfter verletzt. Mit Fleiß und Disziplin kann auch sie weit kommen.

Zumindest in die Finalrunde kommen wollen Sie am Wochenende. Kasachstan hat entschieden, auf Sand zu spielen, weil deren Topspielerinnen Elena Rybakina und Julia Putintsewa sich dort besonders wohlfühlen. Ist Kasachstan deshalb Favorit?

Schüttler: Wir waren überrascht, dass auf Sand gespielt wird, für mein Team sind es die ersten Spiele auf Sand in diesem Jahr. Aber wir konnten super trainieren und fühlen uns mittlerweile sehr wohl. Ich glaube, die Partie ist von der Aufstellung her extrem ausgeglichen. Ich rechne mit sehr engen Matches, aber wenn wir alles tun, um in Bestform auf den Platz zu gehen, bin ich vom Sieg überzeugt.