Hamburg. Oder doch? Ab heute verteilt die Fifa weltweit Kartenkontingente. Drei Hamburger sind sich uneins, ob sie hinfahren sollen.

You’ve got mail! Oder auf Deutsch: Sie haben Post! Dieser akustische Satz, der das Ankommen einer E-Mail signalisiert, dürfte heute bei Fußball-Fans weltweit für erhöhten Puls sorgen. Die Fifa will auf dem 17 Millionen Ticketbesteller informieren, ob sie zu den Glücklichen gehören, die sich in der ersten Verkaufsperiode erfolgreich für eine Karte für die Winter-WM in Katar beworben haben.

Jan Walter Möller (49), Florian Jordan (34) und Björn Dohmeyer (45) werden nicht vor dem Rechner auf eine Nachricht warten. Wobei das unterschiedliche Gründe hat. Zum einen ist Jordan seit mehr als 15 Jahren Regionalbetreuer der norddeutschen Fans der Nationalmannschaft und auf die offizielle Verkaufsperiode der Fifa nicht angewiesen. Zum anderen fiebern die drei Dauer-WM-Fahrer dem Turnier in Katar ganz und gar nicht entgegen. Oder doch?

Winter-WM: Nach Katar fahren oder nicht?

Montagabend in der Kiezkneipe Sportpub Tankstelle. Jordan, Walter und Dohmeyer sitzen am Tresen, bestellen ein Bier, philosophieren über das vergangene HSV-Wochenende – und wollen in aller Freundschaft vor allem eines: sich streiten. Über Fußball, Politik und über das Wüstenemirat Katar, wo noch keiner von ihnen war. „Da kann man doch auch nicht hinfahren!“, sagt Björn Dohmeyer, der seit 1998 bei fast allen Weltmeisterschaften dabei war. „Natürlich kann ich das. Und ich mache das auch.“ Sagt Jan Walter Möller, der sogar seit 1990 bei allen WM-Turnieren live vor Ort dabei war. Und irgendwo dazwischen (räumlich und in Sachen Meinung) sitzt Florian Jordan. „Ich bin innerlich zerrissen“, sagt der Meiendorfer.

So wie diesen drei Fans geht es Anhängern auf der ganzen Welt. Oder zumindest in Europa. „Ich glaube nicht, dass sich die Fans in Süd- und Mittelamerika die gleichen Gedanken wie wir machen“, sagt Jordan – und erinnert an den Confed Cup 2017 in Russland. Auch da war er vor Ort. „Da waren wir gerade mal 200 Deutsche. Und plötzlich kamen in Kasan 20 Sonderzüge mit Anhängern aus Chile.“ Die hätten dann nicht über die geopolitische Weltlage philosophiert. „Aber vor der Katar-WM sind die Vorbehalte gegen diese WM vor allem in England und in Deutschland enorm.“

Katar ist für Möller das achte WM-Turnier vor Ort

Der Logistikleiter muss es wissen. Genau wie Möller und Dohmeyer gehört er zu den rund 30 DFB-Freunden Hamburg, die der Nationalmannschaft quasi überall auf der Welt hinterherreisen. Und die auch überall auf der Welt Kontakte zu anderen Fans haben. In ganz Deutschland sind sie sogar rund 200 Anhänger, die am Wochenende den HSV, Hansa Rostock, den VfB Lübeck oder Eintracht Frankfurt anfeuern. Die aber alle vier Jahre im Sommer gemeinsam reisen, um irgendwo auf der Welt ein großes WM-Fußballfest zu feiern.

„In Katar kann und will ich nicht feiern“, sagt Dohmeyer. Der Niendorfer bekommt glänzende Augen, wenn er vom Sommer 2014 spricht, von Brasilien, der Gastfreundschaft, den Festen. „Und in Katar weiß ich nicht einmal, ob ich für acht Euro ein kleines Bier in irgendeiner Hotellobby trinken kann“, sagt er. Und trinkt. Ein großes Bier. In seiner Lieblingskneipe. „Alles, was Fußball für mich als Fan ausmacht, wird in Katar nicht gelebt.“ Das ist das eine. Doch noch wichtiger ist ihm das andere. „Ich will gar nicht wissen, wie viele Gastarbeiter auf den Baustellen in Katar umgekommen sind.“

„Wir müssen das Miteinander stärken“

Es ist das große Argument gegen diese WM. Die Gastarbeiter. Nach einer Recherche des „Guardian“ im vergangenen Jahr sollen 6500 Bauarbeiter auf WM-relevanten Baustellen gestorben sein. „Wie kann man bei solchen Berichten noch WM-Vorfreude haben?“, fragt Jordan.

Möller kann. Natürlich sieht auch er den Gastgeber und die Rahmenbedingungen sehr kritisch und kennt all die Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Doch der Globetrotter, der fast überall auf der Welt schon Fußballspiele gesehen hat, will sich selbst ein Bild machen – und das am besten so umfassend wie möglich. Natürlich will der HSV-Fan in Katar auch Fußballspiele sehen, aber eigentlich will er Land und Leute kennenlernen, will auch nach Kuwait, in den Oman und sogar nach Saudi-Arabien reisen. „Gerade in diesen Tagen zeigt uns doch die Welt, dass wir das Miteinander stärken müssen“, sagt Möller, für den die Katar-WM die achte Weltmeisterschaft als Fan vor Ort sein wird.

„Waren vor gerade einmal vier Jahren in Russland“

Der kaufmännische Angestellte war auch 2012 bei der Euro in der Ukraine. Er war in Lemberg in der West-Ukraine und in Dnipro in der Ost-Ukraine. „Was da alles gerade passiert, ist so irre“, sagt Möller. „Einfach unvorstellbar.“

Bei allen freundschaftlichen Streitereien sind sich die drei Fußballkumpels in diesem Punkt einig. Genauso bei der Frage, ob auch der Fußball in Zeiten des Krieges klare Kante zeigen muss. „Man kann Fußball und Politik nicht voneinander trennen“, sagt Dohmeyer. Jordan unterbricht: „Man kann sich gar nicht vorstellen, dass wir vor gerade einmal vier Jahren in Russland waren.“ Dabei habe auch die WM unter keinem guten Stern gestanden. „Trotz der Annexion der Krim war doch klar, dass die Fifa Russland nicht die WM wegnimmt“, sagt Möller, der aber auch damals – trotz allem – hingefahren ist. Und Katar-Gegner Dohmeyer bereut es nicht einmal. „Ich habe damals ein ganz anderes Russlandbild erhalten“, sagt er. „Und jetzt das!“

Fifa: 2,7 Millionen Tickets für Partien in acht Stadien

Vergangenheit. Leider. Nun sind die Themen Krieg. Und eben auch Katar. Unabhängig davon, ob sie nun zur Wüsten-WM reisen oder nicht, hoffen alle drei auf klare Worte vom DFB. Nur glauben können sie das nicht. „Oliver Bierhoff steht in meinen Augen für nichts. Ich finde seine Aussagen unerträglich. Aalglatt“, sagt Möller. „Die leben in ihrer eigenen Blase“, sagt Dohmeyer, der auch nicht glauben mag, dass sich die Spieler große Gedanken über den Austragungsort machen: „Den meisten ist doch egal, ob sie in Katar oder Timbuktu spielen.“

Ähnliches könnte man aber auch über die Fans sagen. Das Interesse an Tickets ist trotz schlechter Umfragewerte groß. Einerseits haben bei einer Umfrage von FanQ, der Voting-Plattform für Fußballfans, mehr als 60 Prozent der deutschen Anhänger angegeben, dass sie die WM-Spiele im November und Dezember nicht einmal im Fernsehen verfolgen wollen. Andererseits sprechen die weltweiten Ticketbestellungen eine andere Sprache. Die größte Nachfrage soll von Fans aus Katar, Argentinien, England, Mexiko, den USA, Spanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Indien, Brasilien und eben auch aus Deutschland kommen. Bei der Fifa geht man davon aus, dass man alle knapp 2,7 Millionen Tickets für die Partien in den acht Stadien verkaufen wird. Dabei sollen die Karten in vier Kategorien angeboten werden. Die günstigste Karte soll 60 Euro pro Gruppenspiel kosten, das teuerste Ticket dürfte 1400 Euro kosten.

WM in Katar: Ergebnisse des Streitgesprächs

Jan Walter Möller kalkuliert mit rund 2000 Euro für seinen geplanten Katartrip. Björn Dohmeyer wird das Geld sparen. Bleibt noch Florian Jordan, der auch nach 90 Minuten plus Nachspielzeit in der Kiezkneipe mit sich und seinem Katar-Gewissen hadert. „Ich werde mich kurzfristig entscheiden“, sagt der passionierte Groundhopper, der bereits in 61 Ländern Fußballspiele gesehen und nun eigentlich eine Reise mit seiner Frau im November auf die Malediven geplant hat. Aber die Rückflugoption über Katar, gibt er zu, habe er dann doch schon einmal bei Google eingegeben.