Hamburg. Vor dem Viertelfinale um die Hallenmeisterschaft gehen Hamburger Spieler der Frage nach, warum weniger Strafeckentore fallen.

Stadtderbys in der Hallenhockey-Bundesliga bieten für gewöhnlich umfangreichen Gesprächsstoff für Reporter und Trainer. Doch egal, wie spannend die Partien in dieser Spielzeit waren und welche Geschichten sie schrieben, ein Thema stand – die unselige Pandemie einmal ausgeklammert – fast immer auf der Agenda: das Verwerten der Strafecken. Oder besser: das mangelhafte Ausnutzen dieser Standardsituationen, bei denen ein Schütze oder eine Schützin die rund 160 Gramm schwere Kunststoffkugel aus neun Metern Torentfernung im 3,66 mal 2,14 Meter großen Gehäuse des Gegners unterzubringen versucht.

Strafecken waren über viele Jahre die vorrangige Art, Tore zu erzielen. Eine Quote zwischen 60 und 70 Prozent gelungener Versuche gilt als guter Wert. Doch in dieser Saison verfestigt sich ein Eindruck, der sich vor dem Corona-Ausbruch bereits angedeutet hatte: Dass es für die Ausführenden immer schwieriger wird, den Ball an der Verteidigungslinie – meist bestehend aus Torwart, zwei Rausläufern, zwei Spielern an den Pfosten und einem für Abpraller im Schusskreis – vorbeizuschlenzen (Schlagen ist in der Halle nicht erlaubt). Eckenquoten zwischen 30 und 40 Prozent sind Normalität geworden. Warum das so ist, das versuchte das Abendblatt vor dem Viertelfinale an diesem Wochenende mit Vertretern aller vier qualifizierten Hamburger Teams zu ergründen.

Hallenhockey: „Die Torleute sind deutlich schneller"

Einig sind sich alle, dass ein Großteil des Wandels der gewachsenen Athletik des Sports zuzuschreiben ist. „Die Torleute sind deutlich schneller und beweglicher geworden, und die Rausläufer gehen mit viel mehr Tempo und Risiko in die erste Welle“, sagt Dieter Linnekogel (29) , der mit dem Club an der Alster am Sonnabend (15.30 Uhr, Hallerstraße) den Mannheimer HC empfängt. Die Schutzkleidung sei derart weiterentwickelt worden, „dass die Hemmschwelle, sich in jeden Ball zu werfen, gesunken ist“, sagt der Ex-Nationalspieler, mit Niklas Bruns und Carl Alt wichtigster Eckenschütze.

Dazu komme, dass die Videoanalyse so fortgeschritten sei, dass alle Varianten ausanalysiert und Überraschungsmomente minimiert sind. Franzisca Hauke (32) vom Harvestehuder THC, die ihre internationale Karriere nach den Sommerspielen 2021 in Tokio beendet hatte und mit ihrem Team am Sonntag (14.30 Uhr) beim Mannheimer HC antritt, ist nur in der Halle als Eckenschützin gefragt.

„Im Feld ist die Variante klar besprochen"

Unterm Dach sind bei nur fünf Feldspielern im Gegensatz zu elf in der Feldvariante mehrere Schützen nötig, um in jeder Besetzung gut aufgestellt zu sein. Hauke sagt: „Im Feld ist die Variante klar besprochen und wird so durchgezogen. In der Halle ist es jedes Mal eine spontane Entscheidung, weil man wegen der geringeren Distanz auf Torfrau und Rausläuferinnen reagieren muss. Das birgt Fehlerpotenzial, denn dieses Entscheidungsverhalten lässt sich kaum trainieren. Je schneller die Abwehr, desto schwieriger wird es, die Ecke zu treffen. Auch ist die Qualität der Herausgabe ein wichtiger Faktor, und die hat meiner Meinung nach abgenommen.“

Die Fehleranfälligkeit im Ablauf einer Ecke – von der Herausgabe über das Stoppen oder Ablegen bis zum Schuss – hat auch Viktoria Huse (26) als wichtigen Faktor ausgemacht. Die Nationalspielerin, die mit Alster am Sonnabend (13 Uhr) den TSV Mannheim empfängt, sagt: „Wenn nur ein Element nicht funktioniert, ist der gesamte Ablauf gestört, und je weniger Zeit man hat, weil die Abwehr schneller vor einem steht, desto mehr leidet die Präzision.“ Kein Wunder also, dass Ecken in jeder Woche gesondert auf dem Trainingsplan stehen.

Ecken werden oft nicht mehr vorgestoppt

Der Österreicher Michael Körper, einer der besten Eckenschützen der Liga, hat noch zwei andere Gründe für die Misere ausgemacht. „Zum einen muss man bedenken, dass wir wegen Corona fast zwei Jahre nicht in der Halle gespielt haben. Man merkt, dass die Abläufe noch nicht so gefestigt sind, und wenn es auf Zehntelsekunden ankommt, kann das entscheidend sein. Zum anderen war bei vielen Ecken, die ich verschossen habe, eigenes Unvermögen der Grund. Wenn wir diese Fehler minimieren, wird die Quote auch wieder bei 70 Prozent sein“, sagt der HTHC-Torjäger, der nicht nur selbst Ecken schießt, sondern auch in der Abwehr als wichtigster Rausläufer gebraucht wird und mit seinem Team am Sonntag (12 Uhr) beim TSV Mannheim den Sprung ins Final Four am 29./30. Januar in Düsseldorf versucht.

Welche Veränderungen die ausführende Mannschaft vornehmen könnte, um die fünf Abwehrspieler plus Torhüter wieder effektiver zu überwinden, darüber wird viel nachgedacht im Hamburger Spitzenhockey. Dass Ecken oft nicht mehr vorgestoppt, sondern vom Schützen in einem Zug angenommen und aufs Tor gebracht werden, um Zeit zu sparen, findet längst Anwendung.

Hallenhockey: Feldtore bekommen höhere Bedeutung

„Man versucht auch, durch bewusstes Verzögern im Rahmen des Erlaubten einen Frühstart der Abwehr zu provozieren und sie dadurch zu dezimieren“, sagt Viktoria Huse. Zwei Stopper aufzustellen, um die Abwehr zu verwirren, könne ebenfalls eine Lösung sein, sagt Dieter Linnekogel. Alle eint die Ablehnung eines Eingriffs der Regelhüter, etwa um die Zahl der Rausläufer zu limitieren.

„Wir sollten schon selbst Lösungen finden“, sagt Linnekogel. Und man sollte, finden Franzisca Hauke und Viktoria Huse, der gesunkenen Bedeutung von Eckentoren auch Positives abgewinnen. „So bekommen die Feldtore eine höhere Bedeutung, das wird dem Spiel als Ganzes wieder mehr gerecht.“ So kann man es auch sehen.

Die Zehlendorfer Wespen haben ihr Damen-Team wegen mehrerer Corona-Fälle zurückgezogen, treten im Viertelfinale gegen den Düsseldorfer HC nicht an, der damit das Final Four in eigener Halle kampflos erreicht.