Hamburg. Sportlotsin Linda Bull arbeitet eng mit Special Olympics und dem HSB zusammen. Am Mittwoch gibt es ein digitales Sportfest.

Manches Mal, wenn sie an die Anfänge vor ungefähr drei Jahren denkt, vergisst Linda Bull all die Herausforderungen, die vor ihren Mitstreitenden und ihr liegen. Stattdessen macht sich die 30-Jährige bewusst, was sie gemeinsam bewegt haben in dieser Zeit. „Wir haben mittlerweile ein großes Netzwerk, mit dem wir sehr viel auf die Beine stellen können“, sagt die im Kreis Pinneberg aufgewachsene Hamburgerin.

Linda Bull ist Hamburgs erste Sportlotsin, angestellt bei der Evangelischen Stiftung Alsterdorf im Bereich Sport und Inklusion und in ihrer Position dafür zuständig, Menschen mit Behinderung, von denen es in Hamburg rund 130.000 gibt, Wege zu sportlicher Betätigung zu weisen.

Dabei geht es nicht nur um niedrigschwellige Bewegung im Alltag, sondern auch darum, Sport nicht nur in den Behinderteneinrichtungen durchzuführen, sondern Interessierte in Vereine in ihrer Nähe zu bringen. Die ersten Schritte war sie 2019 gegangen, drei Jahre später sind mit dem Hamburger Sportbund (HSB) und dem Special Olympics Deutschland in Hamburg e. V. (SOH), der wichtigsten Sportorganisation für Menschen mit geistiger Behinderung, zwei schwergewichtige Institutionen in das Netzwerk eingeschert.

Netzwerk für Inklusionssport entstand mitten in Pandemie

Ein- bis zweimal pro Quartal treffen sich Linda Bull, der beim HSB für das Thema Inklusion zuständige Andreas Karras sowie Ilka Meis, Annika Künzel und Lina Peters, die bei SOH verschiedene Projekte leiten, um die drängendsten Themen zu besprechen.

Entstanden ist dieser Fünferrat mitten in der Corona-Pandemie, die insbesondere für Menschen mit geistiger Behinderung eine immense Herausforderung darstellt. „Diese Menschen brauchen in besonderem Maß feste Strukturen, an denen sie ihr Leben ausrichten können. Die beiden Lockdowns haben viele aus diesen Strukturen herausgerissen“, sagt Ilka Meis, die das Projekt „SEI AKTIV“ leitet. Umgekehrt kann auch die Zurücknahme von Kontaktbeschränkungen für zusätzliche Probleme sorgen, wenn eine gerade erlernte Strategie – Maske tragen, Abstand halten – nicht mehr gelten soll.

Inklusives Sportfest in digitaler Form am Mittwoch

Wie hart insbesondere Menschen mit Behinderung, für die mangelnde Bewegung oft noch gravierendere Folgen für die Gesundheit haben kann als für Menschen ohne Behinderung, von Sportverbot betroffen sind, sehen die fünf Netzwerker jeden Tag. „Viele haben an Gewicht zugenommen und leiden sehr darunter, dass die menschlichen Kontakte fehlen“, sagt Linda Bull. Um wenigstens etwas gegenzusteuern, werden viele Angebote digital unterbreitet, was anfangs zwar für Überforderung sorgte, mittlerweile aber gut angenommen wird.

Im April 2021 gab es das erste inklusive Sportfest in digitaler Form, an diesem Mittwoch von 16 bis 18.45 Uhr folgt die zweite Auflage, für die sich alle Interessierten – explizit auch Menschen ohne Behinderung, die das Thema Inklusion unterstützen wollen – kostenfrei im Internet unter sport-alsterdorf.de anmelden können. „Bei der Premiere hatten wir rund 300 Teilnehmende, diese Zahl würden wir am Mittwoch gern wieder erreichen“, sagt Ilka Meis.

"Nur ein Bruchteil der Vereine im HSB arbeitet inklusiv"

Die Hoffnung, spätestens vom Sommer an wieder vollumfänglich auf analoge menschliche Kontakte bauen zu können, eint das Quintett. Schließlich will das Netzwerk eine Herausforderung angehen, die alle Partner als vordringlich betrachten. „Wir wünschen uns sehr, dass es mehr Personal dafür geben kann, um Menschen mit Behinderung zum Sport zu begleiten“, sagt Annika Künzel. Den Weg zum Verein und wieder nach Hause selbstständig zu erledigen, das sei für viele Menschen mit Behinderung eine viel höhere Hürde als das Training selbst. Andreas Karras möchte zudem die Basis der Vereine, die inklusiven Sport ermöglichen, deutlich verbreitern. „Aktuell arbeitet nur ein Bruchteil der mehr als 800 Mitgliedsvereine im HSB inklusiv. Das ist angesichts dessen, dass die Pandemie alle vor ungekannte Herausforderungen gestellt hat, verständlich, aber es gibt Optimierungsbedarf.“

Viel Arbeit also, die wartet, und leider immer zu wenig Geld. Man sei dankbar für jede finanzielle Unterstützung, die vor allem durch die „Aktion Mensch“ und die Alexander-Otto-Sportstiftung geleistet wird. „Aber wir sind ausschließlich projektfinanziert und müssen um jeden Euro kämpfen“, sagt Ilka Meis. Immerhin aber habe die Netzwerkarbeit dazu geführt, das Thema Inklusionssport breit in der Gesellschaft zu verankern. „Ob in der Politik, bei Vereinen, Verbänden oder Einrichtungen, wir werden wahrgenommen. Die Wichtigkeit von Bewegung für Menschen mit Behinderung wird von vielen Seiten erkannt“, sagt Linda Bull. Und das ist mehr, als sie vor drei Jahren zu hoffen gewagt hatte.