Hamburg. Zum Erfolg des Hamburgers tragen die Eltern und Bruder Mischa einen großen Teil bei. Welche Rolle die Familie für Zverev spielt.

Einen Moment gab es am Sonntagabend, in dem sich Wehmut in die Feierstimmung mischte. Alexander Zverevs 6:4, 6:4-Sieg im Endspiel der ATP-Finals in Turin gegen den Russen Daniil Medwedew (25) war wenige Minuten alt, als er im Sky-Interview gefragt wurde, wie er den Erfolg zu feiern gedenke. „Mit der Familie“, sagte der beste deutsche Tennisprofi, „es ist nur traurig, dass mein Vater nicht dabei sein kann.“

Alexander Zverev senior war wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht nach Italien gereist. Aber dass sein jüngerer Sohn in dem Moment, in dem er die beste Saison seiner Karriere mit dem zweiten Triumph bei der inoffiziellen Tennis-WM gekrönt hatte, an seinen Vater dachte, war mehr als eine Randnotiz.

Alexander Zverevs durch Familie gestärkt

Wer den Erfolgsweg zu ergründen versucht, den der 24 Jahre alte Hamburger seit seinem Premierentitel beim Saisonabschlussturnier der acht Besten der Welt Ende 2018 beschritten hat, der landet unweigerlich bei dem Element, das Zverevs Welt zusammenhält. Es ist die Kraft der Familie, die ihn stark macht und durch die Untiefen des Erwachsenwerdens geleitet. Eine Kraft, die er verspürt, seit er denken kann, und auf die er sich insbesondere in Zeiten, in denen die Welt über ihm zusammenzubrechen droht, verlässt.

Alexander Zverevs Welt hatte schon im Kleinkindalter die Ausmaße eines Tennisplatzes. Vater Alexander und Mutter Irina, beide Weltklassespieler in der ehemaligen Sowjetunion, bereiteten als Trainerduo den älteren Sohn Mischa (34) auf eine Profikarriere vor. Der kleine Bruder war immer dabei, für ihn war es Normalität, die Stars der Branche hautnah zu erleben. Sobald er selbst den Schläger halten konnte, galt er als das größere Talent, obwohl es der Ältere bis auf Rang 25 der Weltrangliste und ins deutsche Daviscupteam schaffte.

„Papa wird immer der Chef sein“

Was schon damals beeindruckte, war der Zusammenhalt in der Familie. Als Alexander als Jugendlicher begann, internationale Turniere zu spielen, teilten sich die Eltern die Betreuung der Brüder auf; allein reisen mussten sie nur in Ausnahmefällen. Manch externe Übungsleiter wurden dazugezogen, lange blieb keiner von ihnen. Große Namen waren das, die Alexander Zverev in den vergangenen Jahren in sein Team aufnahm, Weltspitzenleute wie der US-Amerikaner Ivan Lendl oder die Spanier Juan Carlos Ferrero und David Ferrer.

Niemand jedoch war größer als die Familie, und weil es bei Alphamännern früher oder später darum geht, wer das letzte Wort haben darf, ist es fast logisch, dass das Familienunternehmen Zverev mittlerweile unter sich ist. „Papa wird immer der Chef sein“, sagte Alexander Zverev, als er sich 2019 vor dem Turnier am Hamburger Rothenbaum von Lendl trennte.

Ein Wendepunkt war, den Bruder als Manager zu wählen

Einer, vielleicht sogar der wichtigste der Wendepunkte in der Karriere des Weltranglistendritten hat sich jedoch abseits der Courts zugetragen. Als Alexander Zverev 2013 als 16-Jähriger zum ersten Mal bei seinem Heimturnier am Rothenbaum im Hauptfeld aufschlug, war ein Mann an seiner Seite, der fortan die Karriere plante. Patricio Apey, ein Brite chilenischer Herkunft, sorgte als Manager dafür, dass die Karriere mit gut dotierten Werbeverträgen gepflastert war. Apey träumte davon, einen Weltstar zu formen, vergaß jedoch, dass darüber nicht Sponsoren entscheiden, sondern die Fans. Er formte ein Bild, das Zverev wie einen unnahbar, bisweilen arrogant wirkenden Schnösel dastehen ließ, dem es an Manieren fehlte. So einer wird sportlich respektiert, aber nicht geliebt.

Nach einer monatelangen Trennungs-Schlammschlacht, die Ende 2020 mit einem juristischen Sieg für die Zverevs endete, ging der Jüngere einen entscheidenden Schritt. Er lässt sich seitdem geschäftlich von Bruder Mischa beraten, der schon während der Hochzeit seiner eigenen Laufbahn mit seiner offenen, ehrlichen und zugewandten Art Menschen positiv zu berühren und für sich einzunehmen verstand.

Zverev leistete sich auch Ausrutscher

Seitdem Mischa als eine Art Außenminister die Familie Zverev in der medialen Öffentlichkeit vertritt, hat sich auch die Wahrnehmung Alexanders zum Positiven verändert. Er wird niemals der Liebling aller werden, wie es ein Roger Federer noch immer ist. Aber der Charme eines gereiften Mittzwanzigers steht ihm deutlich besser als die Rotzigkeit des Jungprofis, die er früher ausstrahlte.

Man darf nicht vergessen, dass Alexander Zverev in den Jahren zwischen 2018 und heute auch abseits des Tennisplatzes manchen „unforced error“ produzierte. Einige, wie die Partyfotos in der Corona-Krise 2020, waren dem Erwachsenwerden zuzurechnende, entschuldbare Ausrutscher. Anderes, wie die von zwei Ex-Partnerinnen erhobenen Vorwürfe häuslicher Gewalt, wöge schwer, wenn es sich als wahr herausstellte.

Alexander Zverev: Olympiasieg war ein Wendepunkt

Fakt ist: Die Familie hat ihn aufgefangen, wenn sich alles gegen ihn wendete. Dass er selbst im Alter von 23 Jahren Vater wurde, hat, auch wenn er von Mutter und Tochter getrennt lebt, laut Menschen, die ihm nahestehen, einen intensiven Reifeprozess in Gang gesetzt, der ihm sogar ermöglicht, den Wirbel auszublenden, den seine aktuelle Beziehung zu Schauspielerin Sophia Thomalla (32) auf dem Boulevard entfacht hat.

Der zweite wichtige Wendepunkt ist der Olympiasieg in Tokio Anfang August; ein sportlicher Meilenstein, der ihm vor Augen führte, wie weit er es bringen kann, wenn er die Ruhe bewahrt und bei sich bleibt. Gut spielen konnte er schon lange. Aber wer am vergangenen Wochenende verfolgte, mit welch taktischer Schläue er im Halbfinale zunächst Branchenprimus Novak Djokovic (34/Serbien) und dann den Weltranglistenzweiten Medwedew abservierte, der dürfte kaum Zweifel daran hegen, dass Alexander Zverev – sofern er gesund bleibt – die Ziele erreichen wird, die er in Turin formulierte, bevor er sich in den Malediven-Urlaub verabschiedete: Grand-Slam-Champion und die Nummer eins der Welt zu werden. Perfekt wird sein Glück nur sein, wenn die ganze Familie diesen Moment gemeinsam erleben kann.