Hamburg. Der Sieg dürfte auch für Ismail Özen-Otto ein Befreiungsschlag sein. Er übernahm den Hamburger Profiboxstall Universum.

Wie wichtig er war, dieser Sieg, das war nicht in erster Linie an demjenigen zu erkennen, der ihn erkämpft hatte. Natürlich, Artem Harutyunyan feierte auch, er ließ sich auf den Schultern seines Bruders Robert, der ihm noch im Ring eine goldene Krone verpasst hatte, herumtragen. Aber der Mann, von dem die meiste Last abzufallen schien, war ein anderer. Ismail Özen-Otto hatte, als er vor gut zwei Jahren den einst ruhmreichen Hamburger Profiboxstall Universum übernahm, um ihn zu einer gewissen Größe zurückzuführen, auf Artem Harutyunyan als Zugpferd gesetzt.

Am Sonnabendabend sprang der Deutschkurde vollkommen entrückt durch den Ring seines Gyms an der Großen Elbstraße, weil er zum ersten Mal voller Überzeugung das Gefühl genießen durfte, mit seiner Wahl auf dem richtigen Weg zu sein.

Artem Harutyunyan trägt nach seinem Sieg eine Krone im Ring.
Artem Harutyunyan trägt nach seinem Sieg eine Krone im Ring. © imago/Lobeca

Sieg ist ein Wendepunkt in der Karriere Artem Harutyunyan

Der K.-o.-Sieg in Runde fünf über den bis dato in 16 Kämpfen unbesiegten Spanier Samuel Molina, mit dem sich der gebürtige Armenier die vakante internationale Meisterschaft des Weltverbands WBC im Leichtgewicht sicherte, könnte für den 31-Jährigen das gewesen sein, was man einen „career-definining fight“ nennt. Ein Kampf, der einen Wendepunkt in der Karriere des Olympiadritten von Rio 2016 markiert.

„Natürlich gibt mir so ein Sieg Selbstvertrauen. Das war die nächste Stufe in meiner Entwicklung“, sagte der Sieger, nachdem er seinen Kontrahenten nach 2:31 Minuten der fünften Runde mit einem perfekt als Konter geschlagenen linken Haken zum Kinn ausgeknockt hatte. Es war ein Volltreffer zur rechten Zeit, denn wäre die fünfte Runde über die Zeit gegangen, hätte der Lokalmatador nach Punkten zurückgelegen.

Artem Harutyunyan nutzt Unerfahrenheit seines Gegners aus

In Runde vier war er in einem Schlaghagel Molinas mehrfach wirkungsvoll getroffen worden. Es zeugte anschließend jedoch von großer Klasse, wie er die Unerfahrenheit des nun wild anrennenden 22-Jährigen nutzte, um diesen in eine Falle zu locken. „Ich habe die Lücken in seiner Deckung genau ausgeguckt. Ich wusste: Wenn ich ihn sich auspowern lasse, kriegt er die Deckung nicht mehr hoch, und dann kann ich seine Fehler ausnutzen.“ Das tat er lehrbuchmäßig.

Man muss kein großer Experte sein, um zu wissen, dass eine solche Taktik gegen die Weltklasseleute im Limit bis 61,2 Kilogramm wie Dreifachweltmeister Teofimo Lopez (24), WBC-Champion Devin Haney (22), Gervonta Davis (26/alle USA) oder Vasil Lomatschenko (33/Ukraine) nicht gewinnbringend wäre. Aber Artem Harutyunyan hat sich ja auch vorgenommen, sein großes Ziel, Weltmeister zu werden, in kleinen Schritten zu erreichen.

Der nächste soll nun ein WM-Ausscheidungskampf beim WBC werden, der für 2022 geplant ist, möglicherweise mit noch einem Zwischenkampf im November. Artem Harutyunyan ist bereit, dafür auch ins Ausland zu gehen. „Aber am liebsten würde ich in Hamburg Weltmeister werden“, sagte er noch, bevor er sich als Belohnung einen frisch gepressten Orangensaft gönnte.